© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Die Unschlagbare
Linkspartei: Sahra Wagenknecht auf dem Weg an die Parteispitze
Thorsten Hinz

Der Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht haftet der Ruf der Stalinistin an: doch bloß noch als kokettes Markenzeichen. Sie hat gelernt, flexibel zu sein und den Vorsitz der Kommunistischen Plattform abgegeben. Nun ist sie zur stellvertretenden Fraktionschefin aufgestiegen und sogar als künftige Parteivorsitzende im Gespräch.

Hintergrund ist die Not der Linkspartei, die trotz Schulden-, Euro- und Bankenkrise an Zuspruch verliert. Den Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst traut niemand die Wende zu, und Gregor Gysi kann nicht überall sein. Wagenknecht ist Dauergast in Talkshows und gibt Interviews am laufenden Band. Nein, keine Personaldebatten, wehrt sie entsprechende Fragen ab, doch ihre Vorstellung vom idealen Vorsitzenden teilt sie trotzdem mit: „Er muß die Partei einen, also auch die Grundpositionen des Programms vertreten. Außerdem muß es jemand sein, der eloquent nach außen linke Positionen vermitteln kann und in Talkshows überzeugt“, sagte sie der Welt. Das heißt wohl: Wer, wenn nicht ich?

Beim Anblick ihrer Erscheinung drängt sich das altmodische Wort „apart“ auf: Ihre feinen Gesichtszüge, der verletzliche Schwanenhals, die altmodische Frisur und Kleidung, die meist signalrot leuchtet, verleihen ihr etwas Hoheitsvolles. Hinzu kommt ein intellektuelles Strahlen, sobald sie zu einer Antwort ansetzt. Sie verfügt über ein Charisma, das viele fasziniert, vor allem aber für Distanz sorgt. Ihre militante – inzwischen deutlich abgemilderte – Sprache bildet dazu den medientauglichen Kontrast. Allerdings konnte sie stets darauf setzen, daß die PDS/Linkspartei trotz der Gegner- und mitunter Feindschaft, die ihr entgegenschlug, vom bundesdeutschen System als ein notwendiges Übel akzeptiert wurde, das dazu beitragen würde, den „Sonderfall Ost“ zu absorbieren. Alles war schließlich besser als die Vorstellung einer Rechtspartei, die von den neuen Ländern ihren Ausgang nahm.

Wagenknecht hat ihre Fähigkeiten, systemkompatibel zu agieren, perfektioniert. Ihre Verweise auf den Kalten Krieg und die immanenten Zwänge der DDR, die sie im Zusamenhang mit dem Mauerbau mittlerweile einräumt, kommen beinahe wie eine politisch-historische Analyse daher und fügen sich ohne weiteres in die Rhetorik der Bundesrepublik ein. Der Vorwurf in und außerhalb der Partei, sie distanziere sich nicht genügend vom Stalinismus, kann ihr nicht schaden, denn auch ihre Kritiker billigen Stalin, der lange vor Hitler zum Massenmord schritt, die historische Würde eines antifaschistischen Widerstandskämpfers zu.

Wenn Wagenknecht eine Ehrung der Stalinismus-Opfer ablehnt, weil sich unter diesen auch Faschisten befunden hätten, denkt sie diese historische Logik nur konsequent zu Ende und steht dabei fest auf der Grundlage einer antifaschistischen Grundgesetzauslegung. Folglich ist sie unschlagbar.

Im Bundestag ist sie eine der Klügsten. Die relevanten Wirtschaftstheoretiker unserer Zeit hat sie – was sogar das Handelsblatt anerkennt – nicht bloß gelesen, sondern auch verstanden. In ihrem neuen Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ legt sie dar, daß die globalen Finanztransaktionen die reale Wirtschaftsleistung der gesamten Welt um das heute mehr als 70fache übersteigen. Welche Schlußfolgerungen zieht sie nun aus der Euro- und Schuldenkrise? Es fällt auf, daß ihre Vorschläge ein zentrales Tabu peinlich beachten: Die Gemeinschaftswährung stellt sie niemals in Frage. Den französischen Vorschlag einer Banklizenz für den EFSF weist sie zwar zurück, doch sie fordert, daß die Staaten die Möglichkeit bekommen müßten, „über eine öffentliche Bank zinsgünstige Kredite bei der EZB aufzunehmen“. Würde das nicht auf eine Lizenz zum Gelddrucken, zur Inflation und zur schrankenlosen Transfer-union hinauslaufen? Keineswegs, glaubt Wagenknecht, der Schuldenstand sei durch eine Beteiligung der Banken und privaten Gläubiger, auch durch eine Vermögensabgabe für Millionäre drastisch zu senken. Außerdem müsse der Bankensektor in öffentlich-rechtliche Kontrolle überführt und reguliert werden.

So wie die Landesbanken, die durch windige Geschäfte gleichfalls ins Straucheln gerieten? Mit Einzelheiten hält Wagenknecht sich nicht auf. Für sie steht fest, daß die Staatsausgaben nicht zu hoch, sondern die Einnahmen zu gering sind. Eine Vermögensabgabe für „Millionäre“, für „Reiche“ und „Superreiche“ soll die Lücke schließen. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß der Schritt zu den „Besserverdienenden“ und schließlich zu den Normalverdienern, denen ohnehin schon mehr als 50 Prozent ihrer Einkünfte durch Steuern und Abgaben entzogen werden, ein sehr kleiner ist. Doch dazu und zur mentalen Verwahrlosung der Unterschichten, die sich durch falsche Anreize permanent regenerieren, ist von der wirtschaftspolitischen Sprecherin der Linken im Bundestag nichts zu hören.

Sahra Wagenknecht und das „System“ – der Staat, der zwischen seinen Funktionen als Dienstleister der Banken sowie als Sozial- und Gerechtigkeitsagentur hin und her schwankt – haben sich aufeinander zubewegt: Wagenknecht, indem sie den Kommunismus als Nahziel verabschiedet hat, sich  sozialreformistisch gibt und auf Ludwig Erhards „Wohlstand für alle“ schwört. Das System, indem es  die politisch-ökonomischen Prophezeiungen von Karl Marx übererfüllt hat und in Reaktion darauf, um den Systemkollaps abzuwenden, den Träumen der Marxisten vom großen Egalitarismus entgegenkommt. In diesem systemischen Zusammenhang wird Sahra Wagenknecht noch gebraucht.

Foto: Sahra Wagenknecht: Unter den Abgeordneten eine der Klügsten

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