© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Stunde der Profi teure
Im Chor der Selbstgerechten stellt niemand die entscheidenden Fragen zur rechtsextremen Mordserie
Kurt Zach

Kein Tag ohne neue, verstörende Details, widersprüchliche Informationen und neue Fragen zur Mordserie der Verbrecherbande aus dem sächsisch-thüringischen Neonazi-Milieu. Wenig ist bislang gewiß bei der Aufklärung der Untaten und der Suche nach den Hintermännern des mörderischen Zwickauer Trios. Unerschütterlich scheint allein die Selbstgerechtigkeit der Lobbyisten und politischen Profiteure, die die Gunst der Stunde nutzen, um mit vorhersehbaren Kurzschlüssen und Vereinfachungen das politische Wechselgeld der Aufdeckung dieser Verbrechen einzustreichen.

Oppositions-Parteivorsitzende, die sich nicht genieren, die Hinterbliebenen der Mordopfer zu pietätlosen Boulevard-Inszenierungen zu mißbrauchen, sind dabei noch das geringste Ärgernis. Eher ins groteske Fach gehört der türkische Ministerpräsident Erdogan, der Deutschland die Türkei als „Vorbild“ bei der Terrorbekämpfung empfiehlt, die Forderung nach raschem EU-Beitritt als Präventionsmaßnahme anpreist und sich einmal mehr als oberster Schutzherr der in Deutschland lebenden Türken mit der Lizenz zur Intervention aufspielt, während sein Außenminister Davutoglu mit verräterischer Wortwahl „Rechenschaft“ von Deutschland „für jeden Tropfen Blut“ verlangt: „Märtyrer“ seien die getöteten Türken, als handelte es sich nicht um Verbrechensopfer, sondern um Gefallene in einem unerklärten Krieg.

Wenn Regierung und Bundestag die staatspolitisch durchaus gebotene klare Verurteilung von Terrorakten zu kollektiven Schuldbekenntnissen und Selbstbezichtigungen übersteigern, leisten sie solchen Erpressungsversuchen freilich Vorschub. Dankbar nehmen die türkischen Regierungsdemagogen die Bälle auf, die ihnen interessierte deutsche Einwanderungs- und „Kampf gegen Rechts“-Lobbyisten vorgelegt haben. Der im Sonntagabend-Talk unternommene perfide Versuch des Grünen-Chefs Cem Özdemir, die Zwickauer Serienkiller zu Vollstreckern der Sarrazin-Debatte zu erklären, gibt die Richtung vor: Die kritische Auseinandersetzung mit dem Scheitern der bisher betriebenen Einwanderungs- und Integrationspolitik soll, kaum begonnen, wieder unterbunden werden, Integrationspolitik soll sich, wie die „Bundesbeauftragte“ Maria Böhmer fordert, auf den „Kampf gegen Rechts“ konzentrieren.

Dieser soll wieder üppiger finanziert und die ohnehin kosmetischen Kürzungen durch die schwarz-gelbe Koalition ebenso wie die Extremismusklausel zurückgenommen werden. Daß man damit dann wieder ohne jegliche Kontrolle auch gewaltbereite Linksextremisten päppelt – einerlei; Kampf gegen Extremismus soll wieder nur noch Kampf gegen Rechtsextremismus sein. Und der wird „in der Mitte der Gesellschaft“ ausgemacht. Mit dem prompten Umfallen der Union und der in klassisch linker Diktion gehaltenen Bundestagsentschließung vom 22. November, bei deren Verabschiedung die Volksfront nahtlos von den Kommunisten bis zu CDU und CSU reichte, ist man der Neuentfachung eines geistigen Bürgerkriegs gegen das eigene Volk nach Art des Schröderschen „Aufstands der Anständigen“ einen guten Schritt näher gekommen.

Die eigentliche Tat gerät über diesen Instrumentalisierungen in den Hintergrund. Eine Serie grausamer und ruchloser Morde wurde verübt, mit hoher krimineller Energie und offensichtlich aus hemmungslosem Ausländerhaß. Es waren keine Affekttaten, sondern skrupellos geplante Verbrechen wie die der „Roten Armee Fraktion“. Von den RAF-Terroristen unterscheidet die Neonazi-Mörder allerdings nicht nur das Fehlen von Bekennerschreiben, sondern auch eines breiten gesellschaftlichen Sympathisanten-Milieus, das ihre Taten mit „klammheimlicher Freude“ begleitet hätte. Schon deshalb ist es absurd, die Mordserie des Zwickauer Trios auf angeblich grassierende „Fremdenfeindlichkeit“ zurückführen zu wollen.

Man wird sich mit der Rolle der Verfassungsschützer, die wie alle Geheimdienste in der Versuchung der symbiotischen Verflechtung mit ihren Beobachtungsobjekten stehen, noch eingehend beschäftigen müssen. Der Verdacht, daß Geheimdienstler nur zu gern ihre schützende Hand über ausgewählte Informanten halten und dadurch Terrorbekämpfung eher behindern denn befördern, ist schon zu RAF-Zeiten aufgetaucht. Doch aus Ermittlungspannen, die ihre Ursache im eigenbrötlerischen Nebeneinander von sechzehn Länderbehörden oder schlicht in menschlichem Versagen haben, eine Blindheit der Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge konstruieren zu wollen, ist angesichts von Jahren und Jahrzehnten des Kampfes „gegen Rechts“ einigermaßen grotesk.

Ein sozial und moralisch verwahrloster Krimineller ist zuerst und vor allem ein Krimineller, auch wenn er sich eine extremistische Ideologie zum Vorwand für das Ausleben seiner kriminellen Energie sucht. Sozialpädagogik, die ganze Meinungsspektren unter Pauschalverdacht stellt, ist dagegen wirkungslos. Sie war es auch in diesem Fall, all den „gegen Rechts“ ausgegebenen Millionen zum Trotz. Eher bewirkt sie noch das Gegenteil: Wenn seriöse und sachlich begründete Einwanderungs- und Islamkritik mit Denkverboten belegt und jeder konservative und rechtsdemokratische politische Ansatz mit der Neonazi-Keule erledigt wird, leistet gerade das der extremistischen Polarisierung Vorschub. Und wenn mit tatkräftiger Beteiligung der Geheimdienste der monströse Popanz einer allgegenwärtigen neonazistischen Bedrohung aufgebläht und am Leben erhalten wird, nährt gerade das den Größenwahn und die Allmachtsphantasien von Extremisten, die sich in dieser hermetischen Szene eingerichtet haben. Der Versuch, die Verbrechen der Zwickauer Serienmörder für eine forcierte Neuauflage des „Aufstands der Anständigen“ zu instrumentalisieren, ist ein gefährliches Spiel: Er könnte die nächste Generation der Geister züchten, die zu bekämpfen er vorgibt.