© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Der Vater der Inflationsgeschädigten
Vor 75 Jahren nahm sich Gustav Adolf Winter, ein Kämpfer für die Leidtragenden der Geldentwertung in den zwanziger Jahren, in NS-Haft das Leben
Volker König

Es sind nur noch wenige Menschen, die sich an „Tausendmarkschein-Winter“ erinnern, einen der skurrilsten Politiker der Weimarer Republik. Gemeint ist Gustav Adolf Winter, der 1932 als Reichspräsidentschaftskandidat der Inflationsgeschädigten antrat.

Über die ersten vier Lebensjahrzehnte von Winter, der am 11. Mai 1882 in Magdeburg geboren wurde, ist wenig bekannt. Er betätigte sich beruflich als Betriebsanwalt und erwarb sich in den zwanziger Jahren in dem kleinen Ort Großjena bei Naumburg ein schön gelegenes Anwesen. Von hier aus entfaltete er nach der Inflation des Jahres 1923 als Privatgelehrter und Politiker seine publizistische Agitation, in deren Mittelpunkt die Vertretung der Inflationsgeschädigten stand. Dazu hatte er 1927 den „Deutschen Volksbund für Wahrheit und Recht“ ins Leben gerufen, dem er vorstand und der nach eigenen Angaben zeitweise bis zu drei Millionen Mitglieder hatte.

Es war nicht der einzige derartige Verband. Als Reaktion auf die Entwertung der Reichsmark hatte sich als Sprachrohr von Anlagengeschädigten, Hypothekengläubigern und vieler Millionen um ihr Erspartes betrogener Bürger der „Sparbund für das Deutsche Reich“ konstituiert. Etliche Funktionäre des Verbandes organisierten bald auch eine eigene politische Formation, die „Volksrechtspartei – Reichspartei für Aufwertung“.

In seinem Volksbund sammelte Winter die Besitzer von als ungültig gestempelten Vorkriegsbanknoten, denen er versprach, sich für deren Entschädigung einzusetzen. Konkret sollten die eingetauschten neuen Geldscheine auf Rentenmarkbasis ab 1923 nachträglich aufgewertet werden. Für diese Ziele warb er auch mit einem Film unter dem Titel „Der große Betrug“, den er mittels der „Kampfmaschine Devoli“ unter das Volk bringen wollte. Gemeint waren damit von der Firma „Deutsche Volkslichtspiele“ (Devoli) erworbene ausgemusterte Panzerwagen der Reichswehr, die mit Kinoprojektoren und Leinwänden ausgerüstet als politisches Wanderkino über Land fahren sollten. Der Film werde „gegen das Bonzentum und Versailler Diktat, gegen die Inflationsidioten und Freimaurer“ Front machen, erklärte Winter.

„Tausendmarkschein-Winter“ agierte bei allem aber auf dünnem Eis, da eine Entscheidung des Reichsgerichtes vom 20. Mai 1926 die Aufwertungsansprüche abgewiesen hatte. Im April 1931 kam es sogar wegen des Verdachtes der illegalen Geldanhäufung zu einem in den Medien durchaus beachteten Prozeß am Reichsgerichtshof Leipzig, der mit einer einjährigen Gefängnisstrafe für Winter endete. Ironie der Geschichte: Der Senatspräsident Adolf Lobe war zuvor Reichstagsabgeordneter der Volksrechtspartei.

Als Reaktion auf dieses als Unrecht empfundene Urteil beschloß Winter, zur Reichspräsidentenwahl 1932 anzutreten. Während er in Bautzen seine Haft verbüßte, sammelten seine Anhänger die zur Kandidatur nötigen 35.000 Unterschriften. Daß er die Rolle eines Außenseiters übernahm, war ihm von Anfang an bewußt. Paul von Hindenburg und Adolf Hitler waren neben Ernst Thälmann (KPD) und Theodor Duesterberg (Stahlhelm) die Kandidaten, auf die letztlich die Entscheidung hinauslief. Am 13. März entschieden sich 111.470 Wähler (0,3 Prozent) für den Kandidaten der Inflationsgeschädigten. Das beste Landesergebnis erzielte Winter mit einem Prozent in Hamburg; in Teilen Sachsens, Niederschlesiens und am Bodensee bekam er sogar Resultate über zwei Prozent.

Nach der NS-Machtergreifung verlegte sich Winter auf die Erforschung der sogenannten „Erdmagnetokultur“, von ihm auch als „Orga-Urkult“ bezeichnet. Dabei ging es darum, den Nachweis zu erbringen, daß der Erdmagnetismus zur Steigerung der Pflanzenproduktion zu nutzen sei. Auf seinem Grundstück in Großjena initiierte er entsprechende Versuche, und am 5. November 1935 richtete Winter an Adolf Hitler ein Schreiben, in dem er diese Methode zur „gesicherten Volksernährung“ anpries und der Regierung „den Erwerb der Entdeckung und Erfindung als Monopol zu den denkbar günstigsten Bedingungen“ anbot.

Eine Antwort seitens des Regimes blieb aus. Stattdessen begann Anfang 1936 die Beschlagnahme und Einziehung der Schriften Winters, und am 26. Oktober wurde gegen ihn und ein halbes Dutzend enger Mitstreiter vor einem Sondergericht in Halle der Prozeß eröffnet. Die Anklage lautete auf „Aufrechterhaltung, Weiterführung und Neuaufbau der sogenannten ‘Winter-Bewegung’ nach dem Parteienverbot“. Es kam zu keinem Urteil mehr, denn am 30. Oktober nahm sich Winter im Gerichtsgefängnis selbst das Leben.

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