© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/11 / 18. November 2011

Umwelt
Ende des Penicillins
Volker Kempf

Etwa 85 Prozent der Hähnchenzüchter in Nordrhein-Westfalen sollen zuviel Antibiotika einsetzen. Das hat eine Studie im Auftrag des Landesverbraucherministeriums ergeben. Aus Niedersachsen werden ähnliche Zahlen vermeldet. Rußland nimmt dies zum Anlaß, die Einfuhr von lebenden Schweinen aus Deutschland einzustellen. Der Chef der russischen Agraraufsicht, Sergej Dankwert, begründet das Importverbot mit der Mißachtung einer Vereinbarung, wonach Schweine 30 Tage vor ihrer Auslieferung keine Antibiotika mehr erhalten dürfen. Agrarministerin Ilse Aigner rief nun nach besseren Kontrollen und Datenerhebungen in der Tiermast. Die fragwürdigen Antibiotikadosen befördern die Entstehung resistenter Keime, was dann auch für den Menschen gefährlich wird. Seit der Entdeckung des Penicillins 1928 haben Antibiotika unzähligen Menschen das Leben gerettet – diese Behandlungsmethode gerät wegen wachsender Antibiotikaresistenzen in Gefahr. Der Skandal bei alledem ist, daß das keine substantielle Neuigkeiten sind.

Es ist ein offenes Geheimnis, daß in der Massentierhaltung Antibiotika zur Leistungssteigerung zum Einsatz kommen, wobei die Grenzen zum vorgeblich tiermedizinischen Einsatz oft fließend sind. Das ist der Preis für billiges Fleisch in den Supermarkttheken. Nun also sollen Kontrollen und Datenerhebungen verbessert, Grenzwerte für Antibiotika verschärft werden. Appetit auf Fleisch machen Meldungen wie die über antibiotikabelastetes Fleisch nicht. Manche Meldungen waren in der Vergangenheit freilich noch unappetitlicher. Erinnert sei an die Gammelfleischskandale und BSE-Krise. Daß der Pro-Kopf-Fleischkonsum in Deutschland seit den achtziger Jahren rückläufig ist, kommt also nicht von ungefähr. Auch bei einem Blick in Massentierhaltungsställe kann einem der Appetit vergehen, von den Schlachtungen im Akkord noch nicht zu reden. „Ich wollt, ich wär’ ein Huhn“, diese Zeiten sind längst vorbei.

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