© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Herren der Lüfte
Vor 75 Jahren griff das Deutsche Reich mit der Entsendung der „Legion Condor“ in den Spanischen Bürgerkrieg ein: Eine Geschichtsbetrachtung von unten
Horst Boog

Vor 75 Jahren begann mit der Einschiffung von deutschen Soldaten der „Legion Condor“ das deutsche Engagement im Spanischen Bürgerkrieg. Bereits vor einigen Monaten hat die Historikerin und frühere Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden Stefanie Schüler-Springorum sich diesem Thema genähert, „aus Neugier und aus Sympathie für die Spanische Republik“, wie sie schreibt, aber auch weil die Legion Condor mit ihrem zeitlich gebundenen Auftrag ein überschaubarer militärischer Verband gewesen sei.

Wenn man diese Sympathie, verbunden mit einer gewissen Distanz zum Militärischen, auch immer wieder mehr oder weniger durch die Zeilen spürt‚ ist das Werk doch eine überaus detailreiche, auf breitester in- und ausländischer Quellenbasis fußende und um Sachlichkeit bemühte Darstellung des Alltagslebens dieser deutschen Legion im Bürgerkriegs-Spanien. Es wird keine militärische Operationsgeschichte geboten, sondern eine Geschichte des Militärs – in diesem Fall beschränkt vor allem auf das fliegende Personal der Legion Condor – als Teil der Gesellschaft. Es ist „neue Militärgeschichte“, Militärgeschichte von unten. Gegenstand sind deshalb die mentalen Werthaltungen, sozialen Prägungen, Verhaltensweisen, Erfahrungen, Deutungen und Erinnerungen der Beteiligten am Spanischen Bürgerkrieg. Kulturgeschichte soll die Militärgeschichte durchdringen, und das Ganze soll in die Geschichte von Krieg und Gewalt im 20. Jahrhundert eingeordnet werden, insbesondere eine „männliche Sozialisation in Militär und Krieg“.

Daß bisher, wie die Verfasserin behauptet, um die Geschichte der deutschen Luftwaffe, der die Legion schließlich angehörte, ein großer Bogen gemacht wurde, bedarf, auf die deutsche Historikerzunft bezogen, doch näherer Erläuterung. Hier wirkte sich nämlich der Umstand aus, daß die meisten deutschen Luftwaffenakten bei Kriegsende von der Luftwaffe selbst vernichtet wurden und der immer noch anschauliche Rest jahrzehntelang in englischem und amerikanischem Gewahrsam war, von wo sehr wichtige Bestände erst Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre zurückgegeben wurden. Abgesehen von den seinerzeit nicht veröffentlichten Studien ehemaliger deutscher Luftwaffenoffiziere bei der amerikanischen Historical Division über einzelne Aspekte und Operationen der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg entstanden die ersten aktengestützten Veröffentlichungen über die Luftwaffe in den angelsächsichen Ländern. Auch in Deutschland erschienen die Kriegserinnerungen prominenter ehemaliger Luftwaffenoffziere. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt hat aber dann noch vieles nachgeholt.

Die Autorin ist der Auffassung, daß die Legion Condor den ersten modernen Luftkrieg mit massivem Einsatz gegen die Zivilbevölkerung geführt habe. Dies klammert jedoch aus, daß etwa zur gleichen Zeit die Japaner im Krieg gegen China, die Italiener im Abessinienkrieg und schon vorher die Franzosen in Nord-afrika gezielt gegen die einheimischen Bevölkerungen der Gegner mit ihren Bombern vorgingen und daß die Kräfte der Legion Condor für ein massives Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung in den Städten viel zu gering für einen dauerhaften Erfolg waren und deswegen solche sicher auch versuchten Bombardements, soweit diese nicht mit Kollateralschäden bei Angriffen auf militärisch relevante Ziele in den Städten verwechselt wurden, bald aufgab, wie aus einem der „Rügen“-Berichte hervorgeht.

Schließlich widerlegt sich die Autorin im Verlauf ihrer Darstellung selbst, indem sie mehrmals auf das tatsächliche Überwiegen des taktischen Einsatzes der deutschen Fliegerkräfte zur Unterstützung der spanischen Bodentruppen hinweist und später betont, daß die Heeresunterstützung für die Luftwaffe die wichtigste Erkenntnis war und man zur weiteren Vervollkommnug dieses taktischen Einsatzes im Polenfeldzug einen besonderen Verband unter General Wolfram Freiherr von Richthofen, letzter Befehlshaber der Legion Condor, aufstellte.

Zivile Schäden im Kampfgebiet waren daher im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zum militärischen Erfolg völkerrechtlich erlaubt, wenn man einmal von der Illegalität der Beteiligung an diesem Krieg an sich absieht und die Handlungen in diesem Kriege von unten betrachtet. Gemäß dieser von der Verfasserin bevorzugten Sicht bleiben die mit Guernica verbundenen taktisch-operativen Absichten der Legion Condor unterbelichtet und wird das gegen eine Straßengabelung und Brücke gerichtete Bombardement als Flächenangriff und nicht als Operation im Rahmen der taktischen Abriegelung interpretiert und das Schicksal der betroffenen Bevölkerung herausgestellt wie auch manche Gedanken in den Köpfen der Bomberbesatzungen.

Es ist des weiteren zweifellos richtig, daß die Verfasserin die vielen im Laufe der Zeit vorgebrachten Gründe für das Eingreifen Deutschlands in den Spanischen Bürgerkrieg eingangs Revue passieren läßt und anfangs keinem von ihnen den Vorrang einräumt. Besonders hervorzuheben ist ihre Feststellung, daß militärische Gründe 1936 noch keine große Rolle spielten. Sie entwickelt dann später, wie aus einer anfänglichen Zusage für den Lufttransport ohne vorläufig weiteren Plan neue Möglichkeiten und Begründungen entstehen, um das spanische Geschehen mit dem Schlagwort des „Kampfes gegen den Bolschewismus“ zugunsten von Deutschlands Interessen, vor allem den wirtschaftlichen und militärischen, auszunutzen.

Das Leben der Legion Condor wird eingebettet in die Geschichte der Fliegerei in Deutschland, angefangen mit der Entwicklung der Fliegertruppe im Ersten Weltkrieg und der Geburt des Männlichkeits- und Eliteideals vor allem des auf sich allein gestellten Jagdpiloten, das eine große Anziehungskraft besonders auf gebildete junge Leute hatte. Es folgt die deutsche Segelflugbegeisterung der Weimarer Zeit, die auch die Versailler Vertragsbeschränkungen der deutschen Militärluftfahrt überbrücken helfen sollte und von Peter Fritzsche vor fast zwanzig Jahren schon ausführlich beschrieben wurde.

Was den Aufbau der Luftwaffe im Dritten Reich anbetrifft, so sollte doch das Bild etwas korrigiert werden. Die Heterogenität ihres Offizierkorps und die überragende Bedeutung der Technik sprach weniger für eine NS-ideolo-gische Ausrichtung dieser Waffe, als der Name Görings an der Spitze vermuten ließ. Schüler-Springorum arbeitet heraus, daß sich die Fliegertruppe der Legion Condor hauptsächlich aus Angehörigen der Jahrgänge 1910 bis 1914, darunter weit über die Hälfte Abiturienten, zusammensetzte. Diese Jahrgänge hätten vom Ersten Weltkrieg nicht mehr viel und vom Nationalsozialismus noch wenig gewußt. Dagegen hätten sie in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre relativen Wohlstand erlebt, der mit der Wirtschaftskrise 1929 sein jähes Ende fand und vielen Einstiegsschwierigkeiten in einen Beruf brachte, die ein wichtiger Grund für die Freiwilligenmeldung zur Luftwaffe waren, galt diese doch als Elitetruppe, ebenso wie später die Legion Condor. Meldungen zu letzterer versprachen sozialen Aufstieg, militärische Bewährung, höhere Bezahlung und – nicht zuletzt – Sonne und Abenteuer.

Daß es bei diesen Meldungen nicht immer ohne Druck von oben herging, wird erwähnt. Da das Unternehmen geheimgehalten werden mußte, kam es bald zu Schwierigkeiten, insbesondere von den Angehörigen, die Näheres über ihre „Spanienkämpfer“ wissen wollten. Am Ende des Buches wird den Erinnerungen der Legionäre an ihre Zeit in Spanien und den Nachkriegskarrieren bekannter Fliegeroffiziere und Persönlichkeiten vor allem in der Bundeswehr mit nicht sehr großer Sympathie nachgegangen.

Dazwischen gibt es einen Wust von Gesichtspunkten, die behandelt werden.Da sind die Differenzen und Probleme zwischen Auswärtigem Amt, Partei und Luftwaffe hinsichtlich Spaniens. Eine Besonderheit des Buches ist, daß es sehr viel primäre Information aus den Briefen, Tagebüchern und Erinnerungen der Legionäre schöpft. Man erfährt, was diese von den Spaniern hielten, wie sich manch positives Urteil über die Rotspanier mit negativen Meinungen über die Nationalspanier paarte, deren Boden-truppen, ausgenommen die marokkanischen Hilfstruppen, nach Bombenangriffen der Legion meist nicht schnell genug vorrückten oder deren Offiziere sich manchmal zu stolz gebärdeten.

Umgekehrt galten auch die deutschen Offiziere bei den Spaniern oft als arrogant, wie die Deutschen trotz ihrer mit den Spaniern abgesprochenen Bombenangriffe eben deswegen immer unbeliebter wurden. So gelten auch lange Passagen der sogenannten deutsch-spanischen Waffenbrüderschaft und der entsprechenden, allerdings nicht besonders intensiven Traditionsbildung. Es gab eigentlich keine richtige Waffenbrüderschaft. Zu kritisch standen die deutschen Militärs der nationalspanischen Armee gegenüber, und die kollateralen Bombenschäden fanden immer weniger das Wohlgefallen der Spanier. War die Legion Condor vor allem eine Fliegertruppe, so das spanische Militär hauptsächlich eine Bodentruppe, die unter primitiveren Umständen lebte als die privilegierten Flieger.

Die nach der Eroberung des Südens von den Nationalisten durchgeführten Massenschießungen von Kommunisten, die den Massenmorden der Republikaner an Priestern und Nonnen und Bessergestellten in den ersten Kriegsmonaten entsprachen, fanden nicht das Gefallen der Deutschen. Auch politisch war das deutsch-spanische Verhältnis nicht frei von Spannungen, nicht zuletzt wegen der deutschen Versuche der Ausbeutung spanischer Erzminen und der propagandistischen Einflußnahme der NSDAP auf das Leben der Spanier. Die wachsende Bedeutung der deutschen Hilfe ließ manchen Spaniern ihr Land schon als deutsches Kolonialgebiet erscheinen. Schließlich stand zwischen beiden Ländern noch die deutsche Forderung auf Begleichung der Schulden für die deutschen Hilfsleistungen, ein Problem, das sich zu Anfang des Zweiten Weltkrieges dann von selber löste.

Von den vielen anderen Aspekten, die im Buch angeschnitten werden, kommt der zwischen deutschen und spanischen Historikern Mitte der neunziger Jahre geführte Disput über die Frage, ob die deutsche Luftwaffe strategisch ausgerichtet gewesen sei, zu kurz, obwohl jene Strategie mit den Lehren aus dem Spanischen Bürgerkrieg zusammenhängt. Aber die Kritik erfordert eine auch unter Berücksichtigung der Zeit differenzierte Antwort und wurde hier möglicherweise deswegen ausgelassen.

So enthält das Buch ein Potpourri von aneinandergereihten Beobachtungen und Reflexionen, die manchmal Interessantes, Amüsantes und Wichtiges, wie insbesondere die Beobachtungen zum deutsch-spanischen Verhältnis, beinhalten, manchmal aber auch Belangloses, wie es bei „Geschichtsbetrachtung von unten“ nicht auszuschließen ist. Dies rührt von einem natürlichen Interesse der Menschen in einer Demokratie her, und es kann vielleicht auch nicht schaden, das Militär einmal ein bißchen anders als bisher zu betrachten, nämlich als Teil der Gesellschaft.

 

Dr. Horst Boog war leitender wissenschaftlicher Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) in Freiburg. Er ist Herausgeber der Bände „Luftkriegführung im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich“ (1992) und Verfasser des Beitrags zum Luftkrieg im Schlußband 10 der MGFA-Reihe über den Zweiten Weltkrieg.

Stefanie Schüler-Springorum: Krieg und Fliegen. Die Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg. Schöningh Verlag, Paderborn 2010, gebunden, 369 Seiten, 39,90 Euro

Foto: Flugzeuge der Legion Condor werden auf einem spanischen Flugplatz für den Einsatz vorbereitet; Standarte der Legion Condor: Überwiegend taktische Einsatze zur Unterstützung spanischer Bodentruppen

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