© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Philippe Boulland will Klarheit: Verletzen deutsche Jugendämter Menschenrechte?
Der Aufklärer
Moritz Schwarz

Schockiert sei er gewesen – so schockiert, daß er nun eigens nach Berlin reist, um mit Vertretern von Bundestag und Bundesregierung über die Vorwürfe zu sprechen: Ende dieser Woche will der französische Europaabgeordnete Philippe Boulland klären, was es mit den sich beim Petitionsauschuß des EU-Parlaments häufenden Beschwerden über angebliche Menschenrechtsverletzungen in Deutschland auf sich hat. Konkret geht es um verzweifelte Väter und Mütter, denen Jugendämter das Sorgerecht für ihre Kinder „willkürlich“ – so der Vorwurf der Eltern – entzogen haben. Beschwerden dazu erreichen das Parlament zwar auch aus anderen EU-Staaten – „insbesondere“ aber „aus Deutschland“, wie ein Papier des Brüsseler Petitionsausschusses von 2009 feststellt.

Dabei ist der Nachrücker Philippe Boulland erst seit einem knappen Jahr Abgeordneter, was er nicht weniger als einer Personalkorrektur des französischen Premierministers François Fillon verdankt: Der Rücktritt von Arbeitsminister Éric Woerth – eines Freundes und Förderers Boullands – Ende 2010 infolge der Bettencourt-Affäre löste einen Domino-Effekt aus: Der Nachfolger Woerths, Xavier Bertrand, machte einer EU-Abgeordneten in der Nationalversammlung Platz, für die UMP-Mann Boulland in Brüssel nachrückte. Überrascht mußte dort der frischgebackene Abgeordnete im Petitionsausschuß feststellen, daß seit 2006 bereits 119 Beschwerden gegen Jugendämter aus Deutschland eingegangen waren – eine auffällig hohe Zahl, auch wenn manche Petenten mehrere Eingaben gemacht hatten. Boullands Argwohn war geweckt, schließlich versteht sich der vierfache Vater und zweifache Großvater, der mütterlicherseits aus einer Aristokratenfamilie stammt, als Familienmensch mit Sinn für traditionelle Werte.

Bereits 2007 war eine Delegation des EU-Parlaments in der Sache in Berlin vorstellig geworden – nach Meinung von Kritikern aber schlecht vorbereitet gewesen, so daß es den deutschen Behörden leichtfiel, die Zweifel zu zerstreuen. Boulland will dagegen gewappnet sein, hat sich intensiv eingearbeitet, um bei seinen Gesprächen mit Vertretern des Bundesjustiz- und des Familienministeriums am Donnerstag substantielle Antworten auf seine Fragen und Vorhaltungen zu bekommen. Demnach scheine es, wie Boulland im Interview mit einem christlichen US-Sender sagte, in Deutschland „weder eine Kontrolle (der Jugendämter), noch eine Verpflichtung zu geben, (Fehlentscheidungen) zu korrigieren“. Leidtragender, klagen Betroffene, könne jeder werden, da die Ämter das Sorgerecht ohne stichhaltigen Grund entziehen könnten – es reiche, einen solchen zu behaupten.

Ob es sich um Einzelfälle handelt oder System dahintersteckt, will die Delegation klären. „Sollten sich die Rechtsbrüche bewahrheiten“, werde man „Druck“ auf die Deutschen ausüben, „bis das aufhört“, droht Boulland.