© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
„Ein wichtiges Stück Geschichte“
Christian Vollradt

Wenn Parteifreunde sich öffentlich loben, ist Vorsicht geboten. So auch an diesem etwas verregneten Dezembernachmittag im Berliner Konrad-Adenauer-Haus, dem Sitz der CDU. Ein paar Stockwerke unterhalb von Angela Merkels Parteibüro hält die Ost- und Mitteldeutsche Vereinigung/ Union der Vertriebenen und Flüchtlinge der CDU/CSU, kurz OMV, ihre Bundesdelegiertentagung ab.

Da kommt die Unionsvorsitzende und Kanzlerin gerne auf ein kurzes Grußwort vorbei, charmant-euphorisch empfangen vom frisch mit über neunzig Prozent wiedergewählten OMV-Vorsitzenden Helmut Sauer. Die OMV repräsentiere „ein wichtiges Stück Geschichte der Union“, sagt Merkel höflich. Geschichte, wohlgemerkt, nicht Gegenwart. Und die Vorsitzende unterstrich die Bedeutung des Verbandes – „und der übrigen Vereinigungen in der CDU“. Denn sie alle bedingten die Existenz der Christdemokraten „als moderne wertegebundene Volkspartei“. Sauer wiederum lobte euphorisch, daß sich Merkel trotz ihres Dauereinsatzes in der Euro-Krise – „wo soviel auf dem Spiel steht“ – die Zeit genommen hat.

Doch der Eindruck von Friede-Freude-Eierkuchen täuscht. Tatsächlich grollen die Vertriebenenvertreter der Christdemokratin im Kanzleramt, daß sie nicht umgesetzt hat, was man auf Parteitagen zu Oppositionszeiten forderte; und Merkel ist noch so mancher geharnischte Protestbrief aus den Reihen der OMV in unguter Erinnerung.

Der gebürtige Niederschlesier Sauer erwähnte in seinem Rechenschaftsbericht, daß er ein Grußwort der Kanzlerin an die Wallfahrt der deutschen Minderheit nur gekürzt habe vortragen können, weil es in Teilen den eigenen Positionen und historischen Tatsachen widersprochen habe. Zu allem Überfluß habe die OMV nur mit Hilfe des politischen Gegners von der SPD (bei einem Speisewagen-Gespräch mit Sigmar Gabriel, dessen jetzigen Wahlkreis Sauer einst im Bundestag vertreten hatte) erreicht, daß im Bundestagsbeschluß zum zwanzigjährigen Bestehen des deutsch-polnischen Freundschaftsabkommens die Vertriebenen überhaupt erst erwähnt wurden: „Andere Opferverbände müssen nicht so kämpfen wie wir!“ Mehr Engagement erwartet Sauer, der als Nachfolger Herbert Hupkas seit 1989 an der Spitze der OMV steht, auch für einen offiziellen Feiertag für die Opfer der Vertreibungen sowie die Vertriebenenstiftung. In ihr müsse das Schicksal der Deutschen klar im Vordergrund stehen, auch wenn eine „linke Historiker-Mafia“ dieses Ansinnen permanent hintertreibe.

Als Skandal bezeichnete es Sauer zudem, daß noch immer in Standesämtern polnische Städtenamen in die Ausweise oder Urkunden Vertriebener eingetragen würden, ohne daß dagegen juristisch wirksam vorgegangen werden könnte. Dies sei genausowenig hinzunehmen wie die Tatsache, daß das Statistische Bundesamt den deutschen Aussiedlern einen Migrationshintergrund andichte. „Europa braucht Wahrheit und Verständigung“, lautet das Motto der Tagung. Seine Umsetzung fällt schon im eigenen Land, in der eigenen Partei schwer.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen