© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Die vielen Gesichter des Dschihad
Islamistische Terrorgruppen: Zahlreiche kleine, aber schlagkräftige Zellen agieren rund um den Globus / Nigerias Christen im Fadenkreuz der Boko Haram
Joachim Feyerabend

Die Serie von blutigen Attentaten der erst 2004 gegründeten militanten islamischen Kampftruppe Boko Haram in Nigeria zeigt, wie sich das Geflecht der Gewaltbereitschaft global erweitert. Das ist der eigentliche Sieg des getöteten al-Qaida-Gründers bin Laden, daß nicht eine zentrale Terrororganisation bombt, sondern zahlreiche lokale Gruppierungen zuletzt effektiver agieren und die Bedrohung des Westens und westlichen Lebensstils zum Dauerbrenner macht.

Neben dem al-Qaida-Netzwerk oder den afghanischen Taliban sind es vor allem die kleinen, schlagkräftigen Einheiten, die westlichen Geheimdiensten Sorgen bereiten. Ob Abu Sayyaf auf den Philippinen oder Jemaah Islamia in Indonesien und Malaysia, Abu Nidal und Al Aksa in Palästina, Gama’a al Islamiyya in Ägypten, Al-Schabab in Somalia, die Salafistische Gruppe der Prophezeiung und des Kampfes (GSPC) in Algerien, Anar el Islam im Irak oder Laskar-e-Taiba in Kaschmir, meist handelt es sich um radikal-islamistische Zellen, die mit Bombenterror und bewaffneten Überfällen gegen den westlichen Lebensentwurf antreten und die Einrichtung sogenannter Gottesstaaten, die Einheit islamischer Politik und Religion, anstreben. Minderheiten diktieren so in vielen Ländern den Alltag, verbreiten unter der Zivilbevölkerung Angst und Schrecken.

Im Mittelpunkt des islamistischen Terrors steht die kompromißlose Interpretation des Begriffs Dschihad, der unter Berufung auf den Koran den militärischen Kampf zur Ausweitung und Verteidigung des islamischen Gebiets (Dar-al-Islam) legitimiert. Für diese Kämpfer ist die Welt zweigeteilt, eben in den Dar-al-Islam und den Dar al-Harb, die Sphäre der Ungläubigen. Dabei werden die USA als der „große Satan“ und Israel als der „kleine Satan“ in den Mittelpunkt gestellt. Zu weiteren Opfern zählen Herrscher, die die strenge Rechtsordnung der Scharia nicht anerkennen, die immerhin schon in 50 Ländern auf der Erde angewendet wird. Eine wichtige Rolle spielt die Überzeugung, daß Märtyrer, etwa bei Selbstmordattentaten, direkt in den Himmel kommen. Zahlreiche Imame schüren diese Ideologie oder werden sogar, wie in Indonesien der Geistliche Abu Bakar Bashyir, zu Führern der Organisationen.

Unter den Kämpfern des Dschihad macht in jüngster Zeit vor allem Nigerias Boko Haram („Westliche Erziehung ist Sünde“) von sich reden. Diese Organisation junger Männer aus dem studentischen Fundus, schießt bei sogenannten Drive-By-Shootings von Motorrädern aus rücksichtslos auf Gäste in Bierlokalen, zerbombt Polizeistationen und UNO-Einrichtungen in den Städten Nigerias vor allem in der Hauptstadt Abuja, zerstört Anlagen des Militärs und veranstaltet Massaker in den christlichen Dörfern des Landes. Etwa 8.000 Menschen christlichen Glaubens sind aufgrund dessen auf der Flucht. Insgesamt starben bei den gewalttätigen religiösen Konflikten zwischen muslimischem Norden und christlichem Süden in den vergangenen Jahren etwa 3.000 Nigerianer.

Seit 2010 nennt sich die Rebellengruppe Boko Haram intern Jama’atu Ahlis Sunna Lidda’awati wal-Jihad (Verband der Sunniten für die Verbreitung des Islam und für den Dschihad). Nicht zu verwechseln ist sie mit einer weiteren Terrororganisation des Landes, des Movement for the Emancipation of the Nigerdelta (MEND), die vor allem gegen die Ölindustrie kämpft und deren Umweltschädigungen anprangert.

Besonders aktiv sind die islamistischen Aktivisten neuerdings wieder in Indonesien. Neben dem bekannten Netzwerk Jemaah Islamia bildete sich aus der separatistischen Bewegung Negara Islam Indonesia (NIL) eine besonders radikale Gruppe, die vor allem im studentischen Umfeld des Inselstaates mit seinen 200 Millionen Muslimen tätig ist und die Bartpflicht für Männer sowie die Burka für Frauen einführen will.

Für ihre Brutalität ist die philippinische Abu Sayyaf (Vater des Schwertes) bekannt, die gezielt katholische Kirchen angreift, Geiseln nimmt und schon mal die abgehackten Köpfe von Christen den Behörden übergeben läßt. Ebenso radikal agieren islamistische Gruppen in Südthailand fast täglich gegen die Buddhisten des Landes, bomben indische muslimische Rebellen Züge und große Hotels in die Luft, organisieren sich im südlichen Rußland Banden, die Moskau immer wieder mit blutigen Attentaten schocken.

In Pakistan üben Tehrik-e-Taliban und Laskar-e-Taiba ihr mörderisches Handwerk aus, exportieren über das vom Geheimdienst ISI gesponserte Haqqani-Netzwerk den Terror über die Grenzen. Selbst Australien erlebt immer wieder die Gewalt islamistischer Kampfgruppen, die unter anderem den Forst-Dschihad verkünden – die Attacke durch Waldbrände. Gerade noch konnten geplante Anschläge auf eine Atomanlage bei Sydney, ein Fußballstadion, die Börse und Bahnhöfe in Melbourne sowie die Oper in Sydney verhindert werden. China hat es mit der Ostturkestanischen Islamischen Bewegung zu tun, die selbst von den US-Amerikanern als Terrororganisation eingestuft wird.

In Jordanien sorgen aktuell die Salafi-Dschihadisten für Aufsehen, in Singapur arbeitet die „Regionale Schura“, und die Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) rekrutiert regelmäßig deutsche Dschihadisten, die dann wie jüngst Mounir C. aus Bonn per Video auf ihre Terrortaten aufmerksam machen.

Last but not least wird auch die „Organisation al-Qaida des Islamischen Maghreb“ in Nordafrika zunehmend gefährlicher. Infolge der Revolutionswirren in Libyen soll sie nun sogar über Boden-Luft-Raketen aus dem Gaddafi-Fundus verfügen.