© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Politik und Präimplantationsdiagnostik
Augen zu, Schuß frei!
Birgit Kelle

Stellen Sie sich vor, der Bundestag würde eine neue Straßenverkehrsordnung in Kraft treten lassen, die Vorfahrtsregeln ändern, aber keinem sagen, worin diese bestehen. Als Konsequenz würde sich dann jede Stadt ihre eigenen Regeln suchen. Ordnung? Rechtssicherheit? Fehl am Platz! – Diesen Status haben wir seit dem 8. Dezember in der Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. Nur die Regeln, nach denen ab sofort lebenswertes von lebensunwertem Leben unterschieden wird, sind nicht festgelegt (siehe Seite 22).

Es existieren noch nicht einmal die gesetzlich geforderten, staatlich lizenzierten Ethikkommissionen, die in diesen Grenzfällen des Lebens nach reichlicher Überlegung eine Entscheidung fällen sollen. Nur das Gesetz, das die PID auf jeden Fall erlaubt, das gilt bereits. Kein Gynäkologe im Land kann einer Schwangeren heute sagen, ob sie sich nun untersuchen lassen darf oder nach welchen Kriterien wer auch immer über das Leben ihres ungeborenen Kindes entscheiden wird.

Bei der Straßenverkehrsordnung würden wir so etwas niemals zulassen, wenn es um Kinder geht, ist es aber offenbar möglich. Deutlicher kann man die Werteverschiebung in unserer Gesellschaft kaum offenbaren. Die Grundfragen unseres Seins und der Wert jedes einzelnen Menschen ist offenbar leichtfertiger zu entscheiden, als die Frage von „rechts vor links“. Und das Schlimmste am Ganzen: Man hat es kommen sehen. Kritiker des neuen Gesetzes haben von Anfang an bemängelt, daß es keine klaren Richtlinien gibt, nach denen festgelegt wird, in welchem Fall eine Selektion und somit eine Tötung von menschlichem Leben möglich sein soll. Niemand hatte gewagt, diese diskriminierenden Kriterien festzulegen. Wer möchte schon in die Öffentlichkeit treten und den Eltern eines schwerbehinderten Kindes ins Gesicht sagen, daß man diesem Kind nach den neuesten Kriterienkatalogen lieber nicht ins Leben verholfen hätte? Daß andere Eltern das Recht hätten, ein Kind mit den gleichen Behinderungen zu töten? Niemand.

Ein Offenbarungseid der Politik, die lieber anderen die Waffe reicht, sich aber nicht traut, den Abzug selbst zu drücken. Als Konsequenz wird menschliches Leben in Deutschland wieder selektiert, nach variablen Kriterien und abgesegnet vom Deutschen Bundestag.

 

Birgit Kelle ist Journalistin und Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus sowie Mitglied der New Women for Europe.

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