© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Der Architekt trug immer eine Bibel bei sich
Evangelischer Dom: Eine Ausstellung zum hundertsten Geburtstag der Christuskirche in Mannheim
Karlheinz Weissmann

Die Christuskirche in Mannheim wird auch der „evangelische Dom Nordbadens“ genannt. Das ist nur halbspöttisch gemeint. Tatsächlich erinnert das neubarocke Bauwerk, das Anfang Oktober vor hundert Jahren im Beisein des badischen Großherzogs Friedrich II. eingeweiht wurde, als Zentralkuppelbau von Ferne an St. Peter in Rom, stärker noch an die Frauenkirche in Dresden.

Wichtiger als das ist aber die Tatsache, daß die Christuskirche zu den besterhaltenen großen Sakralbauten aus der Zeit des Wilhelminismus gehört und mit vielen Elementen dem Jugendstil zugerechnet werden kann, der für die Architektur des modernen Mannheim eine besondere Bedeutung hatte, von dem aber in der schwer kriegszerstörten Stadt heute nur noch Reste zu finden sind. Eine Ausstellung in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen anläßlich des hundertsten Jahrestages der Einweihung der Christuskirche beleuchtet jetzt drei zentrale Aspekte der Kirchengeschichte: die Architektur, das Gemeindeleben und die Rolle der Musik.

Wie man der kenntnisreichen Darstellung zur Geschichte von Andreas Schenk in dem Begleitband „Die Christuskirche in Mannheim“ entnehmen kann, ging die Gestaltung der Kirche auf eine wichtige Veränderung in den Vorgaben für den evangelischen Kirchenbau zurück, die am Beginn des 20. Jahrhunderts vollzogen wurde. Bis dahin hatte die Festlegung im „Eisenacher Regulativ“ von 1861 gegolten, der zufolge man dem mittelalterlichen Muster eines langgestreckten Rechtecks zu folgen hatte.

Wie in katholischen Gotteshäusern war die Gemeinde auf den Altar ausgerichtet, die Kanzel sollte idealerweise an einem Vierungspfeiler angebracht werden. Dieser Vorstellung widersprach das 1889 veröffentlichte „Wiesbadener Programm“, das unter Verweis auf die zentrale Bedeutung des „Wortes“ im evangelischen Gottesdienst die Kanzel in den Mittelpunkt gerückt wissen wollte und von der strengen Fixierung auf das Rechteck abging. Dem Wandel kam auch entgegen, daß der im Historismus dominierende Rückgriff auf romanische und gotische Formen jetzt ergänzt wurde um Vorbilder, die man dem Barock entnahm; schon der 1894 eingeweihte Berliner Dom entsprach diesem Muster.

Bezeichnend ist jedenfalls, daß die Konkurrenzentwürfe für den Mannheimer Bau in Neuromanik oder Neugotik relativ rasch ausschieden und man dem Vorschlag des Stuttgarter Architekten Theophil Frey für eine neubarocke Kirche den Zuschlag erteilte. Nach dem überraschend frühen Tod Freys 1904 wurde dessen Schüler, der Architekt Christian Schrade, mit der Ausführung beauftragt. Zu Diskussionen mit dem Kirchengemeinderat über Details trug Schrade immer eine Bibel bei sich, um seine Argumente zu bekräftigen.

Daß nicht nur der Bau selbst, sondern auch das Bildprogramm am Äußeren wie im Inneren mehr als Dekoration war, vielmehr eine theologische Dimension besaß, kann man schon an der großen, vergoldeten Figur des Erzengels Michael mit dem Schwert und der Posaune des Gerichts auf der Kuppel sehen, aber vor allem am Figurenfries der Fassade, insbesondere der Darstellung des segnenden Christus über dem Hauptportal.

Auffallend, aber durchaus zeittypisch ist dabei die „johanneische“ Auffassung des Evangeliums, die sich auch im Raum der Kirche spiegelt: dem Kruzifix über dem Altar, das Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes zeigt, der Auswahl der Bibelzitate und den Glasmalereien im oberen Bereich, die Christus immer auf eine besondere Weise vergeistigt zeigen.

Die Christuskirche war als „Repräsentationskirche der Mannheimer Protestanten“ gedacht, wie es in einem zeitgenössischen Bericht hieß. Unter der weitgreifenden Vierungskuppel mit ihrem Radleuchter bot sie 1.380 Menschen Platz, und die oberhalb der Chorwand aufgestellte Orgel galt als „das bedeutendste und größte Orgelwerk Badens und eines der schönsten Deutschlands“. Bis heute ist die Christuskirche ein wichtiges kirchenmusikalisches Zentrum des deutschen Südwestens.

Man hat der Architektur des frühen 20. Jahrhunderts, auch der Sakralarchitektur, lange Zeit kaum Beachtung geschenkt. Das beginnt sich zu ändern. Die Christuskirche in Mannheim ist nicht nur ein eindrucksvolles Beispiel für die künstlerische Produktivität der wilhelminischen Ära, sondern auch Denkmal einer letzten Phase in der Geschichte des deutschen Protestantismus, in der es nötig war, den immer weiter wachsenden Gemeinden neue Gotteshäuser zu schaffen und diesen eine zeitgemäße Gestalt zu geben.

Die Ausstellung „100 Jahre Christuskirche“ ist bis zum 22. Januar 2012 in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen, Zeughaus C5, täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt kostet 5 Euro. Telefon: 06 21 / 2 93 31 50   www.rem-mannheim.de

Die Christus- kirche in Mannheim, Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2011, gebunden, 272 Seiten, 180 farbige Abbildungen, 20 Euro

Foto: Christuskirche in Mannheim: Ausgestellt sind Originalmodelle, Baupläne und Fotografien

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