© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Bangende Sozialisten
Parlamentswahl in Spanien: Krisenstimmung treibt Wähler zu Konservativen
Michael Ludwig

Obwohl den Spaniern derzeit das Lachen gründlich vergangen ist, fand sich in diesen Tagen dennoch eine Gelegenheit zum Schmunzeln – im Endspurt des Wahlkampfs knackten Hacker die Webseiten der beiden großen Parteien und trieben mit den Spitzenkandidaten ihre Scherze. Dem früheren Innenminister Alfredo Perez Rubalcaba, der für die regierenden Sozialisten in den Ring gestiegen ist, verpaßten die Netzpiraten eine Augenklappe, so daß er wie ihresgleichen aussah. Der Kandidat der konservativ-liberalen Oppositionspartei Partido Popular (PP), Mariano Rajoy, erschien mit einer bizarren Gesichtsmaske, als ob er soeben auf einer Halloween-Party gesichtet worden sei. Nach ein paar Stunden hatten die Verantwortlichen den virtuellen Schabernack wieder gelöscht, und die Spanier fanden sich in ihrer ökonomisch trostlosen Gegenwart wieder.

Offiziellen Angaben zufolge ist die Zahl der Arbeitslosen auf 4.978.300 gestiegen, was einer Quote von 21,52 Prozent entspricht. Allein zwischen Juli und September verloren 144.000 Männer und Frauen ihre Jobs. Jeder zweite Jugendliche ist inzwischen ohne Ausbildungsplatz. Und noch immer ist kein Land in Sicht, im Gegenteil, es scheint immer düsterer zu werden.

Wie die Staatsbank mitteilte, ist das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal nicht mehr gewachsen, sondern stagniert bei Null. Dies kann, so befürchten Beobachter, zu einer neuen Rezession führen. Kein Wunder also, daß die regierende sozialistische Partei PSOE dem 20. November, dem Wahltag, der kurioserweise gleichzeitig auch Todestag des Diktators Francisco Franco ist, mit Bangen entgegensieht.

Der Mann, der für die desaströse Lage verantwortlich zeichnet, Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero, spielt im Wahlkampf so gut wie keine Rolle mehr. Die Bevölkerung sieht ihn allenfalls noch, wenn das Fernsehen über internationale Konferenzen berichtet, und der einstige Strahlemann der Linken bleich und sichtlich angeschlagen für ein paar Augenblicke ins Bild kommt.

Um seine Nachfolge im Amt des Regierungschefs bewirbt sich der 60jährige Rubalcaba, der als ein Mann mit sicheren politischen Instinkten und mit Durchsetzungsvermögen gilt. Kaum zum Kandidaten der PSOE gekürt, versuchte er, sich von den wirtschaftspolitischen Entscheidungen Zapateros abzusetzen und einen akzentuierten Linkskurs einzuschlagen. So kündigte er an, eine Vermögenssteuer „für die Reichen“ einzuführen und die Banken zu einer Sonderabgabe zu zwingen, die dazu verwendet werden soll, das angeschlagene Bildungs- und Gesundheitswesen zu sanieren. Auch die Steuern für Alkohol (Wein und Bier ausgenommen) und Tabak sollen steigen.

Demgegenüber setzt Mariano Rajoy auf Steuersenkungen, in deren Genuß vor allem kleine und mittlere Betriebe kommen sollen. Wer ein Unternehmen gründet, soll für jeden neu geschaffenen Arbeitsplatz einen Zuschuß von 3.000 Euro erhalten. Außerdem strebt er an, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren, um so die rigorosen Schutzbestimmungen für Arbeitnehmer zu lockern, die dazu geführt haben, daß Betriebe kaum noch neue Arbeitskräfte einstellen.

Bei einem innenpolitisch sehr brisanten Thema, nämlich der Reform des Abtreibungsgesetzes, hält sich der Oppositionsführer mit präzisen Aussagen zurück, um potentielle Wähler nicht abzuschrecken. So heißt es im Wahlprogramm der PP, daß der Schutz des Lebens zu stärken sei und daß Abtreibung aufhört, ein Recht zu sein. Die Bischöfe des Landes haben dazu aufgerufen, keine Parteien zu wählen, die für Scheidung und Abtreibung eintreten. Dies trifft vor allem die PSOE, die an dem geltenden Gesetz, daß ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten 14 Wochen verlangt werden kann, festhält.

Folgt man den jüngsten landesweiten Umfragen, so kommt es am 20. November zu einem triumphalen Sieg der PP. Wahlbeobachter sagen ihr einen Stimmenanteil von 45,4 Prozent voraus, was im spanischen Parlament zu 194 Sitzen und damit zur absoluten Mehrheit führen würde. Die Partido Popular hätte damit im Vergleich zur letzten Wahl vor drei Jahren 5,5 Prozent hinzugewonnen. Der regierenden sozialistischen Partei droht nach sieben Jahren Mißwirtschaft ein historischer Absturz von 43,6 (2008) auf 30,9 Prozent. Auf Platz drei rangiert nach den Meinungsumfragen die bürgerlich-nationalistische Regionalpartei CiU aus Katalonien im Nordosten des Landes und auf Platz vier die am linken Rand des Parteienspektrums angesiedelte IU.

Mit einer gewissen Spannung werden die Wahlergebnisse aus dem Baskenland erwartet, wo die Menschen zum ersten Mal seit der Demokratisierung des Landes ohne Angst vor dem Terror der Untergrundorganisation ETA an die Urnen gehen. Wie wird die Gruppierung Amaiur, zu der sich die radikalen Nationalisten zusammengefunden haben und die im Geruch steht, das politische Erbe der ETA zu verwalten, abschneiden? Und: Wird die ETA nach ihrer  Ankündigung, keine Gewalt mehr auszuüben, die Waffen auch tatsächlich abgeben und sich auflösen?

Politische Beobachter gehen davon aus, daß es im Baskenland zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den drei großen traditionellen Parteien der Sozialisten, der konservativen PP, der gemäßigten Nationalisten der PNV und Amaiur kommen wird.

Foto: Lächeln für die TV-Zuschauer: Sozialist Alfredo Perez Rubalcaba (l.) und Herausforderer Mariano Rajoy

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