© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Einfache und effiziente Auswege
Islam-Konvertiten in Deutschland: Mit Hilfe einer antimodernen Kontrastideologie den eigenen Problemen und der Gesellschaft entfliehen
Wolfgang Kaufmann

Ich bekenne, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und daß Mohammed sein Gesandter ist.“ Mit dem Rezitieren dieses Glaubensbekenntnisses in arabischer Sprache im Beisein zweier muslimischer Zeugen ist der Übertritt zum Islam vollzogen. Dem somit eher unspektakulären Procedere unterzogen sich hierzulande schon ganz unterschiedliche Personen. Stellvertretend sei Wilfried Hofmann genannt. Hofmann reüssierte im Auswärtigen Amt, konvertierte dann 1980 und wurde hernach Botschafter in Algier und Rabat; später bekleidete er noch den Posten eines Informationsdirektors in der Brüsseler Nato-Zentrale.

Wie viele andere Deutsche es Hofmann gleichgetan haben, läßt sich nicht exakt feststellen. Schätzungen reichen von 15.000 (so der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst) bis 100.000. Wobei die letztgenannte Zahl definitiv übertrieben ist. Hier flossen wohl unter anderem auch die dubiosen Konversionen via Telefon ein, welche von besonders eifrigen Proselytenmachern angeboten werden. Dabei läßt sich der typische deutsche Islam-Neuzugang folgendermaßen beschreiben: Herkunft aus der gebildeten Mittel- und Oberschicht und teilweise derart areligiös sozialisiert, daß es sich bei der Entscheidung für den Islam weniger um einen Bekenntniswechsel als um einen Eintritt in die Welt des Glaubens handelt.

Warum aber entscheiden sich Deutsche, die ihre spirituelle Ader entdecken, gerade für den Islam? Die präzisesten Antworten auf diese Frage liefert eine Studie der Leipziger Kultursoziologin Monika Wohlrab-Sahr. Betrachtet man die hier wiedergegebenen Biographien, zeigt sich, daß die Hinwendung zur muslimischen Religion meist im Verlauf individueller Krisen erfolgt.

Diese Krisen resultieren aus einer massiven Destabilisierung der Biographie infolge von beruflichen und sozialen Mißerfolgen oder Kontinuitätsbrüchen. Dazu kommen Schwierigkeiten bei der Suche nach der eigenen Identität und der Übernahme angemessener Rollenmuster, wie sie besonders im Jugendalter und und bei jungen Erwachsenen auftreten. Ebenso lassen sich sexuelle oder Partnerschaftsprobleme diagnostizieren. Diese sind die Folge einer tiefen Verunsicherung angesichts der zunehmenden Erosion der traditionellen Geschlechterordnung durch Homosexualisierung, Feminismus und Gender-Wahn.

Die Attraktivität des Islam ergibt sich daraus, daß er ebenso einfache wie effiziente Auswege verheißt. So ermöglicht die Konversion eine radikale Neuerfindung der eigenen Persönlichkeit, die vordem als fragwürdig wahrgenommen wurde. Dabei kommt es nicht nur zur Annahme neuer Namen, sondern auch zur Verwendung wohlklingender Titel wie „Scheich“ oder „Amir“, das heißt „Führer“.

Außerdem zieht der Übertritt zum Islam eine strikte Methodisierung der Lebensführung nach sich, schließlich handelt es sich hier um die Religion der klaren Vorgaben und der Disziplin, diesen auch tagtäglich nachzukommen. Damit bekommt der Konvertit Halt und Sicherheit. Dies wiederum erlaubt ihm eine bessere Alltagsbewältigung. Zudem stehen dem Neu-Muslim nun attraktive Alternativkarrieren jenseits der bisherigen, oft hindernisgespickten Karrierewege offen. So konnte ein pensionierter Postbeamter namens Jahja Schülzke noch zum reputierlichen „Vizepräsidenten der Islamischen Föderation Berlin“ avancieren. Außerdem stehen Konvertiten auch deshalb neue Türen offen, weil sie von den Alt-Muslimen dazu auserkoren werden, den Islam nach außen zu vertreten und ihm ein vertrauteres, sprich deutsches Gesicht zu verleihen.

Weiterhin bietet der Islam die Möglichkeit zur geschlechtstypischen Lebensführung auf der Basis einer religiös fundierten Moral und Rollenordnung, welche nicht verteidigt werden muß und Männern wie Frauen gleichermaßen entgegenkommt: Erstere erhalten die Chance, etwas so archaisches, aber offenbar immer noch attraktives, wie eine spezifisch männliche Geschlechtsehre zu erlangen, und letztere können sich den oft ruinösen Mehrfachbelastungen entziehen, die die säkulare westliche Gesellschaft Frauen auferlegt, ohne dafür Versagensvorwürfe zu kassieren. Man stelle sich nur einmal vor, Eva Herman hätte ihre Thesen aus der Position einer Muslima formuliert!

Aber der Konvertit darf noch mehr erwarten. Zum Beispiel besteht nun die Möglichkeit zur Flucht aus einer Gesellschaft, die für die eigenen Probleme verantwortlich gemacht wird. Dabei kann sich der kulturelle Überläufer von seiner ungeliebten Herkunftsgesellschaft distanzieren, ohne die Risiken der realen Emigration auf sich nehmen zu müssen. Zudem ist er imstande, als lebender Vorwurf aufzutreten und somit ebenso permanent wie subtil Rache zu üben.

Des weiteren kann der Konvertit den symbolischen Kampf gegen die Kultur aufnehmen, der er entstammt, indem er sie als sinnentleerte, materialistische Konsumgesellschaft abqualifiziert, die ihr Existenzrecht längst verwirkt habe. Der Islam ist in diesem Falle dann weniger Therapie und Lebenshilfe für Gestrauchelte als eine anti- oder postmodernistische Kontrastideologie.

Selbstverständlich bieten auch andere Weltanschauungen ein ähnliches Problemlösepotential. Aber der Islam wird derzeit als Allheilmittel wahrgenommen, da er überall präsent ist. Es gibt einen Schneeballeffekt: Je mehr Muslime als Bezugs- oder Vorbildpersonen existieren, desto häufiger ziehen Menschen einen Übertritt zum Islam ins Kalkül.

Parallel dazu gibt es eine Reihe von persönlichkeitsbedingten Faktoren, welche die Hinwendung zum Islam selbst dann fördern, wenn der Betreffende in keiner existentiellen Krise steckt. Da wäre beispielsweise eine Arroganz gegenüber vermeintlich willensschwachen Menschen, welche äußeren Versuchungen nicht zu widerstehen vermögen. Hysteriker wiederum genießen den Tabubruch, der jede Menge Aufmerksamkeit verspricht. Entscheidungsschwache Charaktere begrüßen die dogmatische Unkompliziertheit des Islam sowie die unzweideutigen Forderungen an die Gläubigen in allen Belangen des Lebens. Und die ängstlichen Gemüter, die den Weltuntergangspropheten auf den Leim gegangen sind – für sie ersetzt der Islam mit seiner euphorischen Aufbruchsstimmung den Griff nach stimmungsaufhellenden Medikamenten.

Außerdem gibt es die Opportunisten, welche einfach eine vorauseilende Anpassung an die vermeintlich kommende neue Leitkultur vornehmen, um nicht eines Tages auf der Verliererstraße zu stehen. Und manchmal ist es ganz einfach auch nur die Faszination des Destruktiven, welche sich als religiöse Umorientierung tarnt – schließlich gibt es doch kaum einen effektiveren Weg, Gesellschaften ohne ein funktionierendes geistig-kulturelles Immunsystem zum Kollaps zu führen, als die umfassende Implementierung des Islam.

Grundsätzlich freuen sich die „Altgläubigen“ natürlich über jeden Neuzugang, weil der Islam dadurch an Macht, Prestige und Einfluß gewinnt. Deshalb existiert auch eine Fatwa aus dem Jahre 1995, in der Goethe zum Muslim erklärt wird, da er dem Islam Respekt erwiesen habe. Andererseits betrachten die gebürtigen Muslime die Konvertiten vielfach nur als Handlanger mit dem nötigen kulturellen Know-how und nützlichen organisatorischen Fähigkeiten: „Einige sahen in uns mehr einen Besorger von Aufenthaltserlaubnissen, Wohnungen oder Arbeitsplätzen und nur wenige den gleichberechtigten Bruder, der sich redlich auf dem Weg des Islam bemühte“, klagt der schon erwähnte Jahja Schülzke.

Die „redlichen Bemühungen“ der Konvertiten bestehen dabei vor allem darin, eine vorbildliche Glaubensstrenge zu demonstrieren. Diese ist Teil des Bemühens, die vielen verlorenen Jahre des früheren, unislamischen Lebens wettzumachen. Das allerdings provoziert die „Altgläubigen“ meist eher, als es sie beeindruckt. So besagt eine türkische Spruchweisheit: „Lasse niemals einen, der zum Islam übergetreten ist, das Gebet ausrufen, denn er läßt mit seinem eifernden Geschrei das Minarett zusammenstürzen.“

Außer durch rigiden Eifer, wie man ihn bei Deutschlands schillerndstem Konvertiten Pierre Vogel (JF 49/10) vorfindet, versuchen die Konvertiten auch Akzeptanz zu erreichen, indem sie sich aktiv für die Verbreitung des Islam auf deutschem Boden einsetzen. Allerdings treten sie dabei im Normalfall nicht als gewaltbereite Dschihadisten auf, wie die Sauerland-Terroristen um Fritz Gelowicz, sondern als emsige Netzwerker. Dabei engagieren sich die deutschen Neu-Muslime eher in den von Akademikern getragenen elitären Organisationen arabischer Muslime als in den islamischen Massenverbänden türkischer Prägung. Noch lieber freilich gründen sie eigene Vereine, in denen sie das Sagen haben, wie die Deutsche Muslim-Liga, die Islamische Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime, die Muslimische Jugend in Deutschland und die Wohlfahrtsorganisation „Muslime helfen“. Ebenso geben deutsche Konvertiten Zeitungen heraus, so Al-Islam oder die Islamische Zeitung. Erwähnt sei außerdem auch das von Andreas Abu Bakr Rieger gegründete islamische „Weimar Institut für geistes- und zeitgeschichtliche Fragen“.

Allerdings scheinen all diese Aktivitäten zugunsten des Islam das Mißtrauen der „Altgläubigen“ nicht zu besänftigen, was sicher aus der Annahme resultiert, daß einem Menschen, der seine Religion einmal gewechselt hat, auch noch eine zweite Konversion zuzutrauen ist. Man liebt die Proselyten also nicht unbedingt, anerkennt jedoch, daß diese unentbehrlich sind, weil sie den Islam in der vielbeschworenen Mitte der Gesellschaft salonfähig machen. Das allerdings wirft eine ebenso interessante Frage auf: Was passiert eigentlich, wenn das Engagement der deutschen Neumuslime irgendwann von Erfolg gekrönt sein sollte – und zwar sowohl mit unserer Gesellschaft als auch mit den Konvertiten?

 

Muslimverbände in Deutschland

Unter den bis zu 4,3 Millionen Muslimen in Deutschland sind die deutschen Islam-Konvertiten eine verschwindend kleine Minderheit. Einer ihrer wichtigsten Verbände, die im Jahre 1952 gegründete Deutsche Muslim-Liga, ist jedoch Gründungsmitglied des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD; 300 Gemeinden). Der ZMD, unter dessen Dach sich vorwiegend nichttürkische Muslimverbände versammelt haben, ist Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und als politischer Interessenvertreter anerkannt. Ebenso die weitaus größere und eng mit der türkischen Regierung verbundene Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB; 900). Weitere große Dachverbände: Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF; 130), Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ; 300), Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD; 60) sowie der von der türkischen Milli Görüş (IGMG) geprägte Islamrat (IR, 37). Zur besseren Interessendurchsetzung haben ZMD, DITIB, IR und VIKZ im März 2007 den Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) gegründet.

Foto: Der bekannte Konvertit Pierre Vogel (r.) in seinem Element: Der vielfach als islamistisch eingestufte salafistische Prediger im April 2011 bei einer flammenden Rede in der Innenstadt von Frankfurt am Main

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