© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Bugschuß gegen den Präsidenten
Iran: Kleinkrieg zwischen Theokratie und Ahmadinedschad / Opposition in Lauerstellung
Marc Zöllner

Ausgebrannte Bürokomplexe, zerstreute Dokumente – das Bild, welches sich den diplomatischen Vertretern mehrerer europäischer Staaten bei ihrer Visite der britischen Botschaft in Teheran präsentierte, war erschreckend. „Ich sah mehrere Räume, bei denen man nicht einmal mehr sagen konnte, was sie überhaupt einmal waren“, berichtete ein EU-Diplomat dem Guardian. Nur wenige Tage vorher wütete hier ein Mob Hunderter jugendlicher Iraner, die im Zuge einer Demonstration gegen die verschärften britischen Sanktionen eine Spur der Verwüstung hinterließen.

Der Gewaltausbruch freilich, so wußten auch die anwesenden Vertreter zu schildern, erfolgt nicht spontan, sondern fand seine Inszenierung in den höchsten Kreisen des iranischen Revolutionsrates. Dafür spricht auch, daß selbst Sicherheitskräfte erst nach Stunden einschritten. „Die ganze Aktion“, so der Diplomat, „war mit Sicherheit koordiniert.“

Nicht zuletzt auch gegen Mahmud Ahmadinedschad selbst. Der iranische Präsident zieht aufgrund seiner unkonventionellen Wirtschaftspolitik rege Kritik des Teheraner Klerus um Ayatollah Ali Khamenei auf sich, ob welcher er nicht zuletzt auch um seine erneute Kandidatur in 18 Monaten bangen muß. Schlimmer noch für ihn: Nachdem er die Proteste der „Grünen“-Oppositionsbewegung im Zuge seiner Wahl 2009 (JF 28/09) blutig niederschlagen ließ, verlor Ahmadinedschad sämtliche Unterstützung aus dem Lager der Reformer. Isoliert zwischen den verhärteten Fronten der Konservativen und Liberalen verharrend, bildet Ahmadinedschad nun die sprichwörtlich kleinste Oppositionsbewegung des Iran.

Der Iran steht massiv unter Druck. Der Angriff des Stuxnet-Virus auf nukleare Einrichtungen, die Ermordung führender Kernphysiker, Sabotageakte innerhalb der atomaren Anlagen nahe Isfahan, dazu die anhaltende Debatte über einen Präventivschlag Israels, all dies erzeugt in der iranischen Öffentlichkeit das Bild eines drohenden Konfliktes, der hohe Opfer verlangen wird. Hinzu kommt, daß der einst beste Verbündete Syrien selbst nur noch auf tönernen Füßen steht. Militärische Unterstützung im Falle eines Angriffs kann der Iran kaum noch erwarten.

Der Angriff auf die britische Botschaft in Teheran galt nicht nur als Bugschuß gegen Ahmadinedschad, er diente ebenso als Katalysator für innenpolitische Unsicherheiten. So schwach und zersplittert die iranische Opposition nach außen auch wirken mag, die Angst, sie könnte als fünfte Kolonne bei einem Angriff der Nato fungieren, ist zweifelsohne vorhanden. Überwachbar ist diese Opposition allein schon aufgrund ihrer hohen Diversität nicht. Über siebzig Parteien zählen sich zum iranischen Widerstand, darunter etliche, deren Basis sich in Europa und den USA befindet.

Unter ihnen die von Köln aus operierende marxistische Volksfedajin, die aufgrund ihrer herausragenden Kontakte zu Kurden und Arabern einflußreichste der insgesamt 19 kommunistischen Parteien des Iran. Im Westen gern hofiert, im Nahen Osten verhaßt: die Volksmudschahedin, berüchtigt für ihre Anschläge im Iran sowie für die Niederschlagung von Kurdenaufständen im Nordirak.

Was Marxisten, Monarchisten, Liberale wie Antiislamisten eint, ist der gemeinsame Wunsch nach dem Sturz des theokratischen Systems. Was sie trennt, sind die Fragen nach der Legitimität von Gewalt sowie der Disput, auf wessen Seite man stünde, sollte der Persische Golf tatsächlich von Krieg erfaßt werden. Denn während Minderheiten wie Kurden, Turkmenen und Belutschen hoffen, einen Militärschlag für die Proklamation ihrer eigenen Unabhängigkeit nutzen zu können, fühlen sich viele der Grünen, der Schah-Treuen und der Kommunisten noch immer fest im persischen Volk verwurzelt und bangen um Stabilität wie Integrität Irans. Eine Angst, welche die Teheraner Theokratie geschickt zu instrumentalisieren versteht – nicht zuletzt durch die Geschehnisse um die britische Botschaft.

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