© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/11 / 11. November 2011

Männer, Frauen und Kriegsspiele
Vollkommene Symbiose
Martin van Creveld

Spiele, insbesondere Kriegsspiele, sind ein sehr gutes Mittel, die wahre Natur von Männern, Frauen und ihren gegenseitigen Beziehungen zu verstehen. Und zwar gerade deshalb, weil Spiele das Reich der Freiheit sind, wie viele berühmte Autoren festgestellt haben, von Friedrich Schiller bis zu dem niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga (1872–1945). Diese Freiheit ist auf zwei Faktoren zurückzuführen.

Spiele sind, erstens, klar abgesondert von den Regeln des „gewöhnlichen“ Lebens. Sie bilden keinen Bestandteil jenes Lebens, sondern finden zu bestimmten Zeiten statt – sie haben einen klaren Anfang und ein klares Ende – und an bestimmten Orten – in einer Arena, auf einem Spielfeld oder einem Computerschirm. Innerhalb dieser Arenen, Spielfelder oder virtuellen Welten herrschen Regeln, die wenig mit den Zwängen, ob wirtschaftlicher oder politischer Natur, gemein haben, die in der „realen“ Welt gelten. 

Im Grunde liegt der eigentliche Reiz solcher Spiele gerade darin, daß während der Spieldauer diese Zwänge aufgehoben sind, damit das Spiel sich frei und ungehindert entfalten kann. Und zweitens ist die Teilnahme an Spielen, ob sie so harmlos sind wie Tennis oder so tödlich ernst wie ein Duell, weitgehend freiwillig. Wer will, spielt, wer nicht will, spielt nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Gerade diese Freiheit führte Huizinga dazu, Karl Marx zu widersprechen: Nach Meinung des letzteren liegt das wesentliche Merkmal, das den Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheidet, darin, daß er für seinen Lebensunterhalt arbeitet. Die Kultur ist für Marx lediglich „Überbau“, der auf dieser Grundlage errichtet wird und sie sowohl reflektiert als auch rechtfertigt. Huizinga dagegen gab der Kultur ihren rechtmäßigen Platz als eigentlicher Kern des menschlichen Daseins zurück, und ihren Ursprung sah er wiederum im Spiel. Dabei vergaß Huizinga zu erwähnen, daß die Menschheit, wie uns der moderne Feminismus in seiner Weisheit lehrt, nicht eine einzige Spezies umfaßt, sondern zwei.

Wie jeder Beobachter zu berichten weiß, sind die Unterschiede zwischen beiden nirgends so ausgeprägt wie auf dem Feld der Kriegsspiele. Jungen im Alter von zwei bis hundert lieben solche Spiele, sie haben sie schon immer geliebt und werden sie wohl immer lieben. Frauen nicht, und sie nehmen selten daran teil. Das war so in den Stammesgesellschaften, die sich zu verabredeten spielerischen Schlachten mit Speeren, Pfeil und Bogen trafen, bei den Gladiatorenkämpfen, den Ritterturnieren, Duellen und allen anderen Kriegsspielen. Und es bleibt auch heute so bei Paintball, Laser-Tag und dergleichen.

Da dieser Geschlechterunterschied auch für Schach – das Kriegsspiel par excellence – und Computerspiele gilt, hat er offensichtlich nichts mit den körperlichen Fähigkeiten zu tun. In der Vergangenheit sind verschiedentlich Versuche fehlgeschlagen, Frauen für das Schachspiel zu begeistern. Da der Verhaltensunterschied auch bei den anderen Primaten beobachtet wird, insbesondere bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, dürfte er wahrscheinlich dennoch biologische Wurzeln haben.

Es stimmt zwar, daß es eine kleine Zahl von Frauen gibt, und immer gegeben hat, die sich als Gladiatorinnen, Ringkämpferinnen – in Japan sogar Sumo-Ringerinnen –, Duellantinnen und so weiter hervorgetan haben. Heute nehmen manche Frauen an Schlammringkämpfen und professionellem Ringen teil. Aber meistens geht es dabei weniger um die Zurschaustellung kämpferischer Fähigkeiten als um Sex, weshalb die Frauen in vielen Fällen oben ohne kämpfen, sich breitbeinig auf das Gesicht der Gegner setzen und so weiter.

Das gleiche Phänomen kann man bei Computerkriegsspielen beobachten. Die meisten werden von jungen Männern für junge Männer entworfen. Es wundert nicht, daß die weiblichen Avatare meistens lange, fast schlangenähnliche Gliedmaßen besitzen, knapp bekleidet sind und diverse metallene Accessoires tragen, die sie wie Dominas aussehen lassen. Ihre Brüste sind in der Regel so gewaltig, daß sie im wirklichen Leben kaum geradestehen, geschweige denn kämpfen könnten.

Selten bilden Frauen mehr als zehn Prozent der Teilnehmer irgendeines Kriegsspiels, und oft ist der Prozentsatz viel kleiner. Das bedeutet aber nicht, daß Frauen im Kontext solcher Spiele überflüssig wären. Bei Kriegsspielen wie bei anderen Spielen und im richtigen Leben ohnehin sind viele männliche Aktivitäten darauf gerichtet, Frauen zu imponieren. Und die Frauen reagieren entsprechend.

Von den Gladiatorenspielen im alten Rom, wo es für die Vestalinnen reservierte Plätze gab, über die mittelalterlichen Turniere bis hin zu den Box- und Ringkämpfen von heute bilden Frauen zwar eine Minderheit unter den Zuschauern, aber eine laute Minderheit, die überdies durch offene Zurschaustellung ihrer sexuellen Reize auf sich aufmerksam zu machen versucht.

Wie uns Graffiti aus Pompeji zeigen, galten Gladiatoren als Männer, „die nachts Mädchenherzen trösten“. Der im dritten Jahrhundert schreibende christliche Autor Tertullian meinte, daß Männer „ihre Seele den Gladiatoren geben, Frauen ihren Körper und ihre Seele“. Mindestens zwei römische Kaiserinnen sollen Sex mit Gladiatoren gehabt haben: Messalina, Ehefrau des Claudius, und Faustina, Ehefrau des Mark Aurel.

Bei einem Turnierkampf in England 1331 brach die Frauentribüne, auf der sich auch Philippa, Frau des Königs Eduard III., befand, wegen Überfüllung zusammen. 1966, um nur eins von vielen modernen Beispielen zu erwähnen, wurde der Boxer Muhammad Ali bei seinem Besuch in London von Frauen belagert. Manche riskierten sogar ihr Leben beim Versuch, durch die Fenster in seine Hotelsuite einzubrechen.

Nach diesen und zahllosen anderen Beispielen zu urteilen, genießen viele Frauen durchaus den Anblick von Männern, die sich gegenseitig abschlachten. Und es geht nicht nur ums Zuschauen. Historisch vergaben Frauen gern die Preise bei Kriegsspielen aller Art. Manchmal bildeten sie auch selbst den Preis, mal unfreiwillig wie in dem altgriechischen Epos „Ilias“, mal freiwillig wie die Königin Herzeloyde in Wolfram von Eschenbachs „Parzifal“.

Bei einem Turnier in Magdeburg („Mägdeburg“) 1280, bei dem zum ersten Mal Bürger statt Ritter aufeinandergetroffen sein sollen, bildete eine Prostituierte den Hauptgewinn. Ab und zu organisierten Frauen Turniere, und in manchen Einladungsschreiben wurde dies angeführt, um Teilnehmer zu motivieren.

Weil Spiele, besonders Kriegsspiele, zum Reich der Freiheit gehören, eignen sie sich in besonderem Maß als Lackmustest für das menschliche Leben und die menschliche Natur, deshalb waren Huizinga und andere daran interessiert.

Da er vor dem Aufstieg des modernen Feminismus und der politischen Korrektheit arbeitete, machte Huizinga keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Hätte er das getan, wäre ihm die offensichtliche Tatsache klargeworden, daß die meisten Spieler Männer sind und daß Spiele, vor allem Kriegsspiele, vor allem dazu da sind, Frauen zu imponieren.

Und die Frauen lassen sich imponieren. Oft schauen sie den Männern zu, stacheln sie an, ermuntern sie, trösten sie, beten sie an und betteln darum, mit ihnen Sex haben zu dürfen. Je brutaler das Spiel ist, desto mehr scheint dies zuzutreffen.

Ohne diese Symbiose zwischen den Geschlechtern würde es womöglich gar keine Kriegsspiele geben – und, wenn man bedenkt, daß Kriegsspiele nicht nur vom echten Krieg unterschieden sind, sondern ihn auch spiegeln – vielleicht auch keinen Krieg.

 

Am 17. Oktober 2011 hielt der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld seine Antrittsvorlesung als Gastdozent am Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum der Universität Trier. Nach dem Vortrag skandalisierten linke Gruppen aus dem AStA-Umfeld  Crevelds Ausführungen als „frauenfeindlich, militaristisch, latent antiisraelisch, nicht zuletzt vulgärwissenschaftlich und methodisch primitiv“. Die Leitung der Universität Trier kündigte daraufhin den Vertrag mit Creveld (JF 45/11). Im folgenden wird der umstrittene Vortrag mit freundlicher Genehmigung des Autors dokumentiert.

Prof. Dr. Martin van Creveld, Jahrgang 1946, Militärhistoriker, lehrt seit 1971 Theorie des Krieges an der Hebräischen Universität Jerusalem. Für die JUNGE FREIHEIT schrieb er zuletzt über den Afghanistankrieg („Der ewige Kampf ums Weib“, JF 42/11).

Martin van Creveld: Frauen und Krieg. Gerling Akademie Verlag, Berlin 2001, gebunden, 324 Seiten, 29,65 Euro. Für den Autor ist die Soldatin ein Indiz dafür, daß das Militär seine Bedeutung als staatlicher Garant äußerer Sicherheit eingebüßt hat.

Foto: Virtuelle Kriegerin: Lara Croft ist die Heldin des mehrfach verfilmten Abenteuerspiels „Tomb Raider“ 

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