© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Vaterunser to go
Der Regisseur Oliver Sturm hat das Beten automatisiert und den Gebetomaten entwickelt
Georg Alois Oblinger

Seit der Erfindung von Wasch- und Geschirrspülmaschinen war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Idee kam, auch das Gebet zu automatisieren. Der Mann heißt Oliver Sturm und ist Theater- und Hörspielregisseur. „Die Idee zu einem Gebet-Automaten kam mir, als ich im Jahr 1999 in New York auf einem U-Bahnsteig in einer hygienisch zweifelhaften Ecke einen Automaten an der Wand sah, der mit einer künstlichen Stimme auf einlullend monotone Weise permanent sprach“, legt der 1959 geborene Literaturwissenschaftler seine Inspirationsquelle offen.

2008 entwickelte Sturm daraus den Gebetomaten, der zur Zeit an drei Orten in Deutschland aufgestellt ist – beim SWR in Baden-Baden, auf dem Ausstellungsgelände der Frankfurter Positionen und in der Arminiusmarkthalle in Berlin-Moabit.

Der knallrote Kasten, der als „Rückzugsort zum eigenen Gebet oder nur zum Zuhören“ angepriesen wird, ähnelt einem Paßbildautomaten und benötigt weniger als einen Quadratmeter Aufstellungsfläche. Als „kleinste Form des spirituellen Raums“ soll er Passanten Gelegenheit zur „inneren Einkehr“ bieten. Nach einem Münzeinwurf von 50 Cent (für fünf Minuten), einem Euro (für zehn Minuten) oder zwei Euro (für 20 Minuten) können diese dann per Touchscreen zwischen 300 Gebeten in 65 Sprachen auswählen. Zuvor heißt es wie im Beichtstuhl – Vorhang zu.

Neben Gebeten aus den fünf Weltreligionen Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus umfaßt es beispielsweise auch Indianergesänge, Gebete von Schamanen aus Neuguinea und Gruppenmeditationen amerikanischer Fernsehprediger. Selbst Anhänger von Scientology oder des Voodookultes kommen auf ihre Kosten. Schließlich versteht sich der Gebetomat als „Archiv des Betens in der Welt“.

Der Erfinder Oliver Sturm denkt an die Aufstellung solcher Automaten an unterschiedlichen öffentlichen Orten wie Bahnhöfen, Flughäfen, Raststätten, Universitäten oder Kaufhäusern. Seine Begründung: „Ich halte die – dem Denken Andy Warhols verwandte – Idee einer automatenhaft herstellbaren Erzeugung religiösen Gefühls für einen sehr zeitgenössischen Gedanken.“ Ganz so neu ist der Gedanke, das Zwiegespräch mit Gott zu delegieren, dann doch nicht. Schon im alten Ägypten wurden beim Tod eines Angehörigen Klagefrauen gegen Honorar verpflichtet, am Totenbett Gebetswache zu halten.

Der Gebetomat wurde schnell zu einem Lieblingsprojekt der Medien und neben dem SWR auch im Foyer des Hessischen Rundfunks ausgestellt. Außer ARD-Geldern sprudelten öffentliche Mittel aus dem Hauptstadtkulturfonds. Die Vermarktung ging noch weiter, auch wenn die Geldschlitze in der Arminiusmarkthalle zugeklebt sind. Auf der Internetseite ist die Ausleihe und Vermietung, aber auch der Kauf der 220 Kilo schweren Gebetsmaschine möglich.

Kritik am „Gebet auf Knopfdruck“ kommt aus der katholischen Kirche. Einige Geistliche sehen darin ein Instrument des Zeitgeistes, das den Wahrheitsgehalt der Religionen relativiere und sie auf Gefühl reduziere – „spirituelles Fastfood“ im Sinne eines „Vaterunser to go“. Bei den Protestanten sieht man den Gebetomaten weniger skeptisch. Martin Germer, Pfarrer an der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, äußerte sich in der B.Z. sogar wohlwollend: „Wenn er den Menschen hilft, sich im Gebet zu finden, warum nicht?“

www.gebetomat.de

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