© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Im Schatten Putins
Rußland vor der Dumawahl: Rütteln am Monopol der „Einig-Rußland“-Partei
Thomas Fasbender

Wer wenige Tage vor den russischen Dumawahlen am 4. Dezember mit Menschen über Politik spricht, spürt den stillen Frust. Fast jedes Gespräch verstärkt den Eindruck verbreiteter Unzufriedenheit. Nichts ist sichtbar, erst recht nicht für den Ausländer, der nur kurz in der Hauptstadt weilt. Kein „Occupy Kreml“ weit und breit. Wer zeltet schon im Dezember auf dem 56. Breitengrad? Allenfalls in Internet-Videos findet die Stimmung ihren Niederschlag, etwa wenn das Publikum im Moskauer Olympiastadion den Premier Putin bei einer spontanen Ansprache niederpfeift.

Stein des Anstoßes sind Vetternwirtschaft, Korruption und das Gefühl, übervorteilt zu werden. Im Grunde treffen Wladimir Putins Leistungen der vergangenen elf Jahre nur selten auf Kritik. Die Begleichung der Staatsschulden, die Verdoppelung der Reallöhne, neuer Stolz auf das eigene Land – das wird von der Mehrheit gutgeheißen und begrüßt. Doch gleichzeitig hat die Macht sich den Menschen entfremdet. Für die meisten ist sie heute das Monopol der Petersburger Freunde des Premierministers. Zu viele Mitglieder der Datschensiedlung „Osero“ oder des Judoclubs „Jawara-Newa“ haben es binnen eines Jahrzehnts zum Milliardär gebracht.

Das Schmiergeld-Unwesen der kleinen Fische hat leicht abgenommen, die Gier der großen wächst. Der Mittelstand, das Gros der jungen Unternehmer und die meisten Beamten gehen leer aus. Das schafft Unmut.

Es dauert lange, bis Russen auf die Straße gehen. Doch auch hierzulande bildet sich ein ideologisch ungebundenes Protest-Elektorat. Dessen Angehörige träumen nicht von der Bilderbuch-Demokratie, sondern von mehr Gerechtigkeit beim Zugriff auf die Ressourcen. Und sie wählen jene, bei denen der kleine Mann sich am ehesten aufgehoben fühlt – das sind nicht die liberalen und demokratischen Parteien.

Die Oppositionspartei sind weiterhin die Kommunisten. In den Prognosen liegen sie bei 20 Prozent. Damit hat Apparatschik Gennadi Sjuganow, Genosse seit 1966, die reale Chance, das Ergebnis gegenüber 2007 annähernd zu verdoppeln. Das Parteiprogramm mag wirr sein (Stalin, Vaterland, Kirche), aber für die Wähler der KP sind weder Programm noch Köpfe von Belang. Sie fahren Porsche ebenso wie Lada, sind Unternehmer, Arbeiter oder Beamte. Was sie eint, ist die nostalgische Sehnsucht nach der vermeintlichen Gerechtigkeit und dem Lebensgefühl der guten, alten Zeit der Sowjetunion.

Das kremlgesponserte Konkurrenzprodukt auf der Linken, die Partei „Gerechtes Rußland“, schafft es allenfalls über die 7-Prozent-Hürde, stiehlt aber den Kommunisten wertvolle Stimmen. Echten Wettbewerb im Kampf um Proteststimmen liefern nur die Liberaldemokraten des Populisten Wladimir Schirinowski. Ihr Wahlprogramm läßt sich eindampfen auf die Losung „Rußland den Russen“, mit der sie auch bei dieser Wahl wieder ein zweistelliges Ergebnis erzielen dürften.

Die beiden Parteien des demokratischen, liberalen Flügels, „Jabloko“ und „Rechte Sache“, erreichen auch 2011 in Summe gerade einmal drei Prozent. Seit bald zwei Jahrzehnten gelingt es niemandem, die beiden Flügel der Demokraten – Wirtschaftsliberale und Sozialliberale – unter einen Hut zu bringen. Die ohnehin im Schwinden begriffene bürgerlich-urbane Wählerschaft reagiert, indem sie für die Regierungspartei stimmt, das „Einige Rußland“.

Das mit der größten Spannung erwartete Ergebnis ist daher auch das Abschneiden der Regierungspartei. Eine Zweidrittelmehrheit wie 2007 werden die Einigrussen in keinem Fall erreichen. In den Umfragen pendeln sie um 40 Prozent – Tendenz sinkend. Rechnet man die Stimmen der noch Unentschlossenen hinzu (plus die landes-typischen „administrativen Ressourcen“, vulgo Wahlmanipulation), dann kommt allenfalls ein Ergebnis knapp über der absoluten Mehrheit heraus.

Für die Partei mag die Alleinherrschaft damit vorerst gerettet sein. Für Putin wäre ein solches Ergebnis schmählich. Das „Einige Rußland“ ist schließlich sein ganz persönlicher Wahlverein. Um so geschickter war der Schachzug, den Noch-Präsidenten Medwedew als Spitzenkandidat zu etablieren. Sein Name auf den Plakaten paßt beiden Fraktionen der gespaltenen Kreml-Elite in den Plan. Jene, die in Putins Fahrwasser auf Law-and-Order und Sozialgeschenke setzen, werden feixen, wenn Medewedew geschwächt wird. Die wirtschaftsfreundliche Fraktion um Medwedew dagegen hofft, daß sein Name den Einigrussen zusätzliche Stimmen verschafft.

Putin selbst gibt derweil den Präsidenten in spe. Sein kühler Teflon-Charme wird unbeschadet bleiben, es sei denn ein wahrer Erdrutsch stünde der Regierungspartei ins Haus. Die Mißstimmung büßen wird der glück- und mutlose Dmitrij Medwedew, auf dessen künftige Bedeutung derzeit niemand hohe Wetten abschließt.

Foto: Sommerfrische ohne den Chef: Sergej Mironow (Gerechtes Rußland), Dmitri Medwedew, Wladimir Schirinowski (Liberal-Demokratische Partei) Gennadi Sjuganow (KP) und Boris Gryslow (Einiges Rußland) (v.l.n.r.)

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