© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/11 / 25. November 2011

Der vergessene „Flügelmann Frank“
Mit dem badischen Sozialdemokraten Ludwig Frank fiel 1914 ein wichtiger Repräsentant des gemäßigten Flügels seiner Partei
Knut Bücker-Flürenbrock

Nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten begab sich François Mitterrand mit seinen Getreuen ins Pantheon und legte am Sarkophag von Jean Jaurès, dem Führer der französischen Sozialisten, eine rote Rose nieder. Jean Jaurès war am 31. Juli 1914, am Vorabend des Ersten Weltkrieges, einem Attentat zum Opfer gefallen. Er war ein guter Freund Ludwig Franks gewesen, beide Reformsozialisten und nach einem friedlichen Nebeneinander von Deutschen und Franzosen strebend.

Am Grab von Ludwig Frank können wir keine Rose niederlegen. Schon bald in Frankreich gefallen, wurde er dort zusammen mit den anderen Toten seines Regiments beigesetzt. Wer von ihnen Ludwig Frank ist, das ist unbekannt – „Known only to God“, lesen wir auf englischen Soldatengräbern. Der kriegsfreiwillige Landsturmmann im 2. Badischen Grenadierregiment Nr. 110, Dr. Ludwig Frank, Rechtsanwalt aus Mannheim, Mitglied des Reichstages, Sozialdemokrat, ist am 3. September 1914, im Alter von vierzig Jahren bei Nossoncourt südwestlich von Baccarat gefallen.

Vor dem Abmarsch an die Front hatte er in einem Brief an eine Freundin geschrieben: „Ich habe den sehnlichen Wunsch, den Krieg zu überleben und dann am Innenbau des Reiches mitzuschaffen. Aber jetzt ist für mich der einzig mögliche Platz in der Linie in Reih und Glied und ich gehe wie alle anderen freudig und siegessicher …“

Der am 23. Mai 1874 in Nonnenweier bei Lahr geborene Frank entstammte einer lange schon am Oberrhein ansässigen Familie handeltreibender Landjuden, aber auch angesehene Rabbiner waren unter seinen Vorfahren. Nach dem Gymnasium in Lahr, Rechtsstudium in Freiburg im Breisgau. Und Vorbereitungsdienst in der badischen Justiz und Verwaltung ließ er sich ab 1900 als Rechtsanwalt in Mannheim nieder. Kurz vorher war er der SPD beigetreten.

1904 in die Mannheimer Bürgerschaft gewählt, 1905 in den Badischen Landtag, zieht er nach der Wahl 1907 in den Reichstag ein. Frank gilt als der bedeutendste Reformsozialist der wilhelminischen Zeit. Durch Wahlabkommen verstärkt er das parlamentarische Gewicht seiner Partei in Baden und bildet schließlich im „Großblock“ ein Bündnis mit den badischen Nationalliberalen – eine Sensation im Reich und gegen die offizielle Parteilinie, gegen den heftigen Widerstand der Genossen außerhalb Badens, insbesondere von Rosa Luxemburg. In Karlsruhe stimmt zum ersten Mal die SPD einem Budget zu!

Hier gründet Frank auch die erste sozialistische Jugendbewegung. Im Reichstag aber bekämpft er das im größten deutschen Bundesstaat Preußen herrschende Dreiklassenwahlrecht, das die breiten Massen politisch rechtlos macht – bis hin zur Propagierung des Massenstreiks. Ludwig Frank wollte in Zusammenarbeit mit anderen fortschrittlichen Parteien die Lage der Arbeiterschaft verbessern. In dieser Politik wurde er von Vertretern des liberalen Bürgertums wie Friedrich Naumann oder schon davor vom greisen Theodor Mommsen unterstützt.

Ludwig Frank ist oft mit Ferdinand Lassalle verglichen worden. Wie jener war er ein großer, leidenschaftlicher Redner, der die Zuhörer in seinen Bann schlug. Lovis Corinth hat ein eindrucksvolles Portrait von ihm geschaffen. Und Ernst Jünger läßt ihn in seinem Buch von den „Unvergessenen“ vor unseren Augen wiederauferstehen. Heinrich Brüning, auch ein hochdekorierter Frontkämpfer, weist in seinen Memoiren darauf hin, daß von den 394 Abgeordneten des Deutschen Reichstags im Ersten Weltkrieg nur zwei gefallen sind: der jüdische, radikale Sozialdemokrat Ludwig Frank und der hannoversche Aristokrat und Welfe Hans von Meding, also zwei sogenannte „Reichsfeinde“.

Als Frank, bereits vierzigjährig, sich zum Kriegsdienst meldete, wollte er damit beweisen, daß Sozialdemokraten keine „vaterlandslosen Gesellen“ seien, sondern bereit, ihr Leben für dieses zu opfern. Kurz vorher, am 31. August, hatte seine Partei zusammen mit den übrigen Fraktionen im Reichstag für die Kriegskredite gestimmt und sich dem „Burgfrieden“ angeschlossen. Allerdings erhoffte sich Frank, daß nunmehr, nicht nur in Preußen, sondern in allen Bundesstaaten das Reichstagswahlrecht eingeführt werde, zusammen auch mit weiteren Sozialreformen. In diesem Glauben ist Frank, zusammen mit seinen badischen Landsleuten, nach Frankreich in den Krieg gezogen, voller Hoffnung, danach sein Wirken als Politiker erfolgreich fortsetzen zu können.

Wäre Ludwig Frank aus dem Krieg heimgekehrt, hätte die deutsche Geschichte, so wird oft vermutet, eine andere Wendung genommen. Die übrigen Führer der SPD nach August Bebel überragte er um Haupteslänge, und man kann annehmen, daß in seinem Schatten ein Hitler keine Chance gehabt hätte.

Während Jean Jaurès, der Gesinnungsfreund, mit dem Frank die deutsch-französischen Parlamentariertreffen 1913 in Bern und 1914 in Basel zur Wahrung des Friedens veranstaltet hatte, in Paris im Pantheon bestattet wurde, ist dagegen ungewiß, wo genau in der Lothringer Erde Ludwig Frank seine letzte Ruhe gefunden hat. Zum Tode des kriegsfreiwilligen Frank dichtete Ludwig Thoma: „So hat es den Braven immer gekannt, das Herz so feurig, die Ehre so blank, den Flügelmann Frank.“