© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

EU-Gericht verbietet Patente auf embryonale Stammzellen
Die Forschung bleibt frei
Jens Jessen

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat vorige Woche Patenten auf menschliche embryonale Stammzellen eine Absage erteilt. Damit habe der EuGH „den Schutz menschlichen Lebens gegenüber wirtschaftlichen Interessen deutlich gestärkt“, jubelte die Umweltorganisation Greenpeace, die 2004 gegen das Patent DE 19756864 Klage einreichte. Die Richter folgten mit ihrem Urteil vom 18. Oktober den Vorstellungen ihres Generalanwalts Yves Blot, der gefordert hatte, alle Zellen, die sich zu einem vollständigen Menschen entwickeln können, von der Patentierung ausnehmen zu lassen. Der EuGH hat das bestätigt: Jede befruchtete Eizelle muß nach EU-Recht nun als menschlicher Embryo angesehen werden.

Das EuGH-Urteil legt den Begriff des menschlichen Lebens weit aus. Dessen ökonomische Verwertbarkeit wird konsequent abgelehnt. Die Richter haben die Patentierung von Arbeitstechniken mit embryonalen Stammzellen verboten und damit möglichen Milliardengeschäften einen Riegel vorgeschoben – der Zweck heiligt nicht die Mittel. Gegner des EuGH-Urteils kritisieren, daß nun die Heilung von Volkskrankheiten wie Krebs, Diabetes oder neurodegenerativen Leiden – zumindest in der EU – in weite Ferne gerückt wird. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit werde beschädigt.

Doch der EuGH schränkt die Forschung an embryonalen Stammzellen nicht ein, da er ausschließlich auf die Frage der Patentierbarkeit abstellt. Die Auswirkungen auf die EU-Forschungsförderung sind noch nicht absehbar. Zudem verschweigen die Urteilsgegner, daß häufig allein das Gewinnstreben dazu führt, daß neue therapeutische Verfahren in den Kliniken zur Anwendung kommen, bevor sie überhaupt die erforderliche Reife erlangt haben.

Das Urteil schützt deshalb die Forscher auch vor sich selbst. Gerade bei den Stammzellen und ihren biologischen Verwandten besteht immer noch sehr hoher Forschungsbedarf, weil ihre Erzeugung und Nutzung ein Prozeß mit ungeahnten und unkalkulierbaren Risiken ist. Die Liste der Fehlversuche aus den vergangenen Jahren ist lang. Da bilden sich tumorartige Gewebestrukturen, ein Implantat wird vom Immunsystem eines Empfängers abgestoßen, obwohl es exakt passen müßte. Das gilt auch für die Vorgänge, die im biologischen Kern von Zellen manipuliert werden und ebenso jetzt noch für „induzierte pluripotente Stammzellen“.

Mit einer forcierten Abwanderung von Spitzenforschung ist nach dem Stammzellen-Urteil kaum zu rechnen, da es genug Arbeit gibt. Auch die Patent-Karte sticht nicht: Patente bremsen den wissenschaftlichen Fortschritt, statt ihn anzutreiben. Patentbesitzer schotten den Markt ab. Sie lassen Konkurrenz nicht zu. Wettbewerb findet nicht mehr statt. Auch deshalb könnte des EuGH-Urteil richtungsweisend sein.

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