© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

„Menschenverachtend und demokratiefeindlich“
Rechtsextremismus: Im Zuge der Ermittlungen zur Zwickauer Terrorzelle lassen die Innenminister die Chancen für ein NPD-Verbot prüfen
Marcus Schmidt

Nach der Verhaftung eines weiteren Verdächtigen aus dem Umfeld der rechtsextremistischen Zwickauer Terrorzelle haben die Ermittler offenbar noch bis zu zwölf weitere Personen im Visier. Gleichzeitig geht die Polizei weiter möglichen Verbindungen zur NPD nach, deren Verbot nun im Auftrag der Innenminister von Bund und Ländern von einer Kommission geprüft werden soll.

Am Sonntag hatte ein Sondereinsatzkommando des Landeskriminalamtes Sachsen auf Anweisung der Bundesanwaltschaft den 36 Jahre alten Matthias D. festgenommen. Er wird dringend verdächtigt, in zwei Fällen die Zwickauer Terrorzelle, die für neun Morde an ausländischen Kleinunternehmern und den Tod einer Polizistin verantwortlich gemacht wird (JF 47/11), unterstützt zu haben. Die Bundesanwaltschaft wirft Matthias D. konkret vor, den Mitgliedern der Terrorzelle, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, zwei Wohnungen in Zwickau als dauerhafte Unterkunft überlassen zu haben. Eine Wohnung soll er im Mai 2001, die andere im März 2008 angemietet haben. Die Ermittler gehen davon aus, daß Matthias D. die Verbrechen der Terrorzelle zumindest billigend in Kauf genommen habe.

Mit ihm und den bereits zuvor verhafteten Holger G., Andre E. und dem früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, sind mittlerweile vier Personen in Haft, die von den Ermittlern direkt mit der von ihnen als terroristisch klassifizierten Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) in Verbindung gebracht werden.

Zschäpe, die sich nach dem Selbstmord von Böhnhardt und Mundlos der Polizei gestellt hatte, hat unterdessen noch immer nicht ausgesagt. Auf einem in der von ihr in Brand gesetzten Wohnung sichergestellten Rechner haben Ermittler des Bundeskriminalamtes offenbar zwei weitere Bekennervideos gefunden. Bei den von den Beamten rekonstruierten Filmen handelt es sich laut Bild-Zeitung um Vorläuferfilme des als „Paulchen-Panther-Film“ bekannt gewordenen Bekennervideos der NSU.

Die Innenminister von Bund und Ländern hatten in der vergangenen Woche in der Diskussion über ein neues NPD-Verbotsverfahren einen Gang zurückgeschaltet. Obwohl es vor der Innenministerkonferenz (IMK) in Wiesbaden noch als sicher galt, daß die Ressortchefs ein neues Verbotsverfahren beschließen würden, einigten sie sich zunächst nur auf eine Prüfung. In der Abschlußerklärung der Innenminister heißt es, die NPD sei eine Partei, die nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet ist, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und zu beseitigen: „Ihre Ideologie ist menschenverachtend, demokratiefeindlich, antidemokratisch und antisemitisch.“ Deshalb werde ein Verbot angestrebt. „Mit Blick auf die hohen verfassungsrechtlichen Hürden sieht die IMK die Notwendigkeit, zuvor die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen eines Verbots aufzuzeigen, abzuwägen und zu bewerten“, heißt es in der Erklärung weiter. Verantwortlich für den Kurswechsel sind offenbar Berichte, nach denen derzeit bis zu 130 V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD aktiv sind, teilweise bis in die Führungsebene. Die Durchsetzung der Partei mit Zuträgern im Dienst des Geheimdienstes gilt allgemein als Hauptgrund dafür, daß 2003 der Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gescheitert war.

Die Mordserie der Terrorzelle wird zudem ein parlamentarisches Nachspiel im Bundestag haben. Die Grünen teilten am Dienstag mit, daß sie die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen, der die Mordserie aufarbeiten soll. Union, FDP und SPD lehnten eine Untersuchung bislang ab. Allerdings signalisierte die SPD nun ihr Einlenken. Man werde sich einem entsprechenden Antrag von Grünen und Linkspartei nicht entgegenstellen, hieß es.

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