© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Der Landlust auf der Spur
Harald Braun karikiert einen klischeehaften Latte-Macchiato-Großstädter auf der Suche nach der Idylle des Lebens auf dem platten Land
Christian Schwiesselmann

Landluft macht frei. Am Umschlagpunkt der Geschichte, wo Stadtkultur nicht mehr Hochkultur (Oswald Spengler), sondern betonierte Dekadenz ist, zieht es die Großstädter auf das Land. Hochglanzmagazine suggerieren ein sorgenfreies Landleben mit Kuschelabenden vor dem Kamin, eigenen Erdbeeren und selbstgemachtem Apfelkompott. Landlust eben.

Auf den Slogan „Keine Idylle ohne Gülle“, verkürzt es Harald Braun, der Autor des Buches „Das GummistiefelGefühl“. Seine Metamorphose vom Stadt- zum Landbewohner hat er nur wenig verfremdet als „Abenteuer-Roman“ zwischen zwei Buchdeckel gepreßt. Der Held ist ein typischer Großstadtbewohner mit einer Fünf-Zimmer-Altbauwohnung in Hamburg-Eppendorf. Ein moderner Großstadtsingle mit sporadischer Lebensabschnittsbegleitung: Unverheiratet, keine Kinder, Latte Macchiato-Trinker, Lifestyle-Kombi-Fahrer, der dreimal in der Woche bei einem kleinen Italiener in der Nebenstraße ißt. „Menschen wie ich führen ein Leben zwischen Programmkino, Antik-Trödel-Markt und Fitneßstudio“, sie finden es in Ordnung, sich „gegen 23 Uhr bei einem Bringdienst rohen Fisch im Gegenwert eines iPods zu bestellen“, legt Braun seinem Alter ego gleich zu Beginn in den Mund. Natürlich sind sie bei Utopia und Facebook registriert und verfügen über ein Abo der Zeit sowie des Fußballmagazins 11 Freunde.

Obwohl der Ich-Erzähler – wie Braun ein Journalist für ein Lifestyle-Magazin – häufiger als Udo Jürgens in New York, aber noch nie im Harz war, träumt er von einem Häuschen im Grünen. Der Weg dorthin gleicht einer Odyssee: Von dem Gedanken völlig überrumpelt, macht die Freundin Anna kurzerhand Schluß. Das Frauenmagazin, bei dem er beschäftigt war, kündigt ihm. Dennoch folgt Harald dem Rat seiner feschen Finanzberaterin Dutziak und macht sich auf die Suche nach seinem Traumhaus.

Der Stadtflüchtling wird fündig in Haasenbüttel, einem fiktiven Ort vierzig Autominuten vor den Toren der Hansestadt, und verliebt sich in ein Reetdachhäuschen, „das 1890 als Gesindehaus eines nahe gelegenen Bauernhofes“ – der Lorenzhöhe – erbaut worden war. Seine von Freunden belächelte Bauchentscheidung basiert nicht allein auf einer Idealisierung des Landlebens inklusive sommerlicher Gartenfeste und Aufsitzrasenmäher, sondern einer als conditio humana mutmaßlich in der menschlichen Seele verankerten Sehnsucht nach Ruhe, einem unverbauten, weiten Horizont und wogenden Weizenfeldern. Der Geruch nasser Erde, der ein kurzes Memento der natürlichen Abkunft des Kulturwesens Mensch auszulösen vermag.

Daß sich am Ende alles zum Guten wendet, daß nach vielen einsamen Nächten bzw. gescheiterten Annäherungsversuchen Haralds an Landfrauen Anna selbst zum Landei wird und beide schließlich sogar heiraten, darf man selbst einem Roman mit autobiographischen Zügen nicht vorwerfen. Oberhalb der doch etwas platten, erwartbaren Handlungsebene werden von dem flott schreibenden Autor viele großstädtische Vorurteile gegenüber dem Lande abgeräumt.

Der soziale Wandel hat die bäuerliche Romantik längst weggefegt. Statt dessen haben Agrarindustrie, Eventkultur und – auch eine Nachfrage der modernen Großstadt – Biobauernhöfe Einzug gehalten. Urige Protagonisten wie der Biohofchef „Bengt“ und der Eventbauer „Grütze“ personifizieren die neue deutsche Agrarrevolution. Biohofläden, Bauernmärkte mit selbstgebrautem Honigwein locken ein urbanes Publikum auf das Dorf. Ein hilfsbereites, schwules Pärchen darf in einer solchen Figurenkonstellation natürlich nicht fehlen. Spürbar bleibt in Brauns „Gummistiefel-Gefühl“ vor allem die Wahrheit der Großstadtkritik um 1900, die nach Ferdinand Tönnies zwischen „warmer“ dörflicher Gemeinschaft und „kalter“ städtischer Gesellschaft schied.

Harald Braun:  Das Gummistiefel-Gefühl. Mein neues Leben in der Pampa. Verlag Bastei Lübbe, Köln 2011, broschiert, 336 Seiten,           8,99 Euro

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