© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Die Welt muß neoliberaler werden
Wirtschaftsliteratur: Was man über die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft wissen sollte / Streitschrift für einen korrekten Neoliberalismus-Begriff
Klaus Peter Krause

Die Welt muß neoliberaler werden.“ Das ist der Appell am Schluß dieses jüngsten Buches von Karen Horn. Ist da jemand, den das schockiert? Nein, denn am Ende des Buches sollte man verinnerlicht haben, was Neoliberalismus wirklich ist. Dann weiß man, daß es nicht jene Abirrung gleichen Namens ist, die Linke und andere Staatsgläubige als regellosen Laissez-faire-Kapitalismus mißverstehen und als verantwortungslosen „Marktradikalismus“ hinstellen und als eine Politik der „sozialen Kälte“ verunglimpfen.

Wohl gibt es so eine Laissez-faire-Haltung als gedankliche Spielart, aber die Zahl ihrer Vertreter ist gering und alles andere als repräsentativ für den ursprünglichen und korrekten Neoliberalismus-Begriff. Diese wird politisch benutzt als Zerrbild dessen, was Neoliberalismus wirklich war und noch ist. Das stellt die Autorin, seit 2008 Leiterin des Hauptstadtbüros des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) gleich in der Einleitung klar.

Auf diesem Neoliberalismus fußt die Soziale Marktwirtschaft, wie sie von 1948 an eingeführt wurde und wie sie Ludwig Erhard vertreten hat. Der Erfolg hat ihr die Bezeichnung Wirtschaftswunder eingetragen, obwohl ökonomisch kein Wunder, sondern die natürliche Folge einer vernünftigen Wirtschaftsordnung und der konjunkturellen Schubkraft, die entsteht, wenn ein kriegszerstörtes Land wieder neu aufgebaut werden muß.

Das Konzept dieser Sozialen Marktwirtschaft ist ein neoliberales Konzept. Allerdings haben es nachfolgende Politikergenerationen verwässert, durch zuviel „soziale“ Umverteilung, zuviel unnötige und kontraproduktive staatliche Intervention, nicht genug Freiheit, zuwenig Marktwirtschaft. Die Dehnbarkeit des Begriffs Soziale Marktwirtschaft lade dazu ein, „daß man ihn opportunistisch zieht wie ein Gummiband, so weit es geht“. Diese Dehnbarkeit sei Stärke und Schwäche zugleich: Stärke für das politische Marketing, Schwäche für die konzeptionelle Überdehnung.

Das Reißen zu verhindern – dazu soll, dazu kann das Buch beitragen. Zum Beispiel mit der Antwort auf so schlichte Fragen wie diese: „Wie kommt es eigentlich, daß die meisten Bedürfnisse der Menschen in Deutschland doch sehr ansehnlich befriedigt werden? Wie bringt eine Gesellschaft mit gut 80 Millionen Bürgern die unzähligen wirtschaftlichen Entscheidungen unter einen Hut? Wie kann es überhaupt sein, daß das, was der eine kaufen möchte, ein anderer tatsächlich herstellt, ohne daß dies jemand ’von oben’ festlegt oder daß darüber vorher eine öffentliche Beschlußfassung stattfinden muß? Wie paßt sich das riesige Getriebe der Wirtschaft daran an, daß die Verbraucher ständig ihre Vorstellungen und Wünsche ändern? Wieso ergibt das kein permanentes Chaos?“

Es sind die Preise, die das schaffen, die Preise, die sich im freien Wettbewerb bilden, die als Signale dafür wirken, Waren und Dienstleistungen anzubieten und  nachzufragen und dabei zu einem tendenziellen Ausgleich führen. Im Buch liest man: „Es ist für jeden Staatsbürger und Stimmbürger wichtig zu verstehen, wie das funktioniert. Wer nicht versteht, wie die Koordination von Märkten durch den Preismechanismus abläuft, der kann auch nicht ahnen, was alles aufs Spiel gesetzt wird, wenn die Politik diesen Koordinationsmechanismus kurzerhand aushebelt, um ’außerökonomische’ Ziele zu erreichen, zum Beispiel auf dem Gebiet des Umweltschutzes.“

Das Buch will „dem Leser die Angst vor dem Neoliberalismus nehmen“ – daher auch sein Untertitel. Im ersten Teil erfährt er, wo, wie und warum der Neoliberalismus entstanden ist und was er zum Inhalt hat. Dessen Entstehungszeit sind die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Keimzellen sind Wien (Österreichische Schule der Nationalökonomie), auch London und Chicago. Die deutsche Ausprägung des Neoliberalismus fand als Ordoliberalismus an der Universität Freiburg statt. Für die Wiener Schule stehen Ludwig von Mises und Friedrich A. von Hayek, für die Freiburger Schule Walter Eucken, Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack, der den Begriff Soziale Marktwirtschaft erfunden hat und Erhards Staatsekretär war. Beide Schulen ergänzen sich.

Eucken prägte den Begriff Ordnungspolitik, die dem Staat eigentlich nur die Rolle zuweist, für den Ablauf der Wirtschaft einen (liberalen) Ordnungsrahmen zu bestimmen und darauf zu achten, daß sich die Wirtschaftsakteure an dieses Regelwerk halten, und die dafür einen durchsetzungsfähigen starken Staat verlangt, der weder bevormundet noch sich von Lobby-Gruppen erpressen läßt, stark aber auch darin ist, „daß er weiß, wo er sich zurückhalten muß“. Das Gegenstück ist die staatliche Prozeßpolitik, die in den Wirtschaftsablauf direkt eingreift und die Wirtschaftsergebnisse korrigierend lenken will, also auf Interventionismus hinausläuft.

Über Euckens Ordnungssystem und Wettbewerbsordnung informiert ausgiebig der zweite Teil. Erläutert werden seine sieben „konstituierenden Prinzipien“ der wirtschaftlichen Wettbewerbsordnung, ebenso seine „regulierenden Prinzipien“, die die konstituierenden ergänzen und stützen sollen. Oder mit Horns Worten: „Wo die Politik nachhelfen muß“.

Zum Beispiel Monopole verhindern (Wettbewerbspolitik), Einkommen umverteilen (Politik sozialen Ausgleichs), die Wirtschaftsrechnung verbessern (Nebenwirkungen unternehmerischen Handelns in die Kostenrechnung einbeziehen, heute Internalisierung externer Effekte genannt), anomales Verhalten des Angebots korrigieren (sehr bedingt staatliche Mindestlöhne gegen Ausbeutung), aber auch öffentliche Güter bereitstellen (Beispiel: Straßenbeleuchtung) und natürliche Monopole regeln (Stromleitungen, Schienennetz). „Diese Prinzipien der Wettbewerbsordnung sind zeitlos. Sie lassen sich auch heute noch als Meßlatte anlegen an die Politik, auch und gerade in der Krise. Der Freiburger Imperativ enthält den Kern des neoliberalen Projekts. Er ist die Basis der Sozialen Marktwirtschaft“, so Horn.

Ein dritter Teil des Buches befaßt sich damit, wie sich das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland nach 1948 herausgebildet hat, wie es die Freiheit auf dem Markt mit dem sozialen Ausgleich verbindet, was das Soziale an der Sozialen Marktwirtschaft ist, worin der Staat stark sein muß und wo er sich zurückzuhalten hat. Behandelt werden soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Chancengleichheit, Lohnfindung und Tarifautonomie sowie Erhards politischer Siegeszug, das Godesberger Programm der SPD, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – und die Stunde Null, die für das damals zerstörte Deutschland eine Gunst war.

Im abschließenden vierten Kapitel geht es um Gefährdungen der Sozialen Marktwirtschaft, um Fehlgriffe, Fehlsteuerungen, Fehlanreize. Stichworte sind unter anderem die Fallstricke auf dem Arbeitsmarkt (Mitbestimmung, Diskriminierung der Arbeitslosen), die Folgen der Tarifautonomie, der aufgeblähte Staat, das keynesianische Programm, die Ökonomie im Blindflug, die Eigeninteressen der Politiker, das Geflecht der Interessengruppen oder das „Trittbrettfahren mit System“.

Sogar die „gemeinsamen Anstrengungen für das Klima“ kommen zur Sprache. Aber hier hat Horns Buch bedauerlicherweise doch auch einen Schönheitsfehler: Beim Stichwort Klimapolitik schwimmt es politisch korrekt im Mainstream von Politik und Wirtschaft mit.

Karen Horn: Die soziale Marktwirtschaft – alles, was Sie über den Neoliberalismus wissen sollten. FAZ-Verlag, Frankfurt 2011, 196 Seiten, gebunden, 24,90 Euro.

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