© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

„Wir haben uns immer mehr radikalisiert“
Gespräch: Der thüringische Rechtsextremist André Kapke äußert sich über seine gemeinsame Zeit mit den späteren Mitgliedern der „Zwickauer Terrorzelle“
Felix Krautkrämer / Moritz Schwarz

Der Fall der „Zwickauer Terrorzelle“ bewegt derzeit die Republik. Neun ausländische Kleinunternehmer und eine Polizistin soll die als terroristische Vereinigung eingestufte Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ermordet haben.

Wer sich auf ihre Spuren begibt, stößt schnell auf André Kapke. Wohl kaum ein anderer war mit den 1998 untergetauchten NSU-Mitgliedern Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt so eng vertraut, wie er. Zusammen mit dem späteren stellvertretenden Thüringer NPD-Vorsitzenden Ralf Wohlleben war Kapke mit dem Trio in den neunziger Jahren in der „Kameradschaft Jena“ und später im „Thüringer Heimatschutz“ aktiv – als einer der führenden Köpfe. Gemeinsam nahmen sie an Demonstrationen teil, verteilten Flugblätter und besuchten Konzerte. Auch privat verstand man sich gut und feierte gerne zusammen. Wer also könnte mehr Auskunft geben über die möglichen Hintergründe der Mordserie?

André Kapke gehört seit Jahren zu den Größen der rechtsextremen Szene Thüringens. Sich selbst bezeichnet er als „Nationalen Sozialisten“. Gemeinsam mit Ralf Wohlleben baute er im Jahr 2002 in Jena das sogenannte „Braune Haus“ auf. Auch die NPD, der Kapke mit Unterbrechungen seit 1998 angehört, nutzte die Immobilie für Parteiveranstaltungen.

Später organisiert er ebenfalls zusammen mit Wohlleben das „Fest der Völker“, bei dem zahlreiche rechtsextreme Funktionäre, Politiker und Musikgruppen aus ganz Europa auftraten.

Kann Kapke Licht in einen der spektakulärsten Kriminalfälle der vergangenen Jahrzehnte bringen? Doch der 36jährige schweigt, will sich nicht zu den Berichten über seine Person äußern, wohl auch aus Sorge vor drohenden Ermittlungen.

Mitte vergangener Woche dann die Wende: Kapke entscheidet sich, dieser Zeitung ein Interview zu geben. Sein Anwalt hat ihm geraten, in die Offensive zu gehen. Bei dem Gespräch soll auch Wohlleben anwesend sein, aber nach einer Hausdurchsuchung am Tag vor dem vereinbarten Termin zieht er seine Zusage zurück. Am Dienstag wird er verhaftet. Er ist „dringend verdächtig, Beihilfe zu sechs vollendeten Morden und einem versuchten Mord“ der NSU geleistet zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, der Gruppierung „eine Schußwaffe nebst Munition verschafft zu haben“. André Kapke dürfte nun wohl noch stärker ins Visier der Ermittler geraten.

 

Herr Kapke, Sie sind gerade von Ermittlern des Bundeskriminalamts sechs Stunden im Fall der rechtsextremen Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) vernommen worden, als Zeuge, nicht als Beschuldigter.

Kapke: ... noch nicht.

Kommt das noch?

Kapke: In den letzten beiden Wochen ist mehr geschehen, als ich jemals erwartet hätte. Es gibt meiner Meinung keine Möglichkeit, mich zum Beschuldigten zu machen, aber wer weiß, was denen noch einfällt.

Welchen Eindruck haben Sie von der Vernehmung?

Kapke: Insgesamt hab ich das Gefühl, daß die auch nicht mehr über die ganze Angelegenheit wissen als ich. Wobei, das sind natürlich geschulte Ermittler, die sich nicht wirklich in die Karten schauen lassen.

Was wollte man von Ihnen wissen?

Kapke: Die meisten Fragen drehten sich um die Zeit vor dem Abtauchen der drei. Welche Kontakte wir damals pflegten. Ob ich weiß, wer die drei unterstützt haben könnte. Außerdem waren sie an meinen Verbindungen ins Ausland interessiert.

Wie lange kannten Sie Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos?

Kapke: Etwa von 1993 an bis zu ihrem Untertauchen 1998. Wir haben uns damals über den gemeinsamen Freundeskreis kennengelernt. Jena ist ja ein relativ überschaubares Nest.

Es wird geschrieben, Sie hätten versucht, den dreien dabei zu helfen, sich nach Südafrika abzusetzen.

Kapke: Das ist Quatsch.

Behauptet der „Spiegel“ ...

Kapke: Ich war im Sommer 1998 selbst in Südafrika. Daraus wurde das wohl konstruiert.

Gab es denn überhaupt Überlegungen, daß die drei sich ins Ausland absetzen sollten?

Kapke: Natürlich gab es die. Wir sind auch alle davon ausgegangen, daß sie das gemacht haben und sich eine neue Existenz aufbauen. Mir persönlich wäre das auch am liebsten gewesen. Nur hatten wir ja keinen Kontakt mehr zu ihnen, um so was zu organisieren.

Sie haben sich also nicht überlegt, wohin man sie schleusen könnte?

Kapke: Na ja gut, man hat sich natürlich Gedanken gemacht, was man an Hilfestellung leisten könnte.

Wenn einer der drei zu Ihnen gekommen wäre und Sie um Unterstützung gebeten hätte, hätten Sie geholfen?

Kapke: So wie ich das damals gesehen habe, ja. Mit dem heutigen Wissen natürlich nicht.

Hatten Sie noch Kontakt zu den dreien, nachdem sie untergetaucht waren und wenn ja wie lange?

Kapke: Dazu kann und will ich nichts sagen. Auf jeden Fall nicht nach 1998.

Was werfen Ihnen dann die Ermittler vor?

Kapke: Es wurden mir Vorhaltungen gemacht, daß ich denen beim Untertauchen bei der Beschaffung von Dokumenten, beispielsweise Ausweispapieren, geholfen habe.

Und?

Kapke: Auch dazu möchte ich mich nicht äußern.

Haben Sie von dem Sprengstoff und den Rohrbomben gewußt, die 1998 gefunden wurden?

Kapke: Nein. Natürlich nicht.

Was dachten Sie, als Sie von dem Fund erfuhren?

Kapke: Ich war überrascht. 1,4 Kilogramm sind ja nicht gerade wenig. Auf jeden Fall habe ich das als dämlich empfunden. Vor allem, weil „Böhni“ und Mundlos den in einer Garage lagerten, die auf Beates Klarnamen angemietet war.

Wurde nicht darüber gesprochen, was man mit einer solchen Menge Sprengstoff machen könnte?

Kapke: Über so was gab es keine Diskussionen. Das war kein Thema bei uns.

Woher stammte der Sprengstoff?

Kapke: Woher soll ich das wissen?

Sie waren doch laut „Spiegel“ der „Führer“ der Kameradschaft Jena?

Kapke: Es mag vielleicht unglaubwürdig klingen, aber wir haben alles gemeinschaftlich entschieden – ganz demokratisch. Wenn einer sagte, er kann etwas nicht mittragen, dann hat er eben nicht mitgemacht. Und einen „Führer“ gab es nicht. Das ist Presse-Blabla.

Wenn man so engen Kontakt hat, muß man doch etwas von dem Sprengstoff und den Rohrbomben mitbekommen haben?

Kapke: Ich habe von Anfang an zu verstehen gegeben, daß ich nicht in eine solche Richtung tendiere. Und ich hätte auch nichts mitbekommen wollen. Es gab die Vereinbarung, wenn jemand etwas machen will, das strafrechtliche Konsequenzen haben könnte, dann soll er sich gut überlegen, wen er einweiht. Es war ja damals schon klar, daß unser Kreis infiltriert ist. Und wenn dann was auffliegt, geht die Suche in den eigenen Reihen los, wer „angeschissen“ hat. Das wollten wir vermeiden.

Dann hatten Sie zumindest die Befürchtung, daß so etwas möglich ist?

Kapke: Na ja, das war in den neunziger Jahren und da gab es mehrfach Aktionen mit Bombenattrappen, nicht nur in Thüringen. Damals tummelten sich ja etliche Verrückte, die mit der politischen Sache nicht viel zu tun hatten. Ehemalige NVA-Soldaten, die dann bei der Fremdenlegion gescheitert waren.

Wie gut waren sie untereinander befreundet?

Kapke: Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, auch privat. Das Politische war dabei manchmal sogar nebensächlich. Und das, was wir zusammen erlebt haben – die Repression und die Angriffe von Linken – das schweißt zusammen.

Wie würden Sie die drei beschreiben?

Kapke: Beate war ein offenes und lebensfrohes Mädchen. Mundlos war intelligent, auch aufgeschlossen, einer vom Typ Schwiegersohn. Auch Böhnhardt war kein Proll oder dumm, wie jetzt zum Teil behauptet wird. Er war vielleicht nicht gerade der große Vordenker, aber deswegen noch lange nicht blöd.

Er wird als Waffennarr beschrieben.

Kapke: Das stimmt, er hatte ein gewisses Faible für Waffen.

War er vorbestraft?

Kapke: Ja, wegen Volksverhetzung. Er hatte 1996 eine Puppe mit Judenstern und einer Bombenattrappe an einer Autobahnbrücke aufgehängt.

Wie kam die Tat in der Kameradschaft an?

Kapke: Die Reaktionen waren geteilt. Die einen haben gesagt, so was hilft uns nicht weiter. Andere meinten, so kommen wir wenigstens mal in die Öffentlichkeit.

Von wem kam die Idee zu den Bombenattrappen, die 1997 unter anderem an die Polizei in Jena und die „Thüringische Landeszeitung“ verschickt wurden. Von Böhnhardt und Mundlos?

Kapke: Wer von denen nun genau darauf kam, weiß ich nicht. Möglich, daß das auch gemeinschaftlich bei einem Bier entstanden ist.

Bildeten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt schon damals ein Trio?

Kapke: Sie waren sehr eng befreundet. Beate war am Anfang mit Mundlos liiert. Das ging irgendwann auseinander. Später kam sie dann mit Böhnhardt zusammen.

Gab es deswegen Streit?

Kapke: Nein, die Trennung von Mundlos geschah auch nicht im Bösen.

Aber vielleicht später, nach dem Untertauchen.

Kapke: Keine Ahnung. Für mich ist es ohnehin schwer vorstellbar, wie man fast 14 Jahre lang untergetaucht zusammenleben kann. Das hält doch die stärkste Freundschaft nicht aus.

Haben Sie irgendwann eine Radikalisierung bei den dreien feststellen können?

Kapke: Nicht, daß ich wüßte. Und was heißt schon Radikalisierung?

Das ist doch unglaubwürdig. Sie waren eng befreundet und haben nicht bemerkt, in welche Richtung die drei sich entwickelten?

Kapke: Natürlich habe ich Veränderungen festgestellt, aber doch nicht in eine solche Richtung. Sicher haben wir uns damals immer mehr radikalisiert beziehungsweise politisiert. Die wollten irgendwann auch aktionistischer werden, um mehr Öffentlichkeit zu bekommen, aber das bedeutet ja nicht gleich Terrorismus. Deswegen hab ich das mit den Bombenattrappen auch nicht so ernst genommen. Die waren ja nicht zündfähig. Das sollte doch nur zeigen: Seht her, wir könnten, wenn wir wollten.

Sie sehen das eher als Streich?

Kapke: Na ja, das trifft es vielleicht nicht ganz.

Offiziell soll Mundlos zuerst Böhnhardt mit einem aufgesetzten Kopfschuß getötet, dann das Wohnmobil in Brand gesteckt und anschließend sich selbst erschossen haben. Halten Sie das für glaubwürdig?

Kapke: Nein, darüber habe ich mich auch sehr gewundert. Wenn überhaupt, dann hätte ich gedacht, daß Böhnhardt Mundlos erschießt. Einfach vom Typ her. Ich frage mich allerdings, warum sie nicht versucht haben, sich freizuschießen oder als „Märtyrer“ zu sterben? Waffen hatten sie doch genug, sogar eine Maschinenpistole, und Skrupel, Polizisten zu erschießen, doch angeblich auch nicht.

Was ist mit den Morden an acht Türken und einem Griechen? Die waren kaltblütig: Den Opfern wurde teilweise ins Gesicht geschossen. Wäre Böhnhardt dazu in der Lage gewesen?

Kapke: Ich wünsche mir zumindest, daß es keiner von denen war. Ich kann mir auch nicht erklären, warum jemand loszieht und irgendwelche ausländischen Ladenbesitzer erschießt. Wenn ich so etwas in Zusammenhang mit weltanschaulichen Erwägungen bringen will, dann wäre es doch viel konsequenter, einen Drogendealer zu erschießen.

Vielleicht taten sie es aus Haß auf Ausländer?

Kapke: Dann wäre es dennoch sinnvoller, solche Leute zu nehmen, die einen geringen Wert für unsere Gesellschaft haben. Wenn die etwas verändern wollten, was ja laut dem angeblichen Bekennervideo der Fall war, dann erschieße ich doch keine unschuldigen Gemüsehändler. Dann hätten sie sich eher Presseleute, Staatsanwälte, Richter und Politiker vornehmen müssen.

Vielleicht betrachten sie Türken als Feinde?

Kapke: Das ist Quatsch. Wir waren doch auch zusammen in ausländischen Restaurants, beim Vietnamesen zum Beispiel. Wenn ich aus purem Ausländerhaß töte, dann gehe ich dort nicht essen. Wir waren uns damals schon einig, daß nicht der einzelne Ausländer der Feind ist.

Sie kämpfen doch gegen „Überfremdung“?

Kapke: Das ist ein Unterschied. Das mache ich ja nicht an den Ausländern fest, sondern an der Politik, die das ermöglicht. Man kann den Ausländern nicht vorwerfen, daß sie die Möglichkeiten nutzen, die ihnen gegeben werden.

Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie in den Nachrichten gehört haben, daß Böhnhardt und Mundlos die Morde begangen haben sollen?

Kapke: Daß das alles ein großer Schwindel ist und denen etwas untergejubelt werden soll. Mittlerweile schließe ich aber fast nichts mehr aus. Dennoch ist mir die ganze Sache unbegreiflich, auch rein menschlich. Ich kann einfach kein Motiv für die Taten erkennen.

Und wenn es darum ging, Angst unter Ausländern zu erzeugen?

Kapke: Dann hätten sie sich zumindest zu den Taten bekennen müssen. So war der Hintergrund der Morde ja unbekannt.

2003 verjährten die Sprengstoffdelikte, trotzdem tauchen die drei nicht wieder auf, warum?

Kapke: Es gab zwei Varianten: Die eine, sie glaubten nicht an die Verjährung, sondern hielten das für eine Finte. Es war ja auch schon mal ihr Tod vermeldet worden. Vermutlich um sie dazu zu bewegen, sich bei ihren Angehörigen zu melden. Die andere war, daß sie sich eben im Ausland eine neue Existenz aufgebaut haben.

Die Band „Gigi & die Braunen Stadtmusikanten“ haben 2010 das Lied „Döner-Killer“ geschrieben. Wußten die, wer hinter den Morden steckt?

Kapke: Das bezweifle ich. Jeder, der sich ein bißchen in der Szene auskennt, vor allem in diesen subkulturellen Kreisen, der weiß, daß da keiner sein Maul halten kann. Wenn einer was gewußt hätte, wäre das irgendwann an die Öffentlichkeit gekommen.

Die rechtsextreme Szene galt bislang als bestens überwacht und mit V-Männern durchsetzt. Wie glaubwürdig ist es, daß die drei damals quasi vor den Augen der Ermittler verschwinden und 13 Jahre unentdeckt schwerste Verbrechen begehen konnten?

Kapke: Man muß immer bedenken, daß sie – zumindest am Anfang – keine Profis waren. Außerdem verfügten sie ja offenbar nur über Ausweispapiere von Personen, die selbst als Rechtsextremisten bekannt waren. Und wenn sie dann auch noch Kontakt zur Szene hielten und dort über Unterstützer verfügten, ist das nicht gerade glaubwürdig. Wie gesagt, einer verplappert sich immer.

Foto: Demonstration des „Thüringer Heimatschutzes“ 2001: Auch die mutmaßlichen Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos waren in der Gruppierung aktiv

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