© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Der nächste Luxemburger Flop
Euro-Krise I: Der dauerhafte Rettungsfonds ESM wird genausowenig funktionieren wie die bisherige EFSF
Wolfgang Philipp

Obwohl der „Rettungsschirm“ EFSF inzwischen schon daran scheitert, daß er sich am Markt nicht ausreichend refinanzieren kann, betreiben die „Euro-Retter“ das „Rettungsschirmwesen“ weiter. Der EFSF-Nachfolger „Europäischer Stabilisierungsmechanismus“ (ESM) soll nach Ansicht von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy jetzt sogar von Mitte 2013 auf Ende 2012 vorgezogen werden. Die juristische Konstruktion des ESM ist gegenüber der EFSF (JF 49/11) eine andere: Träger dieser neuen „Zweckgesellschaft“ soll nicht mehr eine AG, sondern ein „Internationales Finanz­institut“ mit Sitz in Luxemburg sein.

Die Kreditwürdigkeit dieses Instituts soll nicht mehr durch „Bürgschaften“ der 17 Euro-Staaten, sondern durch Einzahlung eines „Grundkapitals“ in Höhe von 700 Milliarden Euro gesichert werden. Auf Basis eines solchen teilweise einzuzahlenden, teilweise kurzfristig abrufbaren Grundkapitals sollen Kredite an notleidende Euro-Staaten bis zur Höhe von 500 Milliarden Euro gewährt werden. Von diesen 700 Milliarden Euro soll Deutschland rund 190 Milliarden Euro aufbringen, Frankreich ist mit 142 Milliarden Euro, Italien mit rund 125 Milliarden Euro, Spanien mit rund 83 Milliarden Euro dabei. Der Unterschied zur EFSF liegt darin, daß die von den Staaten dort zu stellenden „Bürgschaften“ wenigstens so lange weder Liquiditätsbedarf noch Zinsen auslösen, wie sie nicht abgerufen werden. Die bislang bekanntgewordene ESM-Konstruktion (JF 40/11) geht demgegenüber davon aus, daß die Gesellschafterstaaten durch Hinterlegung von Eigenkapital vorleisten müssen, um nach außen Kreditwürdigkeit, nach innen die Möglichkeit des Verlustausgleichs zu sichern.

Diese Konstruktion trägt ihr Todesurteil in sich: Das Problem aller Euro-Staaten besteht gerade darin, daß sie zu viele Schulden haben. Wenn sie jetzt, um sich gegenseitig gegen Insolvenz zu „versichern“, in dem gemeinsamen Finanzinstitut ESM 700 Milliarden Euro als Eigenkapital einlegen, müssen sie sich dieses Geld zuerst einmal durch zusätzliche Verschuldung am Kapitalmarkt besorgen. Die Verschuldung aller Staaten wird durch dieses Projekt also nur zum Zweck „ewig“ dauernder Sicherheitsleistung gewaltig ausgedehnt: Was zu bekämpfen ist, wird gefördert: Verschuldung.

Diese Kreditaufnahme der „Gesellschafter“ steht sodann auch noch in Konkurrenz mit Kreditaufnahmen des ESM selbst. Er muß ebenfalls am Kapitalmarkt die flüssigen Mittel für die vorgesehenen Stabilitätsdarlehen besorgen: Gesellschafter und Gesellschaft treiben sich gegenseitig die Zinsen hoch, wenn sie denn überhaupt ihre Anleihen unterbringen können. Letzteres ist unwahrscheinlich, nachdem erstmals sogar Deutschland eine zehnjährige Anleihe nur noch zu zwei Dritteln unterbringen konnte und höhere Zinsen zahlen muß als bisher. Wenn der ESM 500 Milliarden Euro Kredite herauslegen will, muß also der Kapitalmarkt einschließlich Refinanzierung der von den Anteilseignern zu leistenden Einzahlung mit insgesamt 1,2 Billionen Euro in Anspruch genommen werden, ein irreales Unterfangen.

Darüber hinaus ist die ESM-Lösung weit teurer als die Bürgschaftslösung: Deutschland müßte auf seinen Anteil von rund 190 Milliarden Euro wegen der nötigen Refinanzierung schon bei einem Zinssatz von drei Prozent am Markt jährlich rund sechs Milliarden Euro zusätzliche Zinsen zahlen. Dies wäre ein Dauerzustand, da dieser Teil des Grundkapitals nach den Vorstellungen der Initiatoren für immer in dem Finanzinstitut gebunden bleiben soll – ein haushaltsrechtlicher Alptraum.

Bei anderen Staaten wäre die Zinsbelastung noch wesentlich höher, da sie sich nicht so günstig refinanzieren können wie Deutschland. Auch dieser Gesichtspunkt zeigt, daß das „Hinterlegungsmodell“ absolut kontraproduktiv ist. Es steigt nicht nur die Verschuldung, sondern auch die Zinslast: Es wird genau das herbeigeführt, was bekämpft werden soll.

Wenn und soweit die Kapitaleinzahlung tatsächlich geleistet werden sollte, wären die Forderungen der Anleihegläubiger des ESM sicherlich besser gesichert als bei der EFSF. Es ist aber irreal anzunehmen, daß die 17 Staaten auch nur annähernd Einzahlungen in der hier vorgesehenen Höhe leisten. Wie bei der EFSF würden schon aus heutiger Sicht mindestens fünf Euro-Staaten – Griechenland, Portugal, Irland, Italien und Spanien – als Einzahler ausfallen, womit das Projekt ebenfalls von Anfang an nicht realisierungsfähig ist.

Wie bei der EFSF besteht hier ein Grundproblem darin, daß die 17 Euro-Länder, welche „Aktionäre“ sind, gleichzeitig auch als potentielle Adressaten der satzungsmäßigen Hilfeleistungen in Betracht kommen. Auch in diesem Fall behalten sie ihr Stimmrecht, können sich also selbst bedienen. Wenn ein Land Kapitalabrufe oder auch Kreditrückzahlungen nicht leisten kann, verliert es sein Stimmrecht und damit seine Souveränität, es kann von anderen beliebig überstimmt werden.

In den ersten fünf Jahren können die „eingezahlten Anteile“ in fünf Jahresraten gebracht werden. Das bedeutet aber, daß die Möglichkeit des „Finanzinstituts“, Stabilitätsdarlehen auszugeben, mangels ausreichender Sicherheit beschränkt bleibt. Deshalb ist vorgesehen, während der fünfjährigen Einzahlungsphase das Verhältnis des eingezahlten Kapitals zum ausstehenden Betrag der ESM-Anleiheemissionen stets bei mindestens 15 Prozent zu halten. Dann sind die restlichen 85 Prozent nur durch rein interne Forderungen des Instituts gegen seine Gesellschafter auf weitere Einzahlungen „gesichert“, der Markt wird sich weigern, darauf zu bauen. Auch dieses Projekt ist ein unter Ausblendung der Wirklichkeit ausgedachter „Rettungsschirm“, der nicht funktionieren kann.

 

Euro-Retter riskieren AAA-Rating

Die in der Finanzkrise 2008 gestarteten Rettungsmaßnahmen für Banken und die ab 2010 übernommenen unabsehbaren Milliarden-Verpflichtungen bei der Euro-Rettung (Griechenland-Hilfe, EFSF) sowie der geplante ESM gefährden nun auch die Kreditwürdigkeit der mit „AAA“ bewerteten Euro-Länder. Die US-Ratingagentur Standard & Poor‘s (S&P) teilte am Montag mit, den Ausblick für 15 von 17 Euro-Ländern auf „negativ“ gesenkt zu haben. Innerhalb von 90 Tagen können nun Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und Österreich um eine Stufe auf „AA+“ absinken. Belgien könnte sein „AA“ verlieren, die anderen Euro-Länder haben ohnehin schlechtere Bonitäten. Zypern bleibt auf „BBB“, der letzten Stufe vor „Spekulativer Anlage“, Griechenland hat ein „CC“ (extrem spekulativ). Am Dienstag teilte S&P zudem mit, auch die „AAA“-Bonität des Rettungsfonds EFSF könnte um ein oder zwei Stufen fallen, sollte ein bisher mit Bestnote versehener Bürgenstaat herabgestuft werden.

Standard & Poor’s Rating Service: www.standardandpoors.com/ratings

Foto: Euro auf der Intensivstation: Den Rettungsschirm ESM vorziehen?

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