© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

CD: V. Ekimovsky
Lärm im Glashaus
Sebastian Hennig

Drei verschieden geartete Anläufe unternimmt das Klavier, um sich von dem treibenden Gewirbel des Orchesters freizuarbeiten in den „Sinfonischen Tänzen“ von Viktor Ekimovsky. Dreimal schlägt die Woge über dem Geklimper wieder zusammen, wie das Rote Meer hinter den Israeliten. Der 1947 in Moskau geborene Tonsetzer ist ein Klanggrafiker, der Kurzgeschichten illustriert. Das Gelegentliche seiner Stücke spiegelt sich in den ständig wechselnden Konstruktionsmodellen, und äußerlich bekundet er es damit, daß er keine Opus-Nummern zählt, sondern schlicht nach „Kompositionen“ numeriert. Mit dieser chamäleonartigen Stilisierung der Stillosigkeit unterläuft er das Werkdesign, mit dem die atonale Musik Griffigkeit vortäuscht. Wozu sich für eine Technik, einen Stil entscheiden, eine Handschrift pflegen, wo doch längst alles probiert und erfunden zu sein scheint.

Dieser ästhetische Pluralismus schließt nicht aus, daß sich doch einmal Stücke aufeinander beziehen. So folgen auf Komposition 65 „27 Destruktionen“ für Schlagzeugensemble „Der Spiegel Avicennas“. Nach der systematischen Zertrümmerung eine Sammlung, eine Klangmeditation, in deren Verlauf sich vierzehn Spieler zu einem Ensemble formieren. Die Komposition 66 gab vorliegender CD den Namen, auf der die Reihenfolge dann allerdings umgekehrt zur Entstehung gegeben ist. Die „Destruktionen“ erinnern an Uhrwerk, Hufgetrappel, Trommelwirbel und Zirkustusch. Später heult eine Sirene auf. Das erinnert an die expressive Klangwelt des avantgardistischen Schostakowitsch der 2. und 3. Sinfonie und der Kammeroper „Die Nase“. Ein Gefühl für die Mischung von Selbstironie und Pathos ist auch Ekimovsky eigen. In einem Buch „Automonographie“ (2008) hat er die musikalische Avantgarde Rußlands im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts vorgeführt, wie Rimski-Korsakow seinerzeit in seinem Lebensbericht das „mächtige Häuflein“.

Die Fähigkeiten des 1976 gegründeten Schlagzeugensembles von Mark Pekarsky haben hunderte zeitgenössische Kompositionen für diese Instrumentengruppe inspiriert, darunter auch zwei Werke auf dieser Platte. Jungfräulich schüchtern und zaghaft verhält sich das Schlagwerk in „Mariä Himmelfahrt“(1989). Den mit schwarzen Tüchern gedämpften Instrumenten wird eine halbminütige Musikformel vorgegeben, die durch unterschiedliche Einsätze wie ein Kanon ineinandergeschoben wird. Zuweilen klingt es wie gedämpfte Schritte, dann wieder wie ferne Glocken. Zuletzt immer leiser werdend, entzieht sich die gekennzeichnete Verborgenheit unseren Sinnen ganz.

Das Violinkonzert „Attalea princeps“ basiert auf einem stampfenden Grundrhythmus, der zwischen den Instrumentengruppen wechselt und durch den sich die Solostimme rankt. Der Komponist ordnet an, daß der Hörer währenddessen die gleichnamige Erzählung des Wsewolod Garschin von 1879 liest. Darin wächst die benannte Pflanze aus dem Glashaus heraus und sprengt dessen Decke.

Man wünscht sich nicht alle Musik mit diesen Mitteln realisiert, aber für sich gesehen sind diese Stücke durchaus wirkungsvoll, auch außerhalb der Sekte der Neuesten Musik. Außerdem ist schon dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Viktor Ekimovsky, The Mirror of Avicenna Wergo (WER 67292 ), 2011 www.wergo.de

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