© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Beruhigen und Zeit gewinnen
EU-Krisengipfel: Zur Rettung des Euro wird es keine Stabilitäts-, sondern eine Transferunion geben
Philipp Bagus

Seit dem jüngsten EU-Gipfel ist klar: Die Fiskalunion rückt näher. Aber welcher Art wird sie sein? Die Bundesregierung möchte die Ergebnisse als „Durchbruch zur Stabilitätsunion“ verkaufen. Die Harmonisierung setzt hier beim begrenzten Staatsdefizit an; eine Art Fiskalpakt. Durch Haushaltsdisziplin nach deutschem Vorbild sollen der Euro gerettet und künftige Staatsschuldenkrisen vermieden werden.

Die Peripherie der Euro-Zone unter der Führung Frankreichs erstrebt jedoch die Fiskalunion im Sinne einer Transfergemeinschaft. Harmonisiert werden die Lebensstandards. Fiskalisch verantwortungsbewußtere Staaten sollen klammen Staaten durch Ausgleichszahlungen, Kredite oder Garantien unter die Arme greifen. Bestandteil einer EU-Fiskalunion wäre auch eine Harmonisierung der Einnahmen und damit der Steuersätze.

Der Steuerwettbewerb ist den EU-Politikern ohnehin ein Dorn im Auge – können sich doch Bürger und Unternehmen dem Zugriff durch ein Ausweichen in andere Steuergebiete entziehen. Der Konflikt mit dem Nicht-EU-Land Schweiz offenbarte die Befindlichkeiten. In Brüssel versuchten Politiker verschiedenster Couleur, eine europaweite Finanztransaktionssteuer durchzusetzen. Das Vorhaben scheiterte jedoch am Widerstand der Briten, welche eine Abwanderung ihres Finanzsektors (Die City of London ist der größte EU-Finanzplatz) nach Übersee befürchteten. Vielleicht behält der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich A. von Hayek doch recht, daß in einem freiwilligen Zusammenschluß vieler Nationalstaaten die Gefahr der Errichtung eines freiheitsfeindlichen Zentralstaats abnimmt. Die Heterogenität der Interessen wird einfach zu groß.

Wer setzte aber – abgesehen von den Briten – auf dem EU-Gipfel seine Interessen durch? Deutschland oder die Peripherie? In den meisten Medien wird vom Triumph Angela Merkels ausgegangen. Europa spreche nun deutsch. Eine genauere Analyse kommt jedoch zu einer nüchterneren Einschätzung. Zunächst wurde mehr Haushaltsdisziplin beschlossen. Schuldenbremsen sollen in die nationalen Verfassungen aufgenommen werden. Wirksame Strafen gegen Defizitsünder sind vorgesehen. Sanktionen sollen nur noch mit einer qualifizierten Mehrheit der EU-Finanzminister zu stoppen sein. Bislang war es umgekehrt. Sanktionen gegen Sünder gab es nur, wenn eine Mehrheit dafür war. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt geriet zur Farce. Trotz zahlreicher Verstöße wurde nie eine Sanktion verhängt.

Das sollte jetzt anders werden. Jedoch konnte sich Merkel mit ihrer Forderung nach automatischen Sanktionen nicht durchsetzen. Sie bleiben eine politische Entscheidung, was eine entscheidende Niederlage für Befürworter von Haushaltsdisziplin bedeutet. Die Sünder sitzen weiterhin über sich zu Gericht und werden sicherlich Gründe zu ihrer Entschuldigung finden, wenn es denn erforderlich wird. Die Politik wird sich dann einigen, genauso wie sie es schon in der Vergangenheit bei den Rettungen der unsoliden Regierungen Griechenlands, Portugals oder Irlands getan hat.

Auch die Schuldenbremse kann kaum beruhigen. Sie muß national beschlossen werden und wird wohl erst in der mittleren Zukunft wirksam werden. Und wer wird die Kosten der sogenannten Euro-Rettung bis dahin tragen? Hauptsächlich der deutsche Steuerzahler, der für die Peripherieschulden garantiert. Daß eine EU-vertraglich vorgegebene Haushaltsdisziplin durch buchhalterische Tricks umgangen werden kann, beweisen nicht nur die 2009 offiziell bekanntgewordenen statistischen Tricksereien Griechenlands. In Polen beispielsweise ist ein ausgeglichener Haushalt bereits Verfassungsgebot – was die Regierung dazu veranlaßt hat, zahlreiche öffentliche Ausgaben über Staatsunternehmen und Zweckgesellschaften abzuwickeln.

Es besteht die berechtigte Sorge, daß die angebliche fiskalische Disziplin – welche ohnehin erst in der Zukunft wirksam wird und die politisch ausgetrickst werden kann – nur ein Marketingtrick ist. Die Gipfelbeschlüsse sollen die weltweiten Anleger beruhigen, Vertrauen erwecken und Zeit gewinnen.

Eine weitere deutsche Forderung wurde in Brüssel ebenfalls zu Grabe getragen: die geregelte Beteiligung privater Anleger bei Staatsrettungen. In Griechenland müssen Banken bis zu 50 Prozent Verlust hinnehmen. Ohne die Rettung durch die Euro-Zone wären es freilich wohl noch viel mehr. Die Beschlüsse des Gipfels rücken von einer automatischen Beteiligung privater Käufer von Staatsanleihen unsolider Regierungen nun wieder ab. Durch ihr Umfallen hat die Bundeskanzlerin das Tor zur Transferunion weit aufgestoßen. Risikofreudige Banken können wieder darauf hoffen, bei eventuellen Rettungen ohne Verluste davonzukommen; der Steuerzahler springt ja ein. Die Kurse der Peripherieanleihen erholten sich daher vergangene Woche erheblich.

Zu guter Letzt wurde noch angeregt, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) 200 Milliarden Euro zukommen zu lassen. Offiziell ist die Bundesregierung entschieden gegen eine Ausweitung des Euro-Rettungsschirms und die Nutzung der EZB-Notenpresse zur Rettung von Euro-Staaten. Dennoch hat Merkel dieser Möglichkeit nun über einen Umweg die Tür geöffnet. Die nationalen Zentralbanken geben dem IWF neues Geld, der es dann an die zu rettenden Staaten weiterleitet. Doch der erweiterte IWF-Rettungsschirm droht an den USA zu scheitern: „Die Europäer sind reich genug“, meint Präsident Barack Obama. Die US-Republikaner fanden vorwahlkampfbedingt noch drastischere Worte.

Daher lautet das Gipfel-Ergebnis: Fragwürdige fiskalische Versprechungen, indirekte Ausweitung des Rettungsfonds, Garantien für Banken und Staaten. Europa spricht peripherisch. Und der nächste Euro-Krisengipfel kommt bestimmt.

 

Fiskalpolitischer Pakt

Der am 9. Dezember vereinbarte „Fiskalpolitische Pakt“ ist eine Erweiterung des im März beschlossenen „Euro-Plus-Pakts“ zwischen den 17 Euro-Ländern sowie Bulgarien, Dänemark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien. Die Teilnehmer verpflichten sich dazu, ihre Haushalte auszugleichen: „Dieser Grundsatz gilt als eingehalten, wenn das jährliche strukturelle Defizit generell 0,5 Prozent des nominellen BIP nicht übersteigt“, heißt es in der Gipfel-Erklärung. Das Defizitverfahren (Art. 126 AEUV) werde verschärft: „Sobald die Kommission festgestellt hat, daß ein Mitgliedstaat die Drei-Prozent-Schwelle überschritten hat, erfolgen automatisch Konsequenzen, es sei denn, die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sprechen sich mit qualifizierter Mehrheit dagegen aus.“ Der Hebel des Euro-Rettungsfonds EFSF werde „zügig eingesetzt“. Der Vertrag zum dauerhaften Rettungsfonds ESM solle schon im Juli 2012 in Kraft treten und um ein „Dringlichkeitsverfahren“ erweitert werden.

Dokumente zur EU-Ratstagung: www.consilium.europa.eu

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