© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Weniger Ideologie wagen
Berlin I: SPD und CDU einigen sich nach wochenlangen Verhandlungen auf Koalition
Ronald Berthold

Was ändert sich nun in Berlin? Die CDU wollte schließlich gewählt werden, „damit sich was ändert“. So stand es auf ihren Wahlplakaten. Und blickt man in die Vereinbarung, die die Partei nun nach wochenlangen Verhandlungen mit Klaus Wowereits SPD geschlossen hat, dann scheint es zumindest auf den ersten Blick so, daß sie linke Ideologie größtenteils aus der Landespolitik der kommenden fünf Jahre heraushalten konnte (Kommentar Seite 2). Sollte der Koalitionsvertrag umgesetzt werden, könnte sich die Bundeshauptstadt politisch wieder etwas in Richtung Mitte bewegen.

Immer wieder betonten CDU-Chef Frank Henkel und Wowereit bei der Präsentation ihrer Verhandlungsergebnisse, daß ihr Senat „pragmatisch und ideologiefrei“ agieren werde. Diese Worte waren durchaus als Seitenhiebe auf Grüne und die Linkspartei gemünzt. Denn zumindest in der Bildung geht es nun künftig mit mehr Verstand zur Sache. Das jahrgangsübergreifende Lernen (JüL) von Erst- und Zweitkläßlern wird in die Freiwilligkeit zurückgestuft. Die Schulkonferenz muß künftig darüber entscheiden. Damit würde ein unsinniges linkes Prestigeprojekt, gegen das sich Lehrer und Eltern massiv gewehrt haben, auslaufen. Auch die Gymnasien sollen erhalten bleiben. Die Linkspartei hatte schon deren Totenglöcklein geläutet. Durch diese inhaltlichen Fixierungen kann die Wählerschaft der Union wohl auch akzeptieren, daß sowohl die Ressorts Stadtentwicklung/Umwelt als auch Bildung bei der SPD verbleiben.

Bemerkenswert ist ebenfalls, daß der Senat festschreibt, „aktiv gegen Linksextremismus“ einzutreten. Hierzu sollen unter anderem verstärkt Aufklärungs- und Bildungsangebote für die Berliner Schulen entwickelt werden. Gleichzeitig soll das „Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ fortgesetzt werden. Auch wenn über die Namen der neuen Senatoren noch nicht entschieden wurde, dürfte klar sein, daß Henkel Ehrhart Körting (SPD) als Innensenator ablöst. Der 48jährige hat sich seit seiner JU-Zeit gegen Linksextremismus eingesetzt. Der schon Jahre vor dem Fall der Mauer in den Westteil übergesiedelte gebürtige Ost-Berliner ist ein alter Antikommunist und wird der Sicherheitspolitik ein neues Profil geben – wenn er nicht Angst vor der eigenen Courage bekommt.

Allerdings mußte die Union auch einige linke Kröten schlucken. So hält der Senat an der Bundesratsinitiative zur doppelten Staatsbürgerschaft fest. Außerdem wird die sogenannte City-Tax eingeführt. Danach müssen Hotels künftig fünf Prozent ihres Umsatzes zusätzlich in die Landeskasse zahlen. Das wird vor allem kleinere Betriebe treffen. Auch der Mindestlohn von 8,50 Euro für Unternehmen, die einen Senatsauftrag erhalten wollen, widerspricht den Vorstellungen der Union. Der Betrag ist sogar um einen Euro höher als unter Rot-Rot.

Als sicher gilt auch, daß die türkischstämmige SPD-Frau Dilek Kolat das Ressort Arbeit, Integration und Frauen führen soll. Die 44jährige ist Ehefrau des Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat. Der Mann mit der doppelten Staatsbürgerschaft gefällt sich als Chefankläger der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Aus der Spitze der Senatsverwaltung könnte in Fragen der Integration also demnächst viel moraltriefende Gesellschaftskritik dringen.

Gute Nachrichten enthält die Koalitionsvereinbarung für die Mittelschicht. So hat das Schröpfen von Einfamilienhausbesitzern, das Rot-Rot jahrelang betrieb, ein Ende. Das Straßenausbaubeitragsgesetz wird abgeschafft. „Das ist ein Riesenerfolg für uns“, triumphierte einer der CDU-Verhandlungsführer, der Bundestagsabgeordnete Frank Steffel. Mit dieser Einschätzung hat der Haudegen, der in den Koalitionsverhandlungen am stärksten die CDU-Interessen vertrat und auch durchsetzte, recht. Denn Wowereit wollte die beliebte Einnahmequelle, die vor allem die CDU-Klientel zu tragen hatte, auf jeden Fall behalten.

Ebenso verbucht die Union als Erfolg, daß Klimaschutz, energetische Sanierung oder eine gezielte Förderung grüner Technologie nicht im Koalitionsvertrag stehen. Vor allem der linke SPD-Flügel, der den gescheiterten Gesprächen mit den Grünen nachtrauert, wollte hier punkten, konnte aber von den Pragmatikern auf beiden Seiten ausgebremst werden. Damit ist ein weiteres Damoklesschwert über den Köpfen der Immobilienbesitzer verschwunden. Denn auch die scheidende linke Umweltsenatorin Katrin Lompscher hatte bereits einen Gesetzentwurf in der Schublade, der die Eigenheimbesitzer zu kostspieligen Sanierungen verpflichtet hätte – als wenn das globale Klima in Berlin gemacht würde. Die Grünen hatten sich hier mit aller Macht profilieren wollen. Mit der Union kehrt nun Vernunft ein.

Duchsetzen konnte sich Wowereit dagegen mit seinen beiden Lieblingsprojekten. So sollen sowohl eine neue Landesbibliothek als auch eine Kunsthalle gebaut werden. Allein für die Bücherei sind 250 Millionen Euro veranschlagt, die Berlin aus seinem Landeshaushalt zu tragen hätte. Es fragt sich, wie das finanziert werden soll, wo doch CDU und SPD festgeschrieben haben, daß ab 2016 keine neuen Schulden mehr aufgenommen werden sollen. In jenem Jahr finden allerdings die nächsten Abgeordnetenhauswahlen statt.

Foto: Klaus Wowereit und Frank Henkel mit der Koalitionsvereinbarung: Einige linke Kröten geschluckt