© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Mitteldeutschland droht die Entvölkerung
Demographiebericht: Alterung schreitet stärker voran als berechnet
Michael Martin

Die deutsche Bevölkerung wird älter und sie schrumpft. Diese nicht unbedingt neue Erkenntnis ist die Kernaussage des Demographieberichts, den Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich in der vergangenen Woche vorgestellt hat. Der Bericht beschreibt die Folgen der Bevölkerungsentwicklung für die Bildungspolitik, die Finanzierung des Sozialsystems oder die Gesundheitsleistungen. Im Frühjahr will die Bundesregierung konkrete Maßnahmen präsentieren, wie der Bevölkerungsrückgang gestoppt werden soll.

Die Ergebnisse sind alarmierend, denn die Alterung der Gesellschaft schreitet noch stärker voran als angenommen. Um das Jahr 2060 wird es 65 bis 70 Millionen Deutsche geben – zur Zeit liegt die Einwohnerzahl bei 81,7 Millionen. Jeder Dritte wird dann 65 Jahre oder älter sein. Heute sind es 20 Prozent der Bevölkerung. Weltweit geht die Bevölkerungsentwicklung in eine andere Richtung: Am Montag wurde der siebenmilliardste Mensch geboren. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts werden weltweit zehn Milliarden Menschen
leben.

Teilen Deutschlands droht dagegen die Entvölkerung. Dabei muß Sachsen-Anhalt mit dem größten Bevölkerungsschwund rechnen. Hier sinkt die Einwohnerzahl voraussichtlich um 42 Prozent. Thüringen muß mit einem Rückgang von 41 Prozent rechnen und Mecklenburg-Vorpommern mit einem Minus von 36 Prozent. Die geringsten Bevölkerungsveränderungen sind in Hamburg (minus 6 Prozent), Bremen (minus 14 Prozent) und Bayern (minus 15 Prozent) zu erwarten.

Als großes Problem zeichnet sich ab, daß sich auch die Altersstruktur in Deutschland dramatisch verschiebt. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter nimmt dramatisch ab. Derzeit sind 49,8 Millionen Deutsche im berufsfähigen Alter. Die Autoren des Berichts gehen davon aus, daß es im Jahr 2030 bereits 6,3 Millionen weniger sein werden. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung wird die Zahl der über 80jährigen Einwohner bis 2030 um fast 60 Prozent zunehmen. In Berlin und Brandenburg werde sich die Zahl sogar fast verdoppeln, berichtete die Stiftung.

In Mecklenburg-Vorpommern nehme die Anzahl der „ganz Alten“ um 80 Prozent zu, in Schleswig-Holstein um 77 Prozent. Einen Anstieg um weniger als 50 Prozent bis 2030 erwarten die Experten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Bremen und dem Saarland.

Die Erklärung für diese Entwicklung ist relativ simpel. Dementsprechend kritisierte die Opposition auch die Tatsache, daß nur Altbekanntes, aber keine neuen Fakten und auch keine Gegenmaßnahmen aufgezeigt wurden. Die Bevölkerungszahl sinkt, weil in Deutschland mehr Menschen sterben als geboren werden. Auch die Zuzüge nach Deutschland können diese Entwicklung schon lange nicht mehr aufhalten. Laut dem Bericht läßt sich die Entwicklung mit ansteigenden Geburtenzahlen oder einer stärkerer Zuwanderung jüngerer Menschen nur noch abmildern, aber nicht mehr stoppen. Die anhaltend niedrige Geburtenrate liegt derzeit bei 1,4 Kindern pro Frau, 2,1 Kinder wären allerdings nötig, um die Bevölkerungszahlen stabil zu halten. Auch die Zuwanderungsraten seien derzeit zu gering: So verließen 2008 und 2009 mehr Menschen Deutschland, als hierher kamen. 2010 gab es zwar wieder ein Plus von 128.000 Zuwanderungen. Es müßten aber theoretisch mindestens 200.000 sein, um die Bevölkerungszahl in Deutschland nicht noch stärker einbrechen zu lassen, als es die Forscher voraussagen.

Der demographische Wandel hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der Bevölkerung. So waren im Jahr 2010 rund 2,42 Millionen Menschen auf Pflege angewiesen (siehe Seite 11). Die Zahl könnte dem Bericht zufolge bis 2030 auf rund 3,37 Millionen Menschen steigen. Diese Entwicklung hin zu immer mehr Alten und immer weniger lokalen Strukturen dürfte sich zu einem ernsten Problem auswachsen. Schon heute gibt es regional Engpässe bei der medizinischen Versorgung älterer Menschen. Auch die Gewalt gegen Senioren dürfte immer weiter zunehmen, wie Friedrich warnte. Mit der Zunahme des Anteils älterer Menschen gewinnen diese als „Opfergruppe künftig an Bedeutung“. Als besonders gefährdet durch „Trickbetrug und Gewalt in der Pflege“ gelten „wohlhabende Senioren“.

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