© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Tradition in Zeiten der Krise
Die Rückbesinnung wagen
Klaus Motschmann

Zu den Eigentümlichkeiten der Auseinandersetzungen der gegenwärtigen Gesellschafts- und Wirtschaftskrise gehört die Tatsache, daß die reichen geschichtlichen Erfahrungen mit der sogenannten „Deficit-spending-policy“ zwar keine fröhlichen, aber beängstigende Urständ feiern: Sie verführen zu der Illusion, daß die Schulden der öffentlichen Hand auf Dauer durch immer weitere Schulden getilgt werden können.

Eine derart wundersame Geldbeschaffung ist nur in der Märchen- und Traumwelt unserer Kinder möglich, nachweislich aber nicht in der rauhen politischen Wirklichkeit. Es ist so, als wollte man den Durst eines Schiffbrüchigen durch Meerwasser stillen. Wie viele Schiffbrüchige sind durch Mißachtung dieser Grundregel der christlichen Seefahrt im Meer verdurstet oder haben dauerhafte gesundheitliche Schäden davongetragen? Selbstverständlich hat es immer auch Warnungen vor diesen Illusionen und den daraus abgeleiteten Konsequenzen für Gesellschaft und Politik gegeben. Zu ihnen gehört der bekannte französische Schriftsteller Eugène Ionesco (1909 bis 1996), dem Wegbereiter und Hauptvertreter des sogenannten „absurden Theaters“.

In einem Interview mit einer katholischen Zeitschrift zu diesem Thema antwortete er dem Redakteur (einem Priester) auf die Frage nach den möglichen Auswegen aus der Krise: „Ich meine, daß der Katholizismus sich seit Jahrhunderten im Weltlichen verliert und sich seines Sinnes entleert. Die Welt hat ihn sinnentleert, statt daß er, der Katholizismus, der Welt einen Sinn gibt, wie er müßte. Seien Sie etwas Unnahbares, Unerwartetes, nicht in die Welt Gehöriges. Ziehen Sie eine Soutane an. Was soll diese Krawatte? Sie sind wie alle Welt. Ich will jemanden vor mir haben, der außerhalb der Welt ist; in der Welt, aber zugleich außerhalb der Welt.“ (Eugène Ionesco, Gegengifte, 1979)

Die Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf die abendländisch-christliche Tradition zur Überwindung der gegenwärtigen Krise ist im Zuge der Kulturrevolution von 1968 verständlicherweise scharf kritisiert worden. Einen wichtigen Denkanstoß hierfür liefert der ehemalige Chef der Deutschen Bahn, Heinz Dürr, in seinem jüngst erschienenen Buch „Über das Alter“, einem fiktiven Gespräch mit dem bekannten römischen Philosophen, Staatsmann und Heerführer Cato.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.

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