© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Gneisenaus Vermächtnis wurde verraten
Ausgerechnet im Gedenkjahr zum 250. Geburtstag des preußischen Reformers Neidhardt von Gneisenau wurde die Wehrpflicht abgeschafft: Ein Rückblick
Frank Bauer

August Wilhelm Anton Graf Neidhardt von Gneisenau wurde am 27. Oktober 1760 in Schildau bei Torgau geboren. Er war einer der bedeutenden Wegbereiter der bürgerlichen Umgestaltung des preußischen Militärwesens, gilt als der Theoretiker des Volksaufstandes und des Volkskrieges gegen die französische Fremdherrschaft sowie als maßgeblicher militärischer Kopf der Befreiungskriege von 1813 bis 1815. Berühmt wurde er schon 1807 durch die erfolgreiche Verteidigung der Festung Kolberg.

Nach Scharnhorsts Tod hatte Gneisenau als Chef des Generalstabs der von Gebhard Leberecht von Blücher geführten Schlesischen Armee entscheidenden Anteil an den erfolgreichen Operationen dieser Armee, besonders auch an der Planung der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813. Gneisenau gilt als der bedeutendste militärische Gegenspieler Napoleons I. Im Feldzug von 1815 war er erneut Generalquartiermeister bei Blücher. Durch seinen Einfluß auf die Führung in der Schlacht bei Waterloo war Gneisenau maßgeblich an der endgültigen Niederwerfung Napoleons beteiligt.

Im Jahr 1825 zum Generalfeldmarschall ernannt, erhielt er beim polnischen Aufstand 1831 den Oberbefehl über die vier preußischen Armeekorps in der Provinz Posen. Generalstabschef war dort sein langjähriger Freund Carl von Clausewitz. Am 23. August 1831 verstarb er mit 71 Jahren in Posen an der Cholera. Seine letzte Ruhestätte fand der Generalfeldmarschall 1841 in dem am Rande des Schloßparks von Sommerschenburg errichteten Mausoleum.

Der legendäre preußische Militärreformer General Neidhardt von Gneisenau, der unter anderem als Meisterschüler Napoleons gilt, feierte am 27. Oktober 2010 seinen 250. Geburtstag. Wenige Wochen nach diesem runden Termin, am 15. Dezember 2010, wurde durch das Bundeskabinett eine „Aussetzung“, in Wirklichkeit eine Aufhebung, der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 beschlossen. Für ihn, der einst vehement für die Wehrpflicht in Preußen stritt, ein wahrhaft schönes Festtagsgeschenk! Zumal für den General, der zu jenen Militärs im Umkreis der preußischen Reformer Hardenberg, Stein und Humboldt gehörte, auf die sich die Bundeswehr in ihrem Traditionsbild gern berief. An Scharnhorsts 200. Geburtstag ist sie 1955 offiziell gegründet worden – Männer wie er und Gneisenau verkörperten damals die einzige militärische Tradition, an die man nach der nationalsozialistischen Diktatur noch halbwegs unverfänglich anschließen konnte.

Der legendäre Claus Schenk von Stauffenberg ist übrigens ein Verwandter Gneisenaus. Seine Mutter Caroline, eine geborene Gräfin von Üxküll-Gyllenband, ist eine Urenkelin des preußischen Generals der Befreiungskriege und Heeresreformers Graf Neidhardt von Gneisenau. Mit dem Umsturzversuch von 1944 wollte Stauffenberg eine Volkserhebung auslösen wie sein Vorfahr Gneisenau 1809 und 1813. Stauffenberg begriff die geplante Verschwörung gegen Hitler nicht als „Widerstand“, sondern als „nationale Erhebung“, dabei stand vor ihm das Vorbild August Neidthard von Gneisenaus.

Gneisenau zählt neben Gerhard Scharnhorst und Carl von Clausewitz zu den bedeutendsten Militärreformern Preußens, vor allem aber: Er ist der einzige echte Kriegsheld unter ihnen, gilt als der eigentliche Bezwinger Napoleons. Das Ziel dieser Militärreformer war es, dem Volk die Freiheit zurückzugewinnen, Freiheit von Unterdrückung jeder Art, nicht zuletzt durch den Staat und eine unbotmäßige Bürokratie. Freiheit war für sie vor allem die Entwicklung des menschlichen Geistes und Körpers, wie sie sich in den Selbstverwaltungen nach dem Reichsfreiherrn vom und zum Stein und in den Turnveranstaltungen des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn widerspiegelte, aber nicht für den Eigennutz, sondern im Dienste des Staates und des Volkes.

Nach 1945 beriefen sich sowohl Bundeswehr als auch Nationale Volksarmee der DDR auf den legendären General. Nahm er für die eine die „Innere Führung“ vorweg, so war er für die andere ein „Bannerträger des historischen Fortschritt“. Im wiedervereinigten Deutschland ist er aber inzwischen fast ins totale Abseits geraten. Seinen 250. Geburtstag nahm man von offizieller Stelle überhaupt nicht zur Kenntnis. Nur wenige Presseorgane widmeten ihm einen Artikel, geschweige denn es fand eine offizielle Ehrung statt. Das blieb Vereinen wie der Generalfeldmarschall Graf Neidhardt von Gneisenau-Gesellschaft e.V. Sommerschenburg, der Privilegierten Schützengilde Schildau e.V., den kleinen Museen in Schildau und Sommerschenburg sowie an deutscher und preußischer Geschichte interessierten Personen vorbehalten.

Am 27. Oktober 2010, Gneisenaus 250. Geburtstag, haben ganze acht in Traditionsuniformen der Befreiungskriegszeit gekleidete Kameraden am von Christian Daniel Rauch geschaffenen Denkmal in der Grünanlage zwischen Deutscher Staatsoper und Prinzessinnenpalais aufgestellten Denkmal des Feldmarschalls einen Gedenkkranz niedergelegt. Trotz Information von Fernsehen, Presse, Bundeswehr und Politik erschien kein einziger Vertreter. Ob es wohl in Europa oder Ländern auf anderen Kontinenten einen ähnlich schnöden Umgang mit großen Persönlichkeiten ihrer Geschichte gibt? In Ehrfurcht und Dankbarkeit erinnerten die Mitglieder der Vereine an August Anton Wilhelm Neidhardt von Gneisenau, den späteren Grafen und Generalfeldmarschall.

Anläßlich seines 180. Todestages am 23. August 2011 ist es der 1995 gegründeten Gneisenau-Gesellschaft gelungen, mit großer und großzügiger finanzieller Unterstützung durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Bonn sowie die Kurt-Lange-Stiftung Bielefeld, den maroden Prunksarkophag des Feldmarschalls wieder denkmalgerecht rekonstruieren zu lassen. Am 23. August 2011 wurde der originale Eichensarg von 1831 mit den Gebeinen Gneisenaus im Rahmen einer würdigen Gedenkfeier in dem von Schinkel geschaffenen Mausoleum in Sommerschenburg in diesem Sarkophag wieder eingesegnet.

Sommerschenburg verfügt mit dem 1814 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. an Graf Gneisenau für seine Verdienste um den preußischen Staat und für die Befreiung von napoleonischer Unterdrückung als Dotation übergebenen Schloß sowie mit der 1841 unter König Friedrich Wilhelm IV. eingeweihten künstlerisch wertvollen Grabanlage, dem Mausoleum (Planung Karl Friedrich Schinkel) sowie einem von Christian Daniel Rauch geschaffenen Marmordenkmal des Feldmarschalls über bedeutende originale historische Sachzeugen. Pflege und Erhalt dieser Stätten sind die Hauptaufgabe der Gneisenau-Gesellschaft. Inzwischen gibt es seit September 2010 im von Gneisenau initiierten ehemaligen Schulhaus auch ein ihm gewidmetes kleines Museum.

 

Dr. Frank Bauer ist Vorsitzender der General-Feldmarschall Graf August-Wilhelm Neidhardt von Gneisenau-Gesellschaft  www.gneisenau.de

Foto: Denkmal für August Neidhardt von Gneisenau am Mausoleum in Sommersdorf-Sommerschenburg in Sachsen-Anhalt: Im wiedervereinigten Deutschland ist Gneisenau inzwischen fast ins totale Abseits geraten

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