© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Arabischer Winter
Fragen über Fragen
Herbert Ammon

In der Erregung über die unendliche Euro-Krise, über immer neue Gipfeltreffen, über Papandreous erst angekündigten, dann wieder abgeblasenen Volksentscheid hat sich die monatelang medial verbreitete Euphorie über die „Arabellion“ abgeschwächt. Um so mehr drängen sich – nicht nur angesichts der blutigen Szenen vom Sieg der bunt gemischten Freiheitskämpfer in Libyen – Fragen nach Ursprung und Fortgang des arabischen Frühlings auf.

Gewiß, ein interessanter Aspekt ist die Rolle der neuen Medien, von Internet, Facebook und Twitter, bei der Mobilisierung von „Massen“ beim Durchbruch der neuen Freiheit. Es sei die politisch aufgeschlossene Jugend gewesen, die dank moderner  Kommunikationstechnik ihre Erhebung gegen die autoritären Machthaber in Tunis, Kairo und Sanaa organisieren konnte. Angeblich sprang so auch der Funke der Freiheit  nach Benghasi über und führte  zum Triumph der Gaddafi-Feinde in Tripolis und Sirte. War es wirklich so? Was waren die tieferen Motive der mit – im Text der Resolution begrenzten – Uno-Mandat ausgestatteten westlichen Interventen? Warum scheiterte zuvor der Aufstand der Schiiten in Bahrain so schnell an saudischen Panzern? Vor allem: Was wissen wir über die konkurrierenden Strömungen, was über die realen Machtverhältnisse in der Arabellion? 

In Tunesien herrscht bei den Säkularen Besorgnis angesichts des Wahlsieges der angeblich demokratisch gemäßigten Ennahda-Bewegung. In Sanaa präsentierte sich eine junge Anführerin des Aufstandes gegen Ali Saleh als frauenrechtlich engagierte fromme Muslima, ganz ohne Gesichtsschleier. Können wir’s glauben? In Libyen erklärte der Regierungschef Abd al Rahim al Kib, vorgestellt als Gegenpol zum Vorsitzenden des Übergangsrates Mustafa al-Dschalil (ehedem rabiater Justizminister unter Gaddafi), man garantiere, daß „die Menschenrechte respektiert“, Verletzungen „nicht akzeptiert werden. Aber wir brauchen Zeit.“

Bis dahin bleiben Fragen bezüglich des Wahlausgangs  in Ägypten: Was passiert nach dem voraussichtlichen Sieg der Moslembrüder? Und im Hinblick auf die Migration: Wie sind die Erwartungen der rebellierenden Jugend zu befriedigen? Schließlich: Wie reagiert unsere Integrationsindustrie auf den jüngsten Anschlag auf die französische  Satirezeitschrift Charlie Hebdo?

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

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