© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Ermutigung gegen herrschende Irrwege
Die konservativen Pädagogen Christa Meves und Josef Kraus legen ihre Bildungskonzepte vor
Ellen Kositza

Mit Christa Meves und Josef Kraus haben zwei konservative Urgesteine in Kooperation ein erfahrungssattes Buch für ratsuchende Eltern von Schulkindern verfaßt.

Das Buch gliedert sich in drei Teile. Im Hauptteil widmet sich Frau Meves „Ursachen, Auswirkungen und Hilfen“ bei seelisch bedingten Schulproblemen. Auf vierzig weiteren Seiten äußert sich Josef Kraus, Gymnasialrektor und seit fast 25 Jahren Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes, schulpolitischen Fragen aus Sicht des Pädagogen. Den Schlußteil übernimmt wieder Frau Meves mit konkreten Vorschlägen für eine bessere Ausgestaltung der Schulpolitik.

Besonders dieser Ausblick ist so unkonventionell wie beachtenswert. Meves hält fest, daß die zeitgenössische „ideologische Tendenz“ auf eine „Gleichheitsschule“ hinauslaufe, die einen bestimmten Begabungstyp bevorzuge: den abstrakt begabten Theoretiker. Das führe zu Fehlerwartungen, zu vielgestaltigen Mißerfolgen und insgesamt zu einer Minderung des Leistungsniveaus. Sie schlägt folgendes vor: Nach einer gemeinsamen Grundschulzeit von vierjähriger Dauer sollten nur Kinder mit einer herausragenden abstrakt-logischen Begabung in eine Art „Gelehrtenschule“ überführt werden, die nach neun Jahren mit dem Abitur abschlösse.

Der Großteil der Grundschüler solle gemäß Lehrereinschätzung und Elternwunsch einen von drei zur Auswahl stehenden Schultypen besuchen: den Zweig für Praktiker, den für Kreative oder den für Theoretiker. Die Schule für die ersten beiden Begabungstypen sollte nach sechs, die für Theoretiker nach acht Jahren zum Abschluß führen. Letztere sollte dem heutigen Gymnasium entsprechen und zum Besuch einer Fachhochschule befähigen, wobei das System eine Durchlässigkeit für „Spätentwickler“ vorhalten sollte. Dieser Grundriß klingt so vernünftig, wie er utopisch sein dürfte: Deutschlands Quote der Studienberechtigten liegt derzeit bei etwas 45 Prozent (1990: 31 Prozent), und als Ziel gilt, sie wenn nicht auf die allseits als vorbildlich gepriesene finnische Marke (97 Prozent!) doch auf den OECD-Schnitt von derzeit etwa 61 Prozent zu heben. Meves’ Anspruch und deutsche Bildungswirklichkeit klaffen daher meilenweit auseinander – was allein freilich nicht gegen den Vorschlag der Psychologin spricht, wohl aber gegen dessen Realisierungschancen.

Das Buch „Schulnöte“ basiert auf einer 1996 (damals ohne Kraus’ Beteiligung) publizierten Ausgabe; die aktuelle Auflage wurde ergänzt und überarbeitet. Einerseits, den knapp vierzigseitigen Krausschen Beitrag zunächst außer acht gelassen, tut das nicht viel zur Sache: Frau Meves hat allein seit 2000, mithin seit ihrem 76. Lebensjahr, sage und schreibe dreißig Bücher publiziert. Im einzelnen allesamt lohnenswerte Lektüren, aufs Ganze gesehen variierte Umformulierungen des Immergleichen. Christa Meves hat seit je grundlegende Erkenntnisse zu erzieherischen Notwendigkeiten erfaßt, die eben nicht pädagogischen Moden folgen. Wie hinterfragbar machten sich pädagogische Leitbilder, wenn sie sich von einem zeitgeistigen Mainstream treiben ließen, wenn ein Verfallsdatum der Rezeptur gleichsam mitgegeben ist! Andererseits: Selbstbewußt gegen den Hauptstrom zu rudern, darf nicht dazu führen, die heutige Welt mit ihren Problemstellungen aus den Augen zu verlieren. Das aber tut Meves im Hauptteil des Buches immer wieder. Die vier von ihr skizzierten gängigen Leistungs- und Aufnahmestörungen (dargestellt als passiver, uninteressierter, perfektionistischer und flüchtiger Typ) mag es geben. Auch die je zugrundeliegenden Erziehungsdefizite vom Säuglingsalter an werden griffig zur Sprache gebracht.

Die Fallbeispiele allerdings, die sie schildert, wirken oft extrem oder vorgestrig. Daß eine Mutter sich Operationen unterzieht, um ihrem Gatten „noch mehr Kinder zu schenken“, daß ein Vater den Sohn „täglich mehr als zehnmal“ eine Schularbeit abschreiben läßt, oft bis weit nach Mitternacht, daß Kinder mit dem Ausruf „Pfui, nun bist du mein Kind nicht mehr!“ getadelt werden und daß es allzuoft um „Knete“ (altertümlich für Geld) gehe – dies alles mag es heute in Einzelfällen geben, repräsentativ für den zeitgenössischen Erziehungsalltag im Zeitalter der digitalen Revolution sind solche Szenen kaum. Unschön stößt gelegentlich auch die kalte Art der Betrachtung auf. Das perfektionistische Kind wird mit Stalin verglichen, ein anderes „übersprüht“ die Pädagogin „im Eifer der Rede mit Speichel“, ein weiteres wird als so unförmig dick geschildert, „daß der Kopf des Kindes durch die Fettmassen am Kinn in den Nacken gedrückt wurde“. Instinktiv möchte der Leser sein eigenes Kind ungern dem abschätzigen Blick solcher Autorität aussetzen.

Knapp, klug und sachlich auf den Punkt gebracht (zudem, anders als bei Meves’ Teil, einleuchtend gegliedert) lesen sich hingegen Josef Kraus’ Ausführungen zu notwendigen Angelpunkten einer „Erziehungsoffensive“ sowie seine Vorschläge, wie den Irrwegen der Schulpolitik zu begegnen sei. Bereits diese dichte Handreichung macht das Buch zu einer lohnenswerten Lektüre.

Christa Meves, Josef Kraus: Schulnöte. Ermutigung zu kindgerechtem Erziehen. Resch Verlag, Gräfeling 2011, gebunden, 177 Seiten, 15 Euro

Foto: Schüler in Deutschland: Egal welcher Schultyp – als Ziel gilt eine Studienberechtigung für alle

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