© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Ein Leben in Schwarz-Weiß
Ein Menschenfreund war er nicht: Walter Isaacsons Biographie des Apple-Gründers Steve Jobs
Markus Brandstetter

Ginge es nach den Management-Lehrbüchern, dann hätte der amerikanische Computer-Pionier Steve Jobs in seinem Leben alles falsch gemacht: Er hat Leute, die er für dumm hielt und die nicht taten, was er wollte, sein Leben lang zur Sau gemacht. Und dabei war es ihm völlig egal, mit wem er es zu tun hatte. Vorstände von Milliardenunternehmen mußten seine Launen genauso ertragen wie Lieferanten, Ex-Freundinnen, Taxifahrer, Kellner und natürlich seine Ingenieure, wenn die ihre Technik nicht in das Design hineinzwängen konnten, das Jobs ihnen vorschrieb. In Jobs Gefühlsleben gab es immer nur die beiden Apple-Farben: Schwarz und Weiß. Er brachte Mitarbeiter und Untergebene zur Raserei, verletzte und demütigte sie, trieb sie in Schreiduellen durch die Glasbüros, in denen er ein Leben lang arbeitete, brüllte, starrte und schwieg sie wechselweise an, um manche dann mit drei Worten hinauszuschmeißen: You are fired.

Obwohl Jobs 36 Jahre lang andauernd in Teams und Gruppen arbeitete, an vielen Tagen 20 Besprechungen absolvierte, Power-Point-Präsentationen haßte und jeden aufforderte, frei von der Leber weg seine Meinung zu sagen, zählte am Schluß immer nur eine Meinung – nämlich seine. Und das Schlimmste dabei war, daß er meistens recht behielt. Er war es, der aus dem Computer ein Massenprodukt für jeden Haushalt machte; er war es, der die Idee hatte, daß ein Handy kein Zweckgerät, sondern ein Lifestyle-Produkt ist; und ihm kam der Einfall, daß alle Menschen überall und zu jeder Zeit ihre Lieblingslieder aus dem Internet herunterladen möchten.

Als seine eigenen Leute ihm Marktforschung ans Herz legten, antwortete Jobs: „Marktforschung? Der Kunde weiß doch gar nicht, was er will, bis wir es ihm sagen.“ Und genau deshalb, weil Steve Jobs nie nach dem Lehrbuch handelte, ist Apple heute das wertvollste und profitabelste EDV-Unternehmen der Welt, das zehnmal soviel verdient wie Siemens oder Nokia.

Aber so wie im Ancien régime kein Mensch ahnen konnte, daß ein kleinwüchsiger Korse einst die Armeen Europas vor sich hertreiben sollte, sowenig konnte in den 1950er Jahren jemand wissen, daß ein Adoptivkind aus San Francisco die Elektronikindustrie revolutionieren würde. Denn Steve Jobs war ein Adoptivkind. Seine biologischen Eltern waren eine deutschstämmige Studentin aus dem ländlichen Wisconsin und ein syrischer Student aus Damaskus: zwei Zwanzigjährige ohne Geld und ohne Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft, die aber immerhin keine Abtreibung wollten, weshalb die Mutter das Kind im liberalen Kalifornien entband und sofort zur Adoption freigab. Aufgezogen wurde er von einfachen, aber anständigen Menschen, die ihm Wärme und Zuneigung schenkten und auf die immer schon außergewöhnlichen Wünsche des immer schon exzentrischen Jugendlichen eingingen.

Jobs war nicht der typische Schulversager, aber auch kein Streber. Auf der High School rauchte er Marihuana und nahm LSD. Auf der Universität hielt er nur ein Semester durch, weil ihm Zwänge, Autoritäten und Strukturen zuwider waren. Statt dessen befaßte er sich mit asiatischer Philosophie, ging jahrein, jahraus in Sandalen, nahm nie ein Bad, ernährte sich wochenlang von Karotten und Salat, wurde Veganer und reiste nach Indien auf der Suche nach Erleuchtung. Wieder daheim schlüpfte er nochmals bei seinen Eltern unter, in deren Augen er – arbeitslos, barfuß und im Hare-Krishna-Gewand – eine ziemlich traurige Figur abgegeben haben muß.

Dies änderte sich blitzartig, als Jobs auf die Chefs des Computer-Pioniers Atari so lange einredete, bis die ihm eine Stellung in der Leiterplatten-Entwicklung gaben, wovon er aber keine Ahnung hatte. Die entwickelte statt dessen sein Freund Steve Wozniak, ein genialer Ingenieur und Erfinder. 1976 gründeten Jobs und Wozniak Apple Computer und veränderten die Welt des PCs. Computer vor Apple waren garagengroße Monster mit blinkenden Lichtern und rotierenden Magnetbändern, die sich mit Programmierern in Geheimsprachen unterhielten. Computer seitdem sind halbwegs freundliche Spiel- und Werkzeuge, die mit Mäusen und Bildsymbolen gesteuert werden, die ein Kind versteht.

1977 stellte Apple einen der ersten Heimcomputer mit Bildschirm und Tastatur vor, mit dem auch ein technischer Laie arbeiten konnte. 1984 kam der legendäre Macintosh auf den Markt, der erste Computer mit der grafischen Benutzeroberfläche, mit der wir alle heute arbeiten, inklusive Maus und Schreibprogramm. All das, was heute für jeden Computernutzer ganz selbstverständlich ist: der Doppelklick zum Öffnen von Dateien, das Ziehen von Dateien in Ordner (Drag and Drop), die Pull-Down-Menüs und der Papierkorb auf dem Bildschirm, hat Apple damals entwickelt. 1985 wurde Jobs von den Leuten, die er selber in die Firma geholt hatte, entlassen. Irgendwann war seine schwierige Art zu vielen Leuten einfach zu anstrengend geworden.

Er war 30 Jahre alt, hatte 100 Millionen Dollar auf der Bank und hätte nie wieder arbeiten müssen. Aber er gründete sofort die nächste Computer-Firma („NeXT“), versprach viel, hielt wenig, verzettelte sich und verpaßte dabei die Softwarerevolution, die sein Rivale Bill Gates mit Programmen anzettelte, die Microsoft bei Apple abgekupfert hatte.

Zur Entspannung kaufte Jobs George Lucas, der die Star-Wars-Filmsaga geschaffen hatte, eine Garagenwerkstatt ab, in der mit computeranimierten Filmen experimentiert wurde. Zehn Jahre lang pumpte er eine private Million um die andere in das Unternehmen, bis Pixar, wie die Firma nun hieß, mit den Animationsfilmen „Toy Story“ und „Findet Nemo“ Welterfolge landete, an die Börse ging und Jobs noch reicher machte, als er es ohnehin schon war.

Bei Apple ging es in der Zwischenzeit rapide abwärts. Die PCs fristeten ein Nischendasein, zig Produkte wurden entwickelt, die keiner wollte, die Verluste häuften sich, das Geld wurde knapp. 1997 wurde Jobs vom Apple-Vorstand zurückgeholt.

Und jetzt begann der dritte und erfolgreichste Akt im Leben des Steve Jobs. Aus dem Insolvenzkandidaten Apple wurde binnen zehn Jahren eine der wertvollsten Marken der Welt. Jobs kreierte den iMac, das iPhone, den iPod und den Tablet-PC. Oft gegen Widerstand im eigenen Haus, nicht selten umbrandet von Spott und Skepsis der Journalisten und Wettbewerber, denen das Lachen aber bald verging. Unglaubliche 50 Millionen iPods und 70 Millionen iPhones verkauft das Unternehmen heute im Jahr, was den früheren Handy-Weltmarktführer, das finnische Unternehmen Nokia, in eine existentielle Krise stürzte, während die Apple-Aktie in wenigen Jahren von 5 Euro auf über 300 Euro stieg.

Und in dem Moment, als dieser Mann im Zenit seiner Kraft und Fähigkeiten stand, glücklich verheiratet mit einer Frau, die es verstand, seinen quecksilbrigen Charakter auszugleichen, da wurde bei ihm im Oktober 2003 Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert. Jobs wäre nicht Jobs gewesen, hätte er sich nun dem Regiment der Schulmedizin gebeugt. Ein Jahr lang bekämpfte er den Krebs mit Fruchtsäften, Akupunktur und Kräutertränken, vertraute Heilern, Scharlatanen und Parapsychologen, bis er sich endlich doch unter das Messer legte, aber da hatte der Krebs bereits auf die Leber übergegriffen.

Sieben lange Jahre kämpfte er gegen die Krankheit, bestritt stets, daß er todkrank war, obwohl es jeder der ausgemergelten Gestalt im schwarzen Rollkragenpullover ansah. Er unterzog sich noch einer Lebertransplantation, litt mehr, als er zugab, arbeitete trotzdem immer weiter und tobte und wütete bis zum Schluß gegen Google, weil die mit Android angeblich sein Betriebssystem gestohlen hatten.

Im August dieses Jahres kam dann der Tag, an dem er den Vorstandsvorsitz von Apple abgeben mußte. Er konnte einfach nicht mehr. Am 5. Oktober 2011 ist er im Kreis seiner Familie zu Hause gestorben (JF 42/11).

In einer Zeit, die Helden und Vorbilder weder kennt noch will und sie doch so nötig hätte wie jede andere Zeit, ist er einer größten gewesen – auch wenn er selbst dies bestritten hätte.

Walter Isaacson: Steve Jobs. Die autorisierte Biographie des Apple-Gründers. C. Bertelsmann Verlag, 2011, gebunden, 702 Seiten, 24,99 Euro

Foto: Steve Jobs (1955–2011), iPhone: Den Apple-Konkurrenten verging das Lachen

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