© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

„Den Druck im Kessel hoch halten“
Frauenquote für die Chefetagen: Sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene nimmt die Quotenlobby Unternehmensführungen parteiübergreifend unter Beschuß
Christian Schwiesselmann / Curd-Torsten Weick

Bis März 2012 haben sie noch Zeit. Da die EU-Justizkommissarin Viviane Reding mit aller Vehemenz auf einen höheren Frauenanteil in den Vorstands-etagen drängt, forderte sie im März 2011 alle börsennotierten Unternehmen auf, binnen Jahresfrist eine „Women on the Board Pledge for Europe“ zu unterzeichnen. Heißt eine Selbstverpflichtung mit folgendem Inhalt: „Ich verpflichte mich, den Frauenanteil im Aufsichtsrat beziehungsweise Vorstand des Unternehmens bis 2015 auf 30 Prozent und bis 2020 auf 40 Prozent zu erhöhen und zu diesem Zweck gezielt ausscheidende männliche Mitglieder durch qualifizierte Frauen zu ersetzen.“

Die Vizepräsidentin der EU-Kommission ist sich sicher, nur mittels dieser „letzten Chance“ sei der „noch immer männlich dominierten“ Unternehmenslandschaft beizukommen. Denn aktuelle Zahlen belegten, daß es in diesem Bereich kaum Fortschritte gebe. Nur 1zwölf Prozent der Aufsichtsratsmitglieder der größten europäischen Unternehmen seien Frauen. Dies, so Reding, sei nicht nur gesellschaftlich zu „bedauern“, sondern habe zudem negative ökonomische Konsequenzen: „Europa verschenkt damit bedeutendes wirtschaftliches Potential.“ Studien hätten einen „positiven Zusammenhang“ zwischen dem Frauenanteil in den Chefetagen und dem Erfolg des Unternehmens nachgewiesen.

Seit Monaten steht der Kampf um die Quote ganz oben auf der Tagesordnung. Sowohl auf EU-Ebene als auch in Deutschland. Hier gibt es zwar seit 2001 eine auf Freiwilligkeit basierende „Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft“, doch Frauenverbände kritisieren deren Ineffektivität. Angesichts von 15,6 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten und 3,7 Prozent in den Vorständen der DAX-30-Unternehmen sprechen sie von zehn verlorenen Jahren und kämpfen entsprechend für die Einführung einer Quote.

An vorderster Front das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderte Projekt „Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung“ des gut vernetzten Deutschen Juristinnenbundes (djb). Gestützt von den Grünen, die Mitte Oktober 2010 den Gesetzentwurf zur „geschlechtergerechten Besetzung von Aufsichtsräten“ einbrachten, arbeitet der djb an mehreren Fronten für eine Quote. Die Aktivistinnen besuchen nicht nur die Hauptversammlungen der DAX-Unternehmen und versuchen deren Repräsentanten zu verhören, sondern sie bereiten auch juristisch und publizistisch das Bett für die Quote.

Wiederum gefördert vom BMFSFJ gab der djb im Oktober 2010 die Broschüre „Aktionärinnen fordern Gleichberechtigung“ heraus und stellte nun vergangene Woche unter Teilnahme der stellvertretenden CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär und der Grünen-Politikerin Renate Künast in Berlin die Folgestudie vor.

Die Befragung der 75 DAX-Unternehmen 2011 bestätigte die djb-Weltsicht von den uneinsichtigen Konzernen, die man mit einer gesetzlichen Quote zu ihrem Glück zwingen müsse. Der Frauenanteil auf Führungsebene sei „nach wie vor auf einem unakzeptablen niedrigen Niveau“ erklärte dann auch die djb-Präsidentin Ramona Pisal und resümierte: „Die Zeit der Selbstverpflichtungen ist vorbei. Es ist eine gesetzliche Regelung erforderlich.“

Die Argumentationsfigur für die Frauenquote stammt aus dem feministischen „Diskurs“. Eine gläserne Decke halte Frauen letztlich davon ab, in die obersten Führungsetagen eines Unternehmens vorzustoßen. Schuld daran sei ein „Old Boys“-Netzwerk, das keine Frauen neben sich dulde und Beförderungen nur nach dem Ähnlichkeitsprinzip vornehme. „Diesen unökonomischen Selektionsmechanismus gilt es aufzubrechen, und dafür braucht es die gesetzliche Quote“, schlußfolgerte Anke Domscheit-Berg in der taz.

Die Grünen-Politikerin hat sich mit der Beratungsfirma „fempower.me“ selbstständig gemacht, die Unternehmen helfen soll, ihren Frauenanteil im Management zu erhöhen. Domscheit-Berg, Gründungsmitglied der ebenfalls vom BMFSFJ geförderten Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ (FidAR), war daneben als Projektleiterin der ersten Frauenstudie des Wirtschaftsberatungsunternehmens McKinsey mit dem Titel „A wake up call for female leadership in Europe“ im Jahre 2007 beteiligt. Mittlerweile hat das US-Unternehmen die Frauenquote als lohnendes Geschäftsmodell entdeckt („Women Matter 2“, 2008, „Women Matter 3“, 2009).

Die erste Studie für den deutschsprachigen Raum jedoch warf den McKinsey-Autoren nun „methodisch problematische Mittelwertvergleiche“ vor. Die Ökonomen Hagen Lindstädt, Kerstin Fehre (Karlsruher Institut für Unternehmensführung) und Michael Wolff (Uni Göttingen) kritisieren in ihrer Untersuchung „Frauen in Führungspositionen. Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg“ (August 2011): „Die diesen Studien zugrunde liegenden Mittelwertvergleiche weniger Jahre können entscheidende, seit langem bekannte Störfaktoren wie Unternehmensgröße, Branche, Eigentümerstruktur und Familienbesitz, Besonderheiten der Governance und entscheidende Finanzkennzeichen wie Verschuldungsgrad und Risiko nicht berücksichtigen.“ Deshalb seien zahlreiche Verzerrungen zu erwarten.

Dennoch beruft sich nicht nur Viviane Reding auf McKinsey. Auch der bdj und die Netzwerkerinnen der Frauenquote versuchen mit diesen Studien, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Entsprechend blies die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Manuela Schwesig in der Debatte um die von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) vorgeschlagene Flexi-Quote, nach der Unternehmen „gesetzlich verpflichtet“ werden sollen, eine „selbst bestimmte und betriebsspezifische Frauenquote festzulegen“, ins selbe Horn: Es sei nachgewiesen, daß gemischte Führungsteams erfolgreicher sind als rein männliche, zeigte sich Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin im Spiegel-Interview überzeugt. Die Experten Lindstädt, Fehre und Wolff halten dagegen: „Es ließ sich für Deutschland kein statistisch signifikanter allgemeiner (undifferenzierter) positiver Performance-Effekt von Frauen in Aufsichtsräten nachweisen.“ Lediglich in Unternehmen mit hohem Frauenanteil an den Gesamtbeschäftigten und weiblicher Kundenbeziehung sei ein positiver Effekt spürbar. Dieser geht jedoch über einen Wohlfühleffekt nicht hinaus: „Frauen fühlen sich durch ein stärker mit Frauen besetztes Spitzengremium besser repräsentiert und so enger an das Unternehmen gebunden“, heißt es in der vom BMFSFJ im August herausgegebenen Untersuchung. Ministerin Schröder wollte damit vor allem den vielen Gegnerinnen ihrer freiwilligen Flexi-Quote den Wind aus den Segeln nehmen.

Ob das dauerhaft gelungen ist, scheint fraglich. Ohne Unterlaß plädieren Frauenverbände, SPD- und Grünen-Politiker für eine gesetzliche Quote in den Chefetagen. Auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) macht keinen Hehl aus ihrer Pro-Quoten-Haltung. Ebenso die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Bär. „Keine Lösung ohne Gesetze“ erklärte die Bundestagsabgeordnete während der Präsentation der djb-Studie am 16. November, es gehe nun darum, den „Druck im Kessel“ hoch zu halten.

Den Druck, den EU-Kommissarin Reding bis zum Internationalen Frauentag aufrechterhalten möchte. Am 8. März 2012 wird dann Bilanz gezogen. Sollten von den Unternehmen dann keine „glaubwürdigen und wirkungsvollen Selbstregulierungsinitiativen“ entwickelt worden sein, will Reding auf EU-Ebene „weitere Maßnahmen“ ergreifen. Welche läßt sie offen. Dennoch unterstrich sie in einem Standard-Interview: „Ich bin nicht quotenbegeistert, aber mich begeistert, was Quoten bewirken können.“

Foto: Lobbyarbeit für die Frauenquote: Jutta von Falkenhausen („Frauen in die Aufsichtsräte“), Ramona Pisal (Deutscher Juristinnenbund) und Renate Künast (Grüne) (v.l.) am 12. Oktober 2010