© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

CD: G. Rossini
Tell in Rom
Jens Knorr

Ob ein gewisser Horst Köhler, als Bundespräsident zurückgetreten, als Vorkämpfer für einen „ganzen ‘Don Carlos’“, einen „ganzen ‘Tell’“ hervorgetreten (2005 im Berliner Ensemble), seine Freude an diesem „Guillaume Tell“ hätte?

Für Gioachino Rossinis letzte Oper, die seine erste Grand Opéra werden sollte, benutzten seine Librettisten neben dem Grundriß von Schillers letztem vollendetem Schauspiel einen französischen Roman und ein französisches Schauspiel aus der Zeit vor der Großen Revolution sowie Grétrys 1791 uraufgeführte Oper. Darüber hinaus dürfte dem Publikum der Pariser Uraufführung von 1829 ein vier Jahre vorher aufgeführtes Stück von Pixérécourt noch gegenwärtig gewesen sein.

Herausgekommen ist nicht der zaudernde Tell des verhinderten Politikers Schiller, sondern ein tatkräftiger und tatendurstiger Bariton, ihm zur Seite ein treuer Alt und ein Sopran in Hosen, ein unglücklich verliebter Tenor und eine ebenso unglücklich verliebte Sopranistin, die Landes- und Standesschranken überwinden und zum Finale doch noch glücklich zueinanderkommen dürfen, finsterstimmige Besatzer und hochgestimmte Freiheitskämpfer – welches Figurenensemble denn auch die Zensur, insbesondere die habsburgische, kräftig hat zulangen lassen. Politische Gründe zwangen nach der triumphalen Premiere 1829 an der Pariser Opéra zu Änderungen und musikalische Gründe, Länge und Anspruch der Oper selbst, zu Streichungen bis zur Unkenntlichkeit.

Nun ist es wieder ein „ganzer ‘Tell‘“ geworden. Antonio Pappano, seit 2002 Chefdirigent an Covent Garden, London, und seit 2005 an der Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Rom, hat mit deren Chor und Orchester in einer Serie von Konzerten im Oktober und Dezember 2010 die französische Fassung aufgeführt, der er die kritische Ausgabe von M. Elizabeth C. Bartlet mit kleineren Modifikationen und wenigen Kürzungen zugrunde legte.

Pappano dirigiert seinen „Tell“ aus der Perspektive des mittleren Verdi, Erbe nicht nur Donizettis, sondern eben auch Rossinis. Seine Sänger allerdings stehen den Techniken des Belcanto weitestgehend ratlos gegenüber. Insbesondere die Männer treiben eher die Bruststimme in die Höhe, als sie im Kopfregister mit der Kopfstimme zu mischen. Darin hat zumindest Tenor John Osborn einen großen Vorgänger in Gilbert-Louis Duprez, denn kein anderer als der hatte 1837 in einer Aufführung Arnold Melcthals hohe Noten zum Entsetzen Rossinis mit der Bruststimme genommen und damit das „do di petto“, das hohe C der Tenöre in die Welt gesetzt. Die hohen Tessiture ihrer Partien mit veristischen Mitteln anzugehen, das hört sich nur angestrengt pseudodramatisch an. Von diesen Einwänden abgesehen, scheinen die feinen, in den Ensembles superben Aufführungen ohne vordergründige Überrumpelungseffekte, die Sänger ohne solistische Eskapaden ausgekommen.

In seinem launigen Begleittext weist Stephen Jay-Taylor auf die tragende Rolle des Chores in dieser Grand Opéra mit Lieto fine hin, die nicht mit dem Triumph Wilhelm, pardon, Guillaume Tells schließt, sondern mit dem Triumph der gesamten Schweizer Nation. Und das ist doch fast so etwas wie ein „ganzer“ Schiller.

Giaochino Rossini: Guillaume Tell EMI Classics, 2011 www.emiclassics.de

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