© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Politische Aufräumarbeiten
Rechtsextremismus: Angesichts der Mordserie wird nach Ursachen geforscht und über Konsequenzen gestritten
Henning Hoffgaard

Die Trümmer der Zwickauer Wohnung, in der die drei rechtsextremen mutmaßlichen Serienmörder Beate Z., Uwe Mundlos, und Uwe Böhnhardt am Ende ihres mehr als 13jährigen Lebens im Untergrund untergekommen waren (siehe Seite 7) sind noch nicht zusammengetragen, da ist die Diskussion über die Konsequenzen aus der gespenstischen Mordserie bereits voll entbrannt. Quer durch alle politischen und gesellschaftlichen Lager herrscht Entsetzen über diese Tat, besondere Empörung äußert sich unter Vertretern der türkischen Gemeinschaft, da acht Mordopfer Türken waren.

Schwere Vorwürfe erhebt der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat: „In Deutschland haben wir ständig Rassismus“. Jetzt müsse untersucht werden, welchen Beitrag der „Populismus à la Sarrazin“ beim Entstehen des „Rechtsterrorismus“ geleistet habe. Kolat gab zu Protokoll, er habe all die Jahre, in denen er vor einem ausufernden Rassismus in Deutschland gewarnt hatte, „doch recht gehabt“.

Auch Gewerkschaften, Kirchen und selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert Kolat. Diese hätten sich nicht an die Seite der Türken gestellt. „Ich erwarte eine Reaktion der zivilgesellschaftlichen Kräfte.“ Die Kanzlerin, fordert er, müsse jetzt schleunigst die Hinterbliebenen der Opfer besuchen. Auch ein erneutes NPD-Verbotsverfahren müsse nach dem Willen der Türkischen Gemeinde so schnell wie möglich in Angriff genommen werden. Zumindest dabei dürfte er mit Merkel auf einer Linie liegen. Einstimmig nahmen die etwa 1.000 Delegierten des CDU-Parteitages in Leipzig am Dienstag einen Antrag der CDU-Chefin an, mit dem die Chancen eines erneuten Verbotsverfahrens genau ausgelotet werden sollen.

Auch Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei sprachen sich zusammen mit dem Zentralrat der Juden mit großer Mehrheit für ein NPD-Verbot aus. „Es hat sich gezeigt: Es ist notwendig“, betonte der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, und schloß an, die NPD sei quasi der politische Arm rechter Untergrundbewegungen. Auch Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, meldete sich zu Wort: „Wir dürfen Demokratieverachtung und Menschenfeindlichkeit nicht tolerieren. Deshalb bin ich zutiefst davon überzeugt, daß die NPD verboten werden sollte.“ Dies, warnte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), sei allerdings mit einem hohen Risiko verbunden, da Behörden so über viele Jahre keinen Einblick in den inneren Betrieb der Partei mehr bekämen.

Streit deutet sich auch in der Frage nach dem Erhalt der sogenannten Demokratieklausel an, mit der vom Familienministerium geförderte Projekte gegen Extremismus sich zum Grundgesetz bekennen müssen. So forderte der Parlamentarische Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, Familienministerin Kristina Schröder (CDU) bereits auf, sich zu fragen, „ob sie mit der Extremismusklausel an einer Gleichstellung linker Gewalt und rechtsextremen Terrors festhalten möchte“. Insgesamt zeige sich, wie die Bundestagsfraktion der Grünen mitteilen ließ, daß die Bundesregierung sich im „Kampf gegen Rechts“ auf einem „brandgefährlichen Irrweg“ befinde und die „rechtsextreme Gewalt“ viel zu lange bagatellisierte. So habe diese die „zivilgesellschaftliche Arbeit“ gegen Rechtsextremismus seit Jahren gegängelt und behindert. Schon deshalb müsse die Demokratieklausel unverzüglich gestrichen werden.

 Noch hält Schröder dem zunehmenden Druck auf ihr Vorzeigeprojekt stand. Dieses bräuchte jetzt die Rückendeckung aller Demokraten, da sie ein Zeichen dafür setze, daß Extremisten egal welcher Richtung in unserem Land keinen Platz haben. „Toleranz gegenüber Intoleranz ist nämlich Dummheit.“

Am Dienstag forderte Thomas Oppermann, Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des parlamentarischen Kontrollgremiums, das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist, bereits eine deutliche Aufstockung der Mittel im „Kampf gegen Rechts“. Die derzeitigen Haushaltspläne sehen noch eine Kürzung von 29 Millionen auf 27 Millionen Euro für Gruppierungen vor, die sich zumeist ausschließlich gegen Rechtsextremismus engagieren. Auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) brachte eine völlige Neuorganisation und bessere finanzielle Ausstattung der Behörden im Kampf gegen Rechtsextremisten ins Spiel. So müsse jetzt schleunigst ein Terrorabwehrzentrum für den Rechtsextremismus eingerichtet werden. Insgesamt müsse jetzt alles auf den Prüfstand, womit man bisher „Neonazis“ bekämpft habe.

Dabei soll nach dem Willen von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) auch vor einem grundlegenden Umbau des Verfassungsschutzes nicht haltgemacht werden, berichtet die Nachrichtenagentur dapd. „Wenn wir den Sachverhalt aufgeklärt haben und genau wissen, wo vielleicht auch Schwachstellen sind, sollte man sich sehr wohl damit beschäftigen, ob nicht die Strukturen effizienter gemacht werden können.“ Demnach könne überlegt werden, ob die 16 Landesverfassungsschutzämter nicht zu einer Behörde verschmelzen könnten. Selbst der Abzug aller V-Männer aus der rechtsextremen Szene wird offen diskutiert. Diese hätten fast immer rassistische Ideale und rechtsextremes Gedankengut, kritisierte der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen). „Vieles deutet darauf hin, daß der Verfassungsschutz seine Aufgabe, die Gesellschaft zu schützen, nicht erfüllt hat. Er hat versagt.“

Foto: Polizisten durchsuchen die Trümmer des Hauses in Zwickau: Streit um Extremismusklausel

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