© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

„Jung, etabliert, demokratisch“
Facebook-Studie: Die Anhängerschaft rechtspopulistischer Parteien ist viel besser als ihr Ruf
Toni Roidl

Ein Gespenst geht um in Europa: Böse „Rechtspopulisten“ sind auf dem Vormarsch, um das verordnet traute Miteinander der Kulturen zu stören, irrationale Islamophobie zu schüren und „ismus-verdächtiges“ Gedankengut zu verbreiten. Was sind das bloß für Menschen, die so etwas tun?

Die britische Beratungsgesellschaft Demos hat das Geheimnis gelüftet. Demos bezeichnet sich selbst als „Denkfabrik“, die sich mit Datenerhebung beschäftigt. Demos untersucht hauptsächlich die Themenfelder „Familie und Gesellschaft“, „Gewalt und Extremismus“, „Politik und Wirtschaft“ sowie „Öffentlicher Dienst und Wohlfahrt“.

Nun hat Demos eine 76seitige Studie veröffentlicht, die Aufschluß über die Persönlichkeitsprofile von Unterstützern rechtskonservativer Bewegungen in sozialen Internet-Netzwerken gibt.

Die Autoren Jamie Bartlett, Jonathan Birdwell und Mark Littler werteten über zwölftausend beantwortete Fragebögen der Facebook-Freunde von vierzehn rechten Parteien und Initiativen in elf westeuropäischen Ländern aus. Befragt wurden „Sympathisanten“ folgender Parteien und Initiativen: Bloc Identitaire und Front National (Frankreich), BNP und EDL (England), Lega Nord und Casa Pound (Italien), Partij voor de Vrijheid (Niederlande), Vlaams Belang (Belgien), Die Freiheit (Deutschland), FPÖ (Österreich), Dansk Folkeparti (Dänemark), Fremskrittspartiet (Norwegen), Sverigedemokraterna (Schweden), Perussuomalaiset (Finnland).

Die Auswahl der Parteien ist etwas willkürlich: In Italien wurde neben Anhängern der Lega Nord auch das Umfeld der rechten Hausbesetzerbewegung Casa Pound befragt. In Frankreich betrachteten die Demoskopen neben dem Front National auch den Bloc Identaire mit dem schwarzen Keiler als Symbol. In Deutschland wurde nur die Stadtkewitz-Partei „Die Freiheit“ untersucht, deren Schicksal nach der Berlin-Wahl ungeklärt ist. Daten aus Litauen, Ungarn und der Slowakei wurden zwar erhoben, aber nicht ausgewertet; die Schweiz fehlt ganz, obwohl es dort viele SVP-Anhänger gibt.

Zudem verzerrt die Fokussierung auf die Facebook-Mitglieder die reale Bedeutung der Bewegungen. So hat die BNP nach eigenen Angaben weniger als 15.000 Mitglieder – aber über 80.000 Facebook-Freunde.

Ganz sicher ist die Studie nicht aus freundlichem Interesse erhoben worden. Das erklärte Ziel von Demos ist eine „Gesellschaft mit einer freien, kompetenten und starken Bevölkerung“. Unterstützt wurde die Studie durch die Institution „Offene Gesellschaft“ (Open Society Foundations). Um so überraschender sind die Ergebnisse – auch für die Autoren: Mehrere Absätze beginnen mit dem Satz „Obwohl oft geglaubt wird ...“.

So stellen die Verfasser irritiert fest: „Obwohl oft angenommen wird, daß sich Mitglieder rechtspopulistischen Parteien anschließen, weil sie keine fremden Ethnien mögen, ist die Realität nuancierter, da viele von ihnen liberale Werte vertreten, die sie in Gegensatz zum Islam bringen.“

Der Verblüffung ist kein Ende gesetzt: „Obwohl sie oft als rechtsaußen dargestellt werden, sind viele dieser Gruppen nicht so einfach anhand der klassischen politischen Kategorien zu verorten.“ Vor allem in der Globalisierungsfrage attestieren die Studienmacher den vermeintlichen Rechtspopulisten „linke Ansichten“. Zusammengefaßt lassen sich die Probanden in etwa so einordnen: Sie sind mehrheitlich unter 30 und männlich. Die Beschäftigungsquote liegt im Landesdurchschnitt; ein Drittel von ihnen sind Studenten. Die Hälfte hat Abitur oder eine fachliche Qualifikation.

Nationale Interessen und europäische Kultur sind ihnen besonders wichtig. Sie vertrauen der Polizei, aber nicht der Justiz. Sie vertrauen der Demokratie, aber zweifeln Wahlen an. Sie sind überdurchschnittlich politisch interessiert und informiert. Sie lehnen Extremismus und Gewalt ab. Die Studie stellt als „wichtig“ heraus, daß diejenigen Online-Aktivisten, die sich auch in der Realität engagieren (wählen, demonstrieren, sich in einer Partei engagieren), „offenbar demokratischer sind, mehr Vertrauen in die Politik haben und sich eher stärker von Gewalt distanzieren“.

Und noch eine Überraschung: Die Facebook-Nutzer, denen Rechtspopulismus „gefällt“, sind keine Protestwähler! Die Studie belegt, daß materiell frustrierte Wähler eher etablierte Parteien wählen. Unkontrollierte Masseneinwanderung und Islamisierung beunruhigen die Probanden weit mehr als Arbeitslosigkeit oder Inflation. Im europäischen Vergleich schneidet die österreichische FPÖ am besten ab, sowohl was die Zahl der Anhänger, als auch den Frauenanteil und die Beschäftigungsquote betrifft.

Daß die Studie bei diesen Ergebnissen überhaupt veröffentlicht wurde, ist schon erstaunlich, weil sie etliche Klischees in Frage stellt. Fragt sich, wann die erste „Gegenstudie“ erscheint – aus der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Beispiel.

The New Face of Digital Populism. Eine Studie der Londoner Denkschule „Demos“ www.demos.co.uk

 

Skurril: Nur Italiener vertrauen der EU

Die Anhänger rechtspopulistischer Parteien wie der FPÖ sind skeptischer als andere Wähler gegenüber dem Staat, der Regierung, der Justiz und gegenüber den großen Medienkonzernen. Besonders ausgeprägt ist die Skepsis von Facebook-Freunden rechtspopulistischer Parteien gegenüber der EU, der noch weniger Vertrauen entgegengebracht wird als der eigenen Regierung. Aber es gibt eine Ausnahme: die Italiener.

In der Frage nach dem Vertrauen in den Staat unterscheiden sich Rechtswähler in Itaien nicht von den anderen Wählern. Und alle sind sich einig, daß der EU deutlich mehr Vertrauen entgegenzubringen sei als der eigenen Regierung. Eine Antwort, die bei Lega-Nord-Anhängern besonders spektakulär ist, da diese Partei bis vor kurzem (während der Befragungszeit) noch die italienische Regierung gestellt hat. (rg)