© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/11 / 28. Oktober 2011

Haltungsnote
Isländischer Geysir
Christian Schwiesselmann

Wer ausnahmslos alle Journalisten Deutschlands für „Arschlöcher“ hält und dennoch vom deutschen Geist schwärmt, hat gute Chancen, an dieser Stelle Sympathiepunkte zu erheischen. Der Genforscher Kári Stefánsson – natürlich hat er noch keinen JF-Redakteur kennengelernt – ist so ein Fall.

Im Welt-Interview mit dem Berufsprovokateur Henryk M. Broder polterte er mächtig gegen die deutsche Pressezunft: Wenn man mit einem angelsächsischen oder einem skandinavischen Journalisten spreche, sage dieser immer klar, was er wissen wolle, worauf er hinauswolle und was der Fokus seiner Geschichte sei. „Deutsche Journalisten verstellen sich. Sie haben keine Skrupel zu täuschen und zu verschleiern, auf was sie in Wahrheit hinauswollen“, empörte sich der 1949 auf Island geborene Neurologe, der 1986 an der Universität Reykjavíks zum Dr. med. promoviert wurde.

Während im Hinblick auf den Anstand deutscher Medienvertreter das A-Wort fällt, gibt sich der Genetiker in der Beurteilung der deutschen Kultur versöhnlicher: „Wenn wir die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts betrachten – da gab es diese ungeheure Kreativität der Wissenschaften. Im Grunde haben die Deutschen unser heutiges Weltbild erschaffen.“

Mit der wissenschaftlichen Intuition eines Mannes, der versucht, den genetischen Code seines Volkes zu entschlüsseln, verortet Stefánsson den Hort deutscher Unaufrichtigkeit im Trauma der Weltkriegsniederlage. „Adolf“ habe die Deutschen immer noch fest im Griff, lautet der Befund des angesehenen Mediziners mit dem großen Heimweh. Nach langer Lehrtätigkeit in den USA kehrte er in den 1990er Jahren zurück auf die Atlantikinsel. Seine Familie lebe seit 1.100 Jahren darauf und sei einigermaßen gut an diesen Ort angepaßt.

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