© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Widerstand ist machbar
Agieren gegen die Herrschenden: Eine Tagung in Speyer mit Hans Herbert von Arnim und Thilo Sarrazin
Klaus Peter Krause

Widerstand war das Thema der 13. Demokratietagung in der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, unter der Leitung des Rechtswissenschaftlers Hans Herbert von Arnim. Die in Speyer behandelten Themen reichten vom Widerstand gegen Diktatoren, gegen die Euro-Rettung und gegen Politische Korrektheit über Widerstand durch direkte Demokratie und gegen eine zu selbstherrliche Partei in Bayern bis hin zum Widerstand gegen die Diskriminierung der Frau und dem Wandel des Widerstandsverständnisses der Evangelischen Kirche.

Von Arnim definierte Widerstand als „ein Agieren gegen die Herrschenden im weitesten Sinn“. Es gehe dabei um ein Agieren gegen Unrecht, gegen Gemeinwohlverstöße oder gegen sonstiges illegitimes Handeln der Herrschenden. Doch faßte er den Begriff noch weiter und bezog auch den Kampf gegen nichtstaatliche Machtträger mit ein. „Herrschende“ in diesem Sinne könnten dann nicht nur der Staat und seine Funktionäre sein, sondern auch politische Parteien, Banken, Medienkonzerne und sonstige „Mächtige“. Es gehe also darum, Allgemeinbelange durchzusetzen, die zu kurz kämen und zu kurz zu kommen drohten. Es gehe aber nicht um das Durchsetzen bloßer Eigeninteressen wie bei Aktionen von Bürgerinitiativen und bei Demonstrationen gegen Deponien oder Windkraftanlagen. Allerdings sei das nicht immer leicht abzugrenzen. Auch könnten die Vorstellungen von Gemeinwohl durchaus unterschiedlich sein.

Für von Arnim besteht die zentrale Frage darin, „ob ein Recht zum Widerstand besteht, und unter welchen Umständen es besteht“. Doch gehe es in der Diskussion auch um eine moralische Frage: „Unter welchen Umständen kann Widerstand – unabhängig vom Recht – ethisch gerechtfertigt sein?“

Zu unterscheiden sind, wie er weiter ausführte, der große und der kleine Widerstand. Der große sind Maßnahmen gegen ein Unrechtsregime, der kleine richtet sich gegen einzelne Mißbrauchsakte der Herrschenden. Den kleinen Widerstand nennt von Arnim mit dem Staatsrechtslehrer Ralf Dreier „das kleine Widerstandsrecht der Normallage“. Damit seien jene zahlreichen legalen Möglichkeiten, sich zu widersetzen, gemeint, die das Verfassungsrecht ausdrücklich eröffne, also Widerstand zum Beispiel mit Wort und Feder, durch Demonstrationen und mit direkter Demokratie.

In Sachen großer Widerstand befaßte sich der Rechtswissenschaftler Christian Tomuschat mit der Frage, ob die Vereinten Nationen (UN) und das Nato-Selbstverteidigungsbündnis den innerstaatlichen Widerstand gegen Diktatoren unterstützen dürfen. Er differenzierte dabei nach sanften Mitteln des politischen Dialogs, nach Zwangsmitteln, die dem UN-Sicherheitsrat vorbehalten sind, und nach humanitärer Intervention.

Hans-Olaf Henkel (siehe Interview auf Seite 3 dieser Ausgabe) sprach über seinen Widerstand gegen die Rettungsschirmpolitik der Euro-Staaten, wie er es jetzt allenthalben vorträgt: Warum er anfangs den Euro befürwortet hat, warum er heute gegen den Einheits-Euro ist, welche schlimmen Folgen die derzeitige Politik für Deutschland, Europa und die Demokratie hat, welche Alternativen es gibt. Henkels Alternative ist: Deutschland, die Niederlande, Finnland und Österreich steigen aus und begründen eine andere Euro-Währungsunion. Henkel warnt, daß die bestehende Währungsunion die Euro-Länder spalte, daß sich der schon bestehende Graben zwischen den Geber- und Nehmerländern verbreitere und daher der Spruch „Wir brauchen den gemeinsamen Euro für die europäische Integration“ falsch sei. Die Bruchstelle sei die zu Frankreich. „Mit Frankreich geht es nicht.“

Über direkte Demokratie als eine Form des Widerstands trug der Schweizer Rechtswissenschaftler Daniel Thürer vor. Er trat, was nicht verwunderte, für Volksabstimmungen (als Plebiszit oder Referendum) ein. Der gebildete Bürger sei unterfordert, wenn er nur alle vier Jahre mitbestimmen (wählen) dürfe. Direkte Demokratie erhöhe die Zustimmung zu den Beschlüssen und führe im Regelfall zu guten Ergebnissen. Die Schattenseite von Volksabstimmungen sei, daß sie Emotionen mobilisiere.

Die einstige CSU-Landrätin Gabriele Pauli, heute nach eigenem Bekunden „parteilos, fraktionslos, bürolos“, doch mit hohem Wahlergebnis als Abgeordnete im Bayerischen Landtag, berichtete über ihren Widerstand gegen das politische Etablishment und über Komplotte gegen politische Reformen in Bayern sowie gegen sie selbst, aber alles andere als farblos. Ein Jurist aus Bayern bestätigte ihr in der Diskussion, was sie aus Bayern geschildert habe, sei auch seine Erfahrung dort. Und ein hessischer Bürgermeister bekundete, Gleiches wie Frau Pauli erlebe er auch in Hessen.

Über „Widerstand mit Wort und Feder gegen politische Korrektheit“ sprach Thilo Sarrazin. Wie er unter anderem ausführte, werden gesellschaftliche Diskussionen nicht von der breiten Masse berufstätiger Menschen bestimmt, sondern heute vor allem von Vertretern der Medien. Als meinungsbildendes Kollektiv besäßen sie Macht und übten sie auch gerne aus. Denn die Bürger folgten dort, wo sie nicht selbst Experten seien, zu 90 Prozent den Meinungen, die ihnen die Medien anböten. Aus diesem Grund achte die politische Klasse zuerst auf die in den Medien geäußerten Meinungen und dann erst auf die Meinung der Bürger. Das nämlich, was über Personen, Programme, Probleme, Skandale, Entscheidungen geschrieben werde, sei in den meisten Fällen auch das, was der Bürger glaube. Die politische Klasse einerseits und die Medienklasse andererseits seien aufeinander angewiesen und auch aufeinander fixiert: Die Politik lasse sich durch die Medien lenken. Die Medien bewerteten die Politik und hätten durch die Art, wie sie den Daumen höben und senkten, auf den politischen Entscheidungsprozeß erheblichen Einfluß.

Von Arnim hatte sein eigenes Vortragsthema (Zeit für Widerstand?), als er es vor vielen Monaten formulierte, mit einem Fragezeichen versehen. Das Fragezeichen würde er heute, wie er in seinem Schlußwort zur Tagung sagte, weglassen. Ein Feld für „den kleinen Widerstand der Normallage“ ist für ihn als staatsrechtlichen Experten zum Beispiel die Klage beim Verfassungsgericht. Er selbst habe die deutsche Europawahl wegen Verfassungswidrigkeit der Fünf-Prozent-Klausel und der starren Listen angefochten. Wahlanfechtungen seien in Deutschland eine der ganz wenigen Möglichkeiten der Popularklage. Jeder Wahlberechtigte könne sie erheben. 30 Staatsrechtler-Kollegen und 500 weitere Bürger seien seiner Klage beigetreten. Am 3. Mai sei vor dem Bundesverfassungsgericht mündliche Verhandlung gewesen, am 9. November werde das Urteil verkündet. Und mit seinem gerade erschienenen neuen kleinen Buch „Politische Parteien im Wandel. Ihre Entwicklung zu wettbewerbsbeschränkenden Staatsparteien – und was daraus folgt“ (Duncker & Humblot) lege er die Basis für weitere Klagen gegen den exzessiven Parteienstaat.

Foto: Analogmultimeter zum Messen elektrischer Größen wie Widerstand: Belange des Gemeinwohls durchsetzen

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