© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/11 / 04. November 2011

Umwelt
Atomare Abstrafung
Wolfhard H. A. Schmid

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima hat nun auch die politische Landschaft der Schweiz erreicht. Allerdings wurde anders als in Deutschland nicht das linke Spektrum, sondern die Mitte gestärkt (JF 44/11). Sozialdemokraten und Grüne verloren, die Grünliberalen (GLP) und die Bürgerlichen Demokraten (BDP) konnten hingegen zusammen fast elf Prozent der Stimmen gewinnen. Das ging vor allem zu Lasten der liberalen FDP und der rechtsbürgerlichen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die beide weiter der Kernkraft – trotz ihrer offensichtlichen Risiken – positiv gegenüberstehen. Die eidgenössischen Bürger bestätigten mit ihrer Wahlentscheidung auch den Kurs des Schweizerischen Bundesrats (Regierung), der nach Fukushima den schrittweisen Atomausstieg bis zum Jahr 2034 und ein Bauverbot für neue Atomkraftwerke beschlossen hatte. Beide Parlamentskammern votierten bereits im September für die Regierungspläne. Angesichts der Stimmenverluste für die „Atomparteien“ FDP und SVP dürfte auch eine mögliche Volksabstimmung den Ausstieg nicht revidieren.

Angesichts des Salto mortale der Bundesregierung bei der sogenannten Energiewende beweist die Schweiz aber dennoch wieder einmal mehr politische Besonnenheit. Mit über 38 Prozent Atomstrom liegt die Schweizer Energieversorgung etwa auf dem Vorwendeniveau Bayerns, der Anteil ist damit mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Ein beschleunigter Totalausstieg wäre daher ohne massive Stromimporte nicht realisierbar. Dazu kommen mehr als 56 Prozent Wasserkraft. Der Rest kommt von konventionellen thermischen Anlagen (Kohle, Öl, Gas) und sonstigen regenerativen Stromquellen (Wind, Sonne, Biogas). Die Atomkraftwerke in der Schweiz werden durch das eidgenössische Sicherheitsinspektorat ENSI überwacht. Laut Gesetz sind die AKW-Betreiber selbst für die Entsorgung des Atommülls verantwortlich. Die Mittel für Stillegung und Rückbau der Atomanlagen werden seit 1984 in einen vom Bund verwalteten Stillegungsfonds einbezahlt. Seit den neunziger Jahren wird die geologische Tiefenendlagerung untersucht, bei mittelradioaktivem Abfall auch mit gewissem Erfolg. Bislang lagert der Atomabfall im Zwischenlager Würenlingen. Ängstliche Naturen müssen ohnehin noch bis 2034 zittern, denn vier Schweizer AKW befinden sich am Hochrhein – in unmittelbarer Nähe zum grün-rot regierten Baden-Württemberg.

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