© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Das Ende der Demokratie
Euro-Rettungspolitik: Die jüngsten Beschlüsse bringen Deutschland nicht nur den finanziellen Untergang
Bernd Noske

Mit den jüngsten Beschlüssen des Bundestags zum sogenannten Euro-Rettungsschirm EFSF und dessen Vervielfachung mittels „Hebelung“ ist klar: Deutschland haftet zugunsten von Drittstaaten und deren Gläubigern mit Hunderten Milliarden Euro, die es nicht hat und nie haben wird. Und dies geschieht freiwillig, da es zu diesem zeitlich und betragsmäßig unbegrenzten sowie EU-vertragswidrigen und unrechtmäßigen „Bail-out“ nicht verpflichtet ist.

Begünstigte dieser Haftungsübernahme sind direkt oder indirekt neben Versicherungen und Privatinvestoren vor allem Großbanken, die ihrem Investmentpersonal Millionen-Boni zahlen und im Fall der Not (wenn sie etwa einem Milliardenbetrüger aufsitzen wie 2008 die Société Générale und kürzlich die Schweizer UBS) ganz locker durch Rationalisierung und Realisierung stiller Reserven kurzfristig Hunderte von Millionen Euro mobilisieren können.

Und genau diesen Banken haben die verantwortlichen Politiker – mangels eigener ausreichender Durchdringung des von den Banken konstruierten Finanzlabyrinths – bei der Bearbeitung der Probleme (von Lösung kann man wohl nicht sprechen) zeitweilig die intellektuelle Führung überlassen.

Wenn diese vielfachen Garantie- und Nachschußverpflichtungen (auch über die Europäische Zentralbank/EZB) in Tranchen abgerufen werden, wird der Bundestag entweder Sparpotentiale in einer Größenordnung durchsetzen, die die Bevölkerung auf die Barrikaden treibt oder den Ausweg einer noch weiter erhöhten Verschuldung wählen müssen. Die erst 2009 ins Grundgesetz aufgenommende „Schuldenbremse“ (Artikel 109, 115 und 143d) ist damit schon jetzt Makulatur. Bei derzeit schon zwei Billionen Euro staatlicher Gesamtverschuldung werden zusätzliche Milliarden-Schulden zu steigenden Zinsen (das deutsche Kreditrating „AAA“ gerät in Gefahr) und weiteren Belastungen für die Zukunft führen.

Rechnet man die wohl uneinbringlichen Forderungen der Bundesbank innerhalb des Euro-Systems (Target-II-Salden über 460 Milliarden Euro, eine Art Überziehungskredit der Euro-Defizitländer) sowie deren Anteil am Risiko des 160-Milliarden-Bestandes der EZB an Euroanleihen hinzu, droht die Gefahr steigender Inflation – mit der Entwertung der Nettoeinkommen sowie der Ersparnisse. Diese Beseitigung aller Reste finanzieller Solidität wird den Wirtschaftsstandort Deutschland zusätzlich schwer schädigen, der durch eine unsinnige Energiepolitik ohnehin bereits angeschlagen sein wird.

Die jetzt beschlossenen Verträge (weitere Griechenland-Hilfen, Aufstockung und Hebelung des EFSF) sowie der künftige dauerhafte Euro-Rettungsfonds ESM werden für Deutschland auch dann noch verpflichtend sein, wenn die jetzigen Politakteure, die die Risiken als „vertretbar“ bezeichnen, längst abgewählt sind. Die sogenannten Euro-Rettungsmaßnahmen können nur unter Beteiligung der Nehmerstaaten geändert oder aufgehoben werden, womit die jetzigen Rechtsbrüche zu immer weiteren Rechtsbrüchen Anlaß sein werden.

Aber wie konnte es dazu kommen? Während zum Führen eines Kraftfahrzeuges ein Befähigungsnachweis erforderlich ist, kann jeder Bundestagsabgeordneter werden. Fachkenntnisse zur wenigstens oberflächlichen Durchdringung immer komplexerer Entscheidungsgegenstände sind nicht erforderlich. Die Abgeordneten nehmen es hin, daß Ihnen Vertragswerke häufig nicht rechtzeitig und in unverständlicher Form zur Verfügung gestellt werden. Meist werden die umfangreichen Entwürfe von vielen Abgeordneten gar nicht gelesen, geschweige denn verstanden.

Kein Abgeordneter würde beispielsweise für seine Familie Bürgschaften in mehrfacher Höhe eines Jahreseinkommens unterschreiben – in seiner Verantwortung für das Volk tut er es, da die Parteiführung es fordert und er meist mangels anderer Berufsmöglichkeiten auf den Erhalt des Mandates angewiesen ist. Im Grunde könnte die gesamte parlamentarische Schauveranstaltung, die den Steuerzahler mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr kostet, eigentlich abgeschafft werden.

Stattdessen könnten die Fraktionsführer mit den Stimmen, die die Partei bei den Wahlen erhalten hat, die Abstimmung im kleinen Konferenzraum durchführen. Mit der im September vom Verfassungsgericht abgesegneten Verlagerung wichtiger Entscheidungsbefugnisse auf den Haushaltsausschuß des Bundestages ist ein erster Schritt in diese Richtung getan. An den Entscheidungen würde sich nichts ändern.

Mit der Verhinderung des kompetenten, sachkundigen, nur dem Gesetz und seinem Gewissen verpflichteten und zu unabhängigen Urteilen fähigen Abgeordneten (bis auf wenige löbliche Ausnahmen) ist der Bundestag nichts anderes als eine Camouflage des Parteienkartells gegenüber dem Bürger und eine Alimentierungsbasis für willige Parteisoldaten. Die Demokratie ist mit der angeblichen Euro-Rettung am Ende.

Aber auch der Rechtsstaat ist am Ende. Wenn das höchste Gericht, das noch vor nicht langer Zeit in der Frage deutscher Haftung für Dritte klare Grenzen gezogen hat, nach über einjähriger Beratung dieses frühere Urteil vom Tisch wischt und diese komplexen Entscheidungen den nur formal unabhängigen Abgeordneten (von denen es wissen muß, daß sie damit hoffnungslos überfordert sind) überträgt, hat es den letzten Widerstand gegenüber der Parteienherrschaft aufgegeben. Karlsruhe hat sich aus seiner verfassungsmäßigen Verantwortung verabschiedet. Das gleiche gilt für Bundespräsident Christian Wulff, der sich im August mit seiner Kritik am Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB noch als Hoffnungsträger für die Bürger geäußert hat.

Die Parteiendiktatur ist damit jetzt endgültig etabliert. Dies ist für alle daran erkennbar, daß das Thema, welches die Bürger nach Umfragen heute am meisten beschäftigt und beunruhigt, nämlich die Stabilität des Geldwertes, die Kaufkraft der Einkommen und der Ertrag der Ersparnisse, die Stabilität der Arbeitsplätze und damit die Sicherung der finanziellen Unabhängigkeit, im Parlament nicht mehr stattfindet – nur die Linksfraktion hat sich bislang allen Euro-Rettungsmaßnahmen geschlossen verweigert.

Die etablierten Parteien überbieten sich geradezu beim beschleunigten Marsch in den Untergang. Die rot-grüne Opposition (Stichwort: Euro-Bonds) ist bei der vermeintlichen Euro-Rettung sogar noch eifriger engagiert als die schwarz-gelbe Regierungskoalition. Keine dieser Parteien ergreift die naheliegende Chance, sich gegen den „Bail-out“-Rechtsbruch in Opposition zu stellen und die Wählerstimmen der schweigenden Mehrheit einzusammeln.

Die Hintergründe dieses völlig unverständlichen und unverantwortlichen Verhaltens bleiben rätselhaft – oder ist all dies nur ein willkommenes Vorspiel zur alternativlosen Durchsetzung der „Zentralverwalteten Staaten von Europa“?

Foto: Nur wenige Abgeordnete im Bundestag: Im Grunde könnte die gesamte parlamentarische Schauveranstaltung eigentlich abgeschafft werden

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