© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Lockerungsübungen
Stabilitätsanker unserer Ordnung
Karl Heinzen

Der Glaube an die Selbstheilungskraft des Marktes ist nachhaltig erschüttert. Da die Kritiker des Kapitalismus von links daraus europaweit kaum Kapital schlagen können, werden uns immerhin bis auf weiteres zusätzliche politische Verwerfungen erspart bleiben. In ganz besonderem Maße gilt dies für Deutschland. Je traumatischer die Ausmaße der Schulden- und Währungskrise wurden, desto mehr verlor die Linke an Zuspruch in der Bevölkerung.

Das Verdienst, verunsicherte Wähler nicht dazu verführt zu haben, für eine trügerische Alternative zu stimmen, ist vor allem Gesine Lötzsch zuzuerkennen. Gemeinsam mit ihrem Doppelspitzenpartner Klaus Ernst hat es die Vorsitzende der Linken verstanden, den Personenkult in ihrer Partei zu beenden und dem Wähler den Eindruck zu vermitteln, es mit ganz gewöhnlichen Menschen zu tun zu haben, von denen er nichts Außerordentliches erwarten darf. Ihre Ankündigung, bei nächster Gelegenheit erneut für ihr Amt zu kandidieren, darf daher als Signal verstanden werden.

In einem Interview mit dem Neuen Deutschland hat Gesine Lötzsch nun offenbart, daß das, was ihr als Führungsschwäche ausgelegt wird, in Wahrheit als das erfolgreiche Bemühen um fundamentale Weichenstellungen anzusehen ist. Das neue Grundsatzprogramm der Linken hat ihr so viel Engagement abverlangt, daß tagespolitische Nebenschauplätze zurückstehen mußten. Dem Vorwurf, das Programm nehme eine Fülle von Positionsbestimmungen vor, die eine Suche nach Bündnis- oder Koalitionspartnern erübrigten, begegnet sie mit einem Bekenntnis zu ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung: „Ohne Opposition gibt es keine Demokratie.“

Damit erweist sie sich zugleich als die richtige Frau an der Spitze ihrer Partei, deren Aufgabe es ist, Unmut der Wähler zu neutralisieren. Wäre es anders, würde die Linke bewährten leninistischen Prinzipien folgen und sich nicht den Luxus divergierender Strömungen erlauben. Unter diesen sind ausgerechnet die Radikalen von strategischer Bedeutung für die Stabilität unserer Ordnung: Sie ernten den Zuspruch unversöhnlicher Wähler und desavouieren die Regierungsambitionen der Gemäßigten in der Partei. Bleiben sie dieser Rolle treu, muß niemand befürchten, eine solide Mehrheit links der Mitte, die in Wahlen stets möglich ist, könnte politische Konsequenzen haben.

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