© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

„Ich liebe den Euro“
Spanien: Mit Gewinn der absoluten Mehrheit hat Wahlsieger Rajoy eine schwere Bürde übernommen
Michael Ludwig

Als das spanische Fernsehen am Sonntag abend gegen 21 Uhr seine Kameras auf die Madrider Hauptquartiere der beiden großen Volksparteien richtete, sprachen die Bilder Bände – während sich vor dem Sitz der konservativen Volkspartei (PP) Hunderte von Anhängern einfanden und begeistert die hellblauen Fahnen mit dem weißen Parteilogo oder die Nationalflaggen schwenkten, herrschte bei den Sozialisten gespenstische Stille, kein Mensch war zu sehen.

Kein Wunder, denn die linke Regierungspartei PSOE erlitt bei den Parlamentswahlen eine verheerende Niederlage. Sie und ihr Spitzenkandidat Alfredo Perez Rubalcaba wurden mit 28,7 Prozent der Stimmen nach Hause geschickt, bei der letzten Wahl 2008 waren es noch 43,6 gewesen. Mariano Rajoy, Kandidat der PP, schaffte 44,6 Prozent, 4,6 mehr als beim letzten Mal. Damit verfügt die PP über eine komfortable absolute Mehrheit im Parlament.

Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage mit einer Arbeitslosigkeit von fast 22 Prozent, stagnierendem Wirtschaftswachstum und einem wachsenden Schuldenberg, stand von vornherein fest, daß die Spanier die sozialistische Regierung abstrafen würden. Rajoys Sieg galt als sicher, die Frage war nur, wie hoch er ausfallen würde. In einer ersten kurzen Rede vor seinen Anhängern gab sich der 56jährige Politiker besonnen und maßvoll. Er erklärte, „keine Wunder vollbringen“ zu können, und rief seine Landsleute dazu auf, gegen die Krise anzukämpfen. Spanien befinde sich in der schlimmsten Lage seit 30 Jahren.

Rajoy und seine Partei sind gegenwärtig so stark wie nie zuvor – nach den für sie höchst erfolgreichen Provinz- und Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres haben sie nun, so scheint es, die PSOE derart ins Mark getroffen, daß dies nicht ohne tiefgreifende Folgen bleiben dürfte. Rubalcaba kündigte einen Sonderparteitag an, auf dem der künftige Weg der Sozialisten vorgezeichnet werden soll. Politische Beobachter fürchten sogar eine Spaltung der Partei, denn sie droht zwischen den Konservativen und einer erstaunlich stark gewordenen Vereinigten Linken (IU) zerrieben zu werden. Der IU gelang es, ihre zwei Mandate auf elf zu erhöhen.

Hervorzuheben sind ferner das starke Abschneiden der Nationalisten – so konnte die nach mehr Unabhängigkeit von Madrid strebende CiU in Katalonien 16 Sitze gewinnen, sechs mehr als bisher. Ferner etablierte sich im Baskenland die linksnationalistische Amaiur, der Sympathien für die Eta nachgesagt werden, als die stärkste politische Kraft. Die neugegründete Amaiur wird sieben Abgeordnete nach Madrid entsenden. Zwei mehr als die ebenfalls baskische, alteingesessene konservativ-nationalistische EAJ (PNV).

Mariano Rajoy wurde 1955 in Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens geboren. Er ist gelernter Jurist, trat als Katasterbeamter in den Staatsdienst ein und schloß sich 1981 der Alianza Popular an, aus der 1989 die PP hervorging. Als langjähriger Wegbegleiter des 1990 gewählten Parteivorsitzenden José María Aznar wurde er nach dem Wahlsieg der PP 1996 Bildungsminister, 2001 Innenminister. Als Aznar 2004 zurücktrat, übernahm Rajoy und unterlag dem Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero. Auch 2008 wollte es für den Mann aus Galizien nicht klappen. Daß er nun ein drittes Mal angetreten ist, beweist seine Hartnäckigkeit, die den Galiciern im allgemeinen und Rajoy im besonderen nachgesagt wird.

Der 56jährige, der alles andere als ein charismatischer Politiker ist und Schwierigkeiten hat, einen Zischlaut korrekt auszusprechen, gilt als gemäßigter Konservativer. Aber es wäre falsch, ihn als zu nachgiebig und zu kompromißbereit einzuschätzen. In seinen Jahren als Oppositionspolitiker schlug er schon früh einen rigorosen Konfrontationskurs ein, geißelte unnachgiebig die sozialistische Mißwirtschaft, machte Front gegen die Bestrebungen der Regierung, die spanische Gesellschaft in Richtung Feminismus und Homo-Ehe zu verändern, und warnte vor einer ungebremsten Einwanderung. Glück und Unglück hielten sich die Waage – seit einem Autounfall ist er Bartträger, um seine Narben im Gesicht zu verbergen; 2005 überlebte er einen Hubschrauber-absturz nahezu unverletzt. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Innenpolitisch steht der künftige Regierungschef vor einer Herkulesaufgabe. Bereits im Wahlkampf erklärte er, daß es bei den bevorstehenden Kürzungen lediglich eine Ausnahme geben werde – die Renten. Da sich Rajoy aus taktischen Gründen bislang geweigert hat, konkret anzugeben, wo der Rotstift angesetzt werden soll, werden auf die Spanier noch manche Überraschungen zukommen. Nach Angaben seiner Parteifreundin Maria Dolores de Cospedal, die im Frühsommer zur neuen Regierungschefin der nahezu bankrotten Provinz Castilla-La Mancha gewählt wurde, könnten die landesweiten Sparmaßnahmen derart drastisch ausfallen, daß mit Unruhen gerechnet werden muß.

Außenpolitisch will sich Rajoy auf drei Schwerpunkte konzentrieren – auf den Maghreb, also die benachbarten arabischen Anrainer des Mittelmeeres, denen die spanische Politik schon seit jeher besonderes Interesse entgegenbringt, auf Südamerika, mit dem Spanien aus geschichtlichen und kulturellen Gründen eng verflochten ist, und auf seine künftige Rolle innerhalb der Europäischen Union. Was letzteres betrifft, so hat der künftige Madrider Regierungschef klare Vorstellungen; ein Europa der zwei oder drei Geschwindigkeiten lehnt er rundweg ab: „Das erscheint mir als der pure Unsinn, als ein Schritt zurück, den wir keinesfalls erlauben dürfen. Ich bin radikal dagegen. Ich liebe den Euro.“