© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/11 / 02. Dezember 2011

Einladung zum Hausbesuch
Science-fiction: „In Time – Deine Zeit läuft ab“ mit Justin Timberlake
Claus-M. Wolfschlag

Der 1964 in Neuseeland geborene Regisseur und Drehbuchautor Andrew Niccol ist bekannt für sehr solides Unterhaltungskino mit gesellschaftskritischem Hintergrund. Sieht man von dem 2005 veröffentlichten Kriminalfilm „Lord of War“ ab, der die Geschichte eines osteuropäischen Waffenhändlers erzählt, wählte Niccol stets das Science-fiction-Genre, um seine politisch-ethischen Botschaften zu vermitteln („Gattaca“, 1997; „Die Truman Show“, 1998; „S1m0ne“, 2002).

Nun hat er mit „In Time“ ein zwiespältiges Werk zur aktuellen Finanzkrise geschaffen. Er hantiert dabei mit einem Trick zur symbolischen Umschreibung der Problematik und setzt „Zeit“ für „Geld“ ein. „In Time“ spielt in einer Zukunft, in der es die Wissenschaft erreicht hat, das menschliche Alterungsgen zu entschlüsseln und zu deaktivieren. Ab dem Alter von 25 Jahren hören die Menschen auf, körperlich älter zu werden. Allerdings fängt dann ein täglicher Daseinskampf um zugeteilte Lebenszeit statt. Man wird in Zeiteinheiten für seine Arbeitsleistung bezahlt, man bezahlt mit Minuten oder Stunden, wenn man telefoniert oder etwas einkauft. Den aktuellen Zeitwert bis zu seinem Ableben erkennt man an einem im Arm implantierten Zählwerk.

Soweit also ein netter Gag, den sich Niccol ausgedacht hat, faktisch eine Umsetzung des alten Mottos „time is money“. Doch nun kommt das sozialkritische Element hinzu. Denn es existieren starke soziale Unterschiede in dieser Gesellschaft. Einige verfügen über Millionen von Jahren, können sich ein Leben in luxuriösen gated areas leisten, andere kämpfen ums tägliche Leben in Unterschichtenvierteln und bleiben schon mal sprichwörtlich auf der Straße liegen.

Niccol zeigt die soziale Schere der Gegenwart nur in drastischen, plakativen Symbolbildern. Die durch Zollstationen abgetrennten Wohnbereiche stehen für die „sozialen Schranken“ der Gesellschaft, die für ärmere Schichten zu undurchlässig seien, der Großunternehmer Philippe Weis steht für den blasierten Banker der Gegenwart und der Timekeeper Raymond Leon (Cillian Murphy) für die Polizei im Dienste der Herrschenden. Als Held fungiert der Ghetto-Rebell Will Salas (Justin Timberlake), der mit seiner Freundin das System durch Banküberfälle und der folgenden Verteilung von massenhafter Zeit an die Armen aushebelt.

Andrew Niccol hat seine Helden als Mischung aus Robin Hood und Bonnie & Clyde angelegt. Doch das Ergebnis hinterläßt einen schalen Beigeschmack. So werden zum einen platte linke Ressentiments und weitverbreitete Neidempfindungen angesichts gesellschaftlicher Ungleichheiten bedient, andererseits nicht nach der Wertschöpfung gefragt. So wie die Zeit bei „In Time“ symbolisch für die Summen auf heutigen Bankkonten steht, so wird auch nicht nach der realen Existenz dieser Zeit gefragt. Daß andere Menschen über wenig Zeit (beziehungsweise Geld) verfügen, wird zudem allein mit der Boshaftigkeit raffgieriger Reicher begründet, nicht mit systemimmanenten Fehlern. Will Salas rebelliert demnach aus sozialem Gewissen gegen die sozialdarwinistischen Thesen seines Kontrahenten Philippe Weis und bestätigt sie durch seinen eigenen Kampf doch nur. Und da er den Massen Zeit schenkt, die Ressourcen der Erde aber offenbar gar nicht für eine solche Überbevölkerung angelegt sind, wird er letztlich jenen sozialdarwinistischen Konflikt auslösen, den er zu bekämpfen vorgibt.

Nun kann man solches, zweifellos perfekt inszeniertes Popcorn-Wohlfühlkino angesichts der globalen Finanzkrise auch vom Kopf auf die Beine stellen. Der Film läuft im Verleih von 20th Century Fox, ein Tochterunternehmen der „News Corporation“ des Medienmoguls Rupert Murdoch. Mitanteilseigner an News Corporation sind der milliadenschwere Philanthrop John C. Malone, der in den Vereinigten Staaten angeblich über 8.500 Quadratkilometer Landbesitz verfügt, und Prinz al-Walid ibn Talal Al Saud, der auf Platz 19 der Forbes-Liste der reichsten Personen der Welt liegt. 2010 erwirtschaftete dieses Unternehmen einen Reingewinn von 3,7 Milliarden US-Dollar.

Die Produktionsfirma „Regency Enterprises“ ist eine Gründung des israelischen Geschäftsmanns Arnon Milchan, dessen Privatvermögen auf 3,6 Milliarden Euro geschätzt wird. Er gilt Freund Rupert Murdochs. Und für Hauptdarsteller Justin Timberlake, der bei „In Time“ den großen Rebellen aus dem Armenviertel mimt, wird in der Presse ein Jahresverdienst von 44 Millionen Dollar angegeben. Erst dieses Jahr beteiligte sich Timberlake am Kauf des sozialen Netzwerks „myspace“, das Rupert Murdochs News Corporation für 35 Millionen Dollar an eine neue Mediengesellschaft abstieß. So schließen sich Kreise.

Diese Leute verdienen maßgeblich an Filmen mit sozialrevolutionärem Inhalt, in denen jungen Zuschauern vermittelt wird, daß Reiche ihr Geld (beziehungsweise ihre Lebenszeit) ohnehin nur von der Bevölkerung gestohlen haben, und es deshalb auch gerechtfertigt sei, in ihre Villen einzubrechen und ihre Banken auszurauben? Man ist ratlos. Warum verschenken Murdoch, Timberlake und Co. nicht einfach ihr eigenes Geld? Wollen sie ihr Publikum nur veräppeln oder wollen sie es auffordern, ihnen mal einen Hausbesuch abzustatten?

Foto: Justin Timberlake als Ghetto-Rebell Will Salas: Verübt Banküberfälle und verteilt Zeit an die Armen

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