© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Was mich antreibt
Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten: Auszüge aus der Dankesrede des diesjährigen Preisträgers Michael Paulwitz
Michael Paulwitz

Diese Auszeichnung ist für mich ein Höhepunkt meines Weges als Journalist, der vor nunmehr 25 Jahren gleichzeitig mit, wenn auch zunächst noch nicht in der JUNGEN FREIHEIT begonnen hat. Aus ersten Artikeln in den Neunzigern ist eine so intensive wie ergiebige und erfüllende Zusammenarbeit geworden, ohne die mein Denken und Schreiben nicht so wären, wie sie sind. Die praktisch allwöchentliche Artikelanfrage aus der JF-Redaktion könnte ich aus meinem Arbeitsalltag gar nicht mehr wegdenken. Die JUNGE FREIHEIT hat deutsche Zeitungsgeschichte geschrieben, und daran ein klein wenig mitschreiben zu können, ist ja für sich genommen bereits eine Auszeichnung.

Wie wird man, was man ist? Wie kommt man als junger Student, der sich soeben, nach dem damals noch nicht so exotischen Wehrdienst, erkenntnisdurstig auf die Geschichtswissenschaften gestürzt hatte, zum Journalismus?

In meinem Fall trifft Lenin eine Mitschuld. Erinnern Sie sich noch an die Mitte der achtziger Jahre? Kohls geistig-moralische Wende hatte sich als Wahlkampf-Fata Morgana erwiesen, die Wiedervereinigung galt auch dem späteren „Kanzler der Einheit“ als „blühender Unsinn“, Bundespräsident von Weizsäcker bewältigte seine Familiengeschichte, indem er die linke Propagandalüge vom 8. Mai 1945 als einem Tag der „Befreiung“ mehrheitsfähig machte.

Es war die Zeit des „Historikerstreits“, der gar nicht von einem Historiker, sondern von einem Volkspädagogen vom Zaun gebrochen worden war und deshalb eigentlich „Habermas-Kontroverse“ heißen sollte. Ich betrachte es als eine besondere Ehre, heute mit Herrn Prof. Dr. Ernst Nolte auf diesem Podium zu stehen, den ich als junger Geschichtsstudent damals als wissenschaftliches Vorbild empfunden habe.

Als Erstwähler hatte ich noch, ich muß es bekennen, zum einzigen Mal in meinem Leben CSU gewählt. Als Student im München der bleischwer stagnierenden achtziger Jahre war ich gründlich ernüchtert. An der Uni tummelten sich, wie überall in Deutschland, Dutzende kommunistischer, sozialistischer, linksextremistischer Gruppen und Grüppchen, mehr oder minder großzügig von der selbst schon bankrotten und von Bonn subventionierten „DDR“ mit Subsidien ausgestattet, die erstarrte 68er-Rituale zelebrierten, schwadronierten, diskutierten und den Campus mit ihren papierenen Ergüssen und Traktaten fluteten.

Wir wollten etwas tun, meine Bundesbrüder in der Burschenschaft und ich, und bei Lenin – jeder politisch und historisch Interessierte, der mal in der „DDR“ oder Ost-Berlin gewesen war, hatte damals die sozialistischen Klassiker zu Hause, weil man für die 25 Mark Zwangsumtausch ja auch kaum etwas anderes kaufen konnte – in Lenins Schrift „Was tun?“ also fanden wir in Kapitel 5 die Antwort: Wer etwas bewirken will, braucht eine Zeitung als „kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator“. Die Idee zur Studentenzeitung Münchner Freiheit war geboren, benannt nach dem Schwabinger Hauptplatz und mit der Popularität der gleichnamigen Popgruppe kokettierend. Dort habe ich, und dazu einige andere, das journalistische Handwerkszeug gelernt.

Die Münchner Freiheit ist Generationenprojekt geblieben, sie hat die Examensphase ihrer Gründergeneration und deren Eintritt ins Berufsleben nicht überlebt, wie so viele publizistische Projekte, die in den Achtzigern mit viel Idealismus begonnen wurden. Ein Stück weit weiß ich deshalb aus eigener Erfahrung mit dem Nichtgelingen, welche außerordentliche Leistung Dieter Stein und seine Mannschaft vollbracht haben, die JUNGE FREIHEIT von der Schülerzeitung zur zweitgrößten Wochenzeitung Deutschlands zu machen. Danke dafür, daß wir hier in diesem festlichen Rahmen stehen können.

Der publizistische Virus hat mich seither nicht mehr losgelassen. Criticón hat meine Lektüre und mein Weltbild über viele Jahre hinweg maßgeblich geprägt – diese Erfahrung teile ich zweifellos mit den meisten Konservativen meiner Generation. Als studentische Hilfskraft im Büro in der Knöbelstraße 36 schnupperte ich Verlagsluft und konnte sowohl Caspar von Schrenck-Notzing als auch Armin Mohler näher kennenlernen. Das waren intensive Jahre, die meinen Stil und meinen Zugriff auf die Wirklichkeit wesentlich geformt haben.

Von Zeit zu Zeit lud Caspar von Schrenck-Notzing zum Verlagsabend in sein von Bücherwänden umgebenes Privatbüro im fünften Stock des Knöbelstraßenhauses ein. Daß seine Bibliothek seit gestern hier in Berlin nun der Öffentlichkeit zugänglich ist, unter der Verantwortung der von ihm gegründeten und nunmehr von Dieter Stein geleiteten Stiftung, hat mich auch deshalb besonders berührt: Hier ist zusammengewachsen, was zusammengehört.

Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt. Was mich zum Schreiben drängt, ist zum einen ein von den Vätern ererbtes preußisches Ethos: Seinem Land dienen, nicht einer bestimmten politisch-gesellschaftlichen Ausprägung, einer vergänglichen Parteiung oder Obrigkeit, sondern der Idee dahinter: dem „geheimen Deutschland“ gewissermaßen, um es mit Stauffenberg und dem George-Kreis zu sagen.

Ein aufklärerischer Impetus kommt hinzu. Nicht im dekonstruierenden, neue Meinungsmonopole begründenden Sinne der Linken, die den Begriff gepachtet zu haben glaubt. Sondern im Geiste Immanuel Kants: Wege zu finden, die den Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zeigen.

Verantwortung für kommende Generationen ist das dritte große Movens, das um so stärker wird von dem Moment an, in dem man durch die Gründung einer Familie selbst einen Teil dieser Verantwortung ganz persönlich übernommen hat. Deutschland soll auch den nach uns Lebenden noch Heimat sein, es soll das Land der Deutschen bleiben, nicht fremden Herren dienen und nicht das in Generationen und Jahrhunderten Aufgebaute und Erworbene aus tagesegoistischer Feigheit und Kleinmut verschleudern.

Dem zu widersprechen, wo immer es möglich ist, ist nicht zuletzt eine Frage der Selbstachtung. In meiner Schul- und Jugendzeit wurde das politische Kleingeld der Vergangenheitsbewältigung gewechselt. Unter Anleitung der durchmarschierenden Achtundsechziger-Generation wurden wir allenthalben ermuntert, die noch im Saft stehende Kriegsgeneration unter stereotypen Rechtfertigungszwang zu stellen: Warum habt ihr das tatenlos zugelassen? Warum habt ihr nicht den Mund aufgemacht? Solche Fragen brauchen wir, meine Kollegen in Redaktion und Autorenstamm der JUNGEN FREIHEIT eingeschlossen, uns dereinst von den Kinder- und Enkelgenerationen einmal nicht gefallen zu lassen.

Ein Vierteljahrhundert kann ein Land von Grund auf verändern. 1985 war die Kriegsgeneration noch zahlenstark und überall präsent, die jüngeren Frontkämpferjahrgänge standen noch mitten im Berufsleben oder an der Schwelle zum Rentenalter; sie wehrten sich vehement gegen Weizsäckers und Habermas’ Geschichtsklitterungen. Heute ist diese Generation marginalisiert, was sie damals empörte, ist quer durch die politische Klasse zum unhinterfragten staatsreligiösen Glaubenssatz geworden. Die Achtundsechziger, die sich den Staat als Beute trefflich so eingerichtet haben, daß die Generationen davor und danach für ihr Wohlleben bezahlen dürfen, gehen jetzt selbst in den Ruhestand; sie ahnen, daß ihre Zeit abgelaufen ist, und versuchen als „Wutbürger“ ein letztes Mal ihre Diskurshoheit zu befestigen.

Wie wird Deutschland aussehen, wenn meine Generation, wenn die letzten geburtenstarken Jahrgänge selbst das Rentenalter erreichen und die einwandererstarken Jahrgänge das Land prägen sollen? Und wie, wenn meine Kinder dieses Alter erreichen? Das sind Fragen, die einen so umtreiben, wenn man auf die nächsten 25 Jahre vorausschaut, in denen man sich weiterhin nach bestem Vermögen zu Wort melden will.

Da können einen schon düstere Vorahnungen überkommen. Die Ghettos wachsen, wehe der Stadt, die Ghettos birgt. Deutschenfeindlichkeit tötet, der Prozeß gegen die Lichtenberger U-Bahn-Schläger, der am Donnerstag vor dem Berliner Landgericht be-gann, eröffnet einen Blick in die Abgründe. Vielleicht zerfällt Deutschland entlang der ethnischen Bruchlinien, die fehlgesteuerte Einwanderung durch die Bevölkerung gezogen hat. Vielleicht befinden wir uns bereits im Vorbürgerkrieg, und es sind nicht ein paar zur „Braunen Armee Fraktion“ aufgeblasene Serienkiller – oder soll ich sagen: Geheimdienstkreaturen? –, von denen er ausgeht.

Ein Historiker weiß nämlich, und das ist die zuversichtliche Wendung: es gibt keinen Determinismus, es gibt keine Alternativlosigkeiten. Geschichte wird von Menschen gemacht, die sich an jeder Wegmarke so oder anders entscheiden können.

Deshalb lohnt es sich auch weiterhin, für ein Deutschland mit deutscher Zukunft zu arbeiten. Tun wir also alle unser Bestes. Ich danke Ihnen und allen Wegbegleitern für Ihre Unterstützung und Anerkennung.

Foto: Auszeichnung vor vollen Rängen: Mehr als 280 Gäste aus Politik, Medien, Wirtschaft und Wissenschaft kamen am Wochenende nach Berlin, um die Verleihung des Gerhard-Löwenthal-Preises für Journalisten zu erleben