© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

König aller deutschen Stämme
Nach dem Aussterben der Karolinger war die Königswahl des Herzogs Konrad von Franken eine entscheidende Wegmarke zur Reichseinheit der Deutschen
Jan von Flocken

Hatto, Erzbischof von Mainz und mächtigster Kirchenfürst Deutschlands, war am 10. November des Jahres 911 am Ziel seiner Wünsche. Im Pfalzgebäude der oberfränkischen Stadt Forchheim an der Regnitz wählten die Vertreter des Adels der Franken, Sachsen, Bayern und Schwaben seinen Schützling, den etwa 30jährigen Herzog Konrad von Franken, zum König. Die Salbung des neuen Herrschers durch Hatto leitete, von den Zeitgenossen nahezu unbemerkt, eine neue Epoche der deutschen Geschichte ein.

Konrad I. erlangte vor 1100 Jahren die Herrscherkrone der ausgestorbenen Karolinger-Dynastie im deutschen (ostfränkischen) Reich. Sein erklärtes Ziel bestand in der Vereinigung aller deutschen Stämme zu einem Einheitsstaat; der Zentralgewalt des Königs, wie sie zur Zeit Karls des Großen existiert hatte, wollte der Frankenherzog wieder zum Durchbruch verhelfen. Zu diesem Behuf sicherte er sich vor allem den Beistand der süddeutschen Kleriker, die lieber einem einzigen weltlichen Herrn als mehreren gehorchen wollten.

Doch die Vorzeichen standen ungünstig. Das mächtige von Friesland bis zur Provence reichende Herzogtum Lothringen erkannte Konrads Königtum nicht an und schloß sich dem westfränkischen Reich (später Frankreich) an. Die anderen vier Herzöge waren mit gegenseitigen Fehden beschäftigt und mußten sich überdies der räuberischen Überfälle des Reitervolkes der Ungarn erwehren, die erst eine Generation später unter Otto I. und der siegreichen Schlacht auf dem Lechfeld 955 über die Magyaren ein Ende fanden.

Vorrangig zwei Feudalherren machten Konrad I. das Leben schwer: Herzog Arnulf von Bayern, mit dem bezeichnenden Beinamen „der Böse“, und Herzog Heinrich von Sachsen. Letzterer verfügte in seinem Territorium (das ungefähr dem heutigen Bundesland Niedersachsen entspricht) über eine sehr starke wirtschaftliche, militärische und politische Stellung. Er besaß zudem die volle Unterstützung des sächsischen Adels und der ansässigen Bischöfe.

Gemeinsam mit seinem obersten Berater Erzbischof Hatto von Mainz (der schon im Mai 913 starb) versuchte Konrad, sein Königtum gegen die unbotmäßigen Feudalherren zu verteidigen. Wie es den Gewohnheiten der Zeit entsprach, griff er selbst zu den Waffe und ritt seinen Kriegern im Kampf voraus. Gegen Heinrich von Sachsen, seinen ärgsten Widersacher, mußte er bei Grona in der Nähe von Göttingen eine militärische Niederlage einstecken. Allerdings scheint es im Jahre 915 zu einem Ausgleich zwischen beiden Fürsten gekommen zu sein. Ob Heinrich tatsächlich eine Unterwerfung (deditio) vollzog, wie es spätere Quellen behaupten, ist unwahrscheinlich. Eher kam es wohl zu einer Anerkennung des Status quo mit gegenseitiger Respektierung der jeweiligen Einflußzonen.

Konrads Kampf um die Einheit des Landes war gewiß nicht von Skrupeln belastet. Ein mittelalterlicher Geschichtsschreiber meinte, es „sank unter der Last der Krone seine sonst edle Natur bisweilen zur Grausamkeit und Tücke“. Drei rebellische Pfalzgrafen aus Schwaben ließ er nach ihrer Gefangennahme kurzerhand enthaupten. Doch letztlich erwies sich der Franke als weitsichtiger Politiker. Weil seine wesentlich ältere Gemahlin Kunigunde keine Kinder mehr bekommen konnte, mußte sich der König Sorgen um das Erbe machen. 917 war er in einem Gefecht schwer verwundet worden; beim damaligen Stand der Medizin war mit seinem baldigen Tod zu rechnen.

In der Stadt Weilburg faßte Konrad I. im Winter 918 einen folgenschweren Entschluß, das „Weilburger Testament“. Wie der Geschichtsschreiber Widukind von Corvey berichtet, soll der Monarch seinem Bruder Eberhard den Auftrag erteilt haben: „Nimm diese Kleinodien: die heilige Lanze, die goldenen Armreifen, den Purpurmantel, das Schwert und die Krone der alten Könige. Bringe sie dem Herzog Heinrich und mache ihn dir zum Freund. Sage ihm, daß ich ihn zu meinem Nachfolger empfohlen habe – ihn, der am tüchtigsten und würdigsten ist, über alle deutschen Stämme zu herrschen.“ Konrad hatte erkannt, daß bei aller Feindseligkeit allein Heinrich von Sachsen das politische Format besaß, jene Aufgabe zu verwirklichen, an der er selbst gescheitert war – die Reichseinheit der Deutschen. Vielleicht, diese Spekulation sei gestattet, wollte Konrad seinen Kontrahenten überdies erleben lassen, welch schwere Last die Königskrone ihrem Träger aufbürdet.

Wie die folgende Regierung König Heinrichs I. (919–936) beweisen sollte, fällte sein Vorgänger eine sehr kluge Entscheidung zum Wohle der deutschen Einheit. Konrads Wirken als erster deutscher Herrscher wurde so postum von Erfolg gekrönt. Es war das Lebenswerk eines häufig unterschätzten Mannes, dessen vorsichtiger Wahlspruch lautete: „Fortuna, quum blanditur, fallit.“ (Wenn uns das Glück lacht, dann betrügt es.)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen