© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

„Nie hat ein deutscherer Musiker gelebt als Du!“
Klagend und tief: Eine Erinnerung an den vor 225 Jahren geborenen „Freischütz“-Komponisten und Kapellmeister Carl Maria von Weber
Sebastian Hennig

Weber kam auf die Welt, um den Freischütz zu schreiben,“ so verkündete 1926 eine hagiographische Rede zum hundertsten Todestag des Komponisten. Hans Pfitzner sah im Freischütz die Morgenröte der deutschen Musikdramatik, deren Mittagsstunde von Richard Wagner eingenommen wurde und in deren Dämmerung er selbst stand. Charles Baudelaire liebte gleichermaßen Wagners wie Webers Musik. Merkmale der letzteren verwendete er als ein Qualifikationsmerkmal für die Malerei seines Landsmanns Delacroix. Er schwärmt von dessen „Farbe, die breit ist, schlicht, überreich an harmonischen Massen, wie die aller großen Koloristen, doch klagend und tief wie eine Melodie Webers“ ist.

Weber wurde am 19. November 1786 im holsteinischen Eutin als Sohn eines ehrgeizigen Musikers und Schauspieldirektors geboren. Franz Anton von Weber, der sich das Adelsprädikat selbst beigelegt hatte, wollte den Sohn zum einträglichen Wunderkind abrichten. Die „von Webersche Schauspielergesellschaft“ gastierte in Wien, Kassel, Meiningen und Nürnberg. In Salzburg wurde der Knabe durch Michael Haydn unterrichtet. Hier starb seine geliebte Mutter. Sie wurde im Grab Leopold Mozarts beigesetzt wo später dann auch ihre Base Constanze Mozart, geborene Weber die letzte Ruhe fand.

Des Sohnes frühe Opern heißen „Die Macht der Liebe und des Weins“, „Das Waldmädchen“. Er bleibt der Mode des Schaurigen und Exotischen treu. Und mit der siebenten Oper „Der Freischütz“ trifft er 1821 dann den richtigen Nerv. Lieder daraus, wie jene vom „Jungfernkranz“ und den „Freuden der Jagd“ werden im Nu zu internationalen Schlagern.

Auch die folgenden Opern sind musikalisch ausgereift. Aber es mangelt ihnen an der dramatischen Homogenität seines größten Wurfes. Als er 1823 die Uraufführung seiner „Euryanthe“ in Wien dirigiert, bemerkt Franz Grillparzer: „Solche Musik ist polizeiwidrig, sie würde Unmenschen bilden, wenn es möglich wäre, daß sie nach und nach allgemein Eingang finden könnte. Diese Oper kann nur Narren gefallen, oder Blödsinnigen oder Gelehrten, oder Straßenräubern und Meuchelmördern.“

Die rührende Geschichte um die tugendhafte Gräfin von Savoyen fand keinen allgemeinen Eingang. Einzig bei den Gelehrten und Gebildeten kommt das schöne Werk heute noch gut an. Auch das Gesindel berauscht sich inzwischen an gröberem Stoff.

In der Heimat ringt Weber mit den Sorgen des Tages, während in Frankreich und England der Kunstheros vergöttert wird. Zuletzt wird er nach London gerufen, wo man unter seinen Schritten Teppiche ausrollt. Seine Frau brach weinend vor dem Kutschenschlag zusammen und rief hellseherisch: „Ich habe einen Sarg zuschlagen hören.“ Er feierte einen beispiellosen Triumph mit der Uraufführung des Oberon in Covent Garden. Die Vorstellung mußte elfmal wiederholt werden.

Nicht nur den Anstrengungen der Arbeit und den körperlichen Gebrechen ist er am 5. Juni 1826 erlegen. Auch ein rasendes Heimweh folterte ihn in London. 1844 veranlaßte Richard Wagner die Überführung und Beisetzung von Webers Leichnam in Dresden. Die Gestaltung der Gruft ist ein Werk Gottfried Sempers. Wagner verlautete in seiner Gedächtnisrede: „Hier ruhe denn! Hier sei die prunklose Stätte, die uns Deine teure Hülle bewahre! Und hätte sie dort in Fürstengrüften geprangt, im stolzesten Münster einer stolzen Nation, wir wagten doch zu hoffen, daß Du ein bescheidenes Grab in deutschem Boden Dir lieber zur letzten Ruhestätte erwählt (…) Nie hat ein deutscherer Musiker gelebt als Du!“ Weber selbst sah es bescheidener und umfassender zugleich: „Wenn sie einmal einen Stein über meine Hülle legen, so werden sie mit Wahrheit darauf schreiben können: Hier ruht einer, der es wahrhaft redlich und rein mit Menschen und Kunst meinte.“

Weber gehört nicht „uns“. Er ist kein Nationalkomponist, in der Art wie es Verdi, Smetana, Sibelius, Grieg und Mussorgsky für ihre jeweiligen Vaterländer sind. Was Wagner, Semper und zuvor Weber, Rückert und Arndt für Deutschland damals empfanden, nämlich ein schmerzliches Gefühl des materiellen Defizits bei starker geistiger Präsenz, hat sich heute umgekehrt. Das Deutsche in diesem Sinne ist weit weniger eine Angelegenheit von Rasse und Nation, sondern eine Gesittung. Es geht nicht um rohe Okkupation oder Zurückweisung, sondern um subtile Annahme und Erfüllung. Nicht die Fanfare soll erklingen, sondern die Flöte. In der Instrumentenlehre von Hector Berlioz schließt der Abschnitt über die Klarinette mit dem verzückten Ausruf: „O Weber!“ Webers Klarinettenkonzerte sind im Konzertsaal lebendig geblieben. Und so, wie vor 125 Jahren, Franzosen und Briten ihn als den ihren empfanden, können vielleicht in hundert Jahren die Eliten der Chinesen und Araber zu Deutschen geworden sein im Geiste Webers und Beethovens, wenn die Resonanz für diesen Geist hierzulande zurückgeht.

In der Heimat des Meisters hat es nur zwei Veranstaltungen zum diesjährigen Jubiläum gegeben: Das Stadttheater Hildesheim brachte am 19. November eine konzertante Aufführung des „Oberon“, den Tag darauf erklang Kammermusik im einzigen dem Komponisten gewidmeten Museum in Hosterwitz bei Dresden, der Stätte der glücklichen Sommeraufenthalte des Dresdner Kapellmeisters. Bereits im Oktober wurde dem Museum ein Nachbau der im Krieg verschollenen Gitarre des Komponisten übergeben.

Eine Weber-Gesellschaft wurde vor erst zwanzig Jahren ins Leben gerufen. Sie ist bei der Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek angesiedelt. Die Beförderung der Gesamtausgabe ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Diese soll alle Kompositionen, Tagebücher, Briefe und Schriften umfassen und bis zum 200. Todestag Carl Maria von Webers im Jahr 2026 zum Abschluß kommen. In seiner Geburtsstadt Eutin und im schlesischen Carlsruhe bei Oppeln, wo er einige Monate Kapellmeister war, finden regelmäßig seinem Werk gewidmete Festivals statt.

An der Oper Erfurt wird im Januar ein „Freischütz“ zur Premiere gelangen. Aber notfalls kann man des Meisters daheim mit einer der zahlreichen guten Tonaufnahmen gedenken oder mit der schönen Filmoper von 2010, die inzwischen auf DVD vorliegt.