© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Stein und Beton in den Tresoren
Banken-Krise: Die längst nicht ausgestandene Immobilienkrise könnte auch Spanien demnächst unter den Euro-Rettungsschirm zwingen
Michael Ludwig

Kurz nach den vorgezogenen Parlamentswahlen in Spanien (JF 48/11) schickten sich mehrere Männer in eleganten dunklen Anzügen an, möglichst unauffällig in die Zentrale der konservativen Volkspartei (PP) in der Madrider Innenstadt zu gelangen. Wahlsieger Mariano Rajoy hatte seine Mitarbeiter dazu verdonnert, bei dem Treffen mit den wichtigsten Bankern absolute Diskretion walten zu lassen – keine Presse, keine Verlautbarung, keine Bestätigung der Gespräche. Nur durch Zufall entdeckten Journalisten die Ankunft der Bankdirektoren, und als diese nach mehreren Stunden das Gebäude wieder verließen, wurden ihre Gesichter als ausgesprochen ernst und sorgenvoll beschrieben.

Kein Wunder, denn um die Zukunft Spaniens ist es schlecht bestellt. Das betrifft nicht nur die Wirtschaft (Arbeitslosenquote 21 Prozent), sondern auch den Finanzsektor, der sich immer mehr zu einer gewaltigen Zeitbombe entwickelt, von der niemand sagen kann, wann sie explodiert. Die bekannten Fakten sind erschreckend genug – erst kürzlich stand die Banco de Valencia vor dem Zusammenbruch. Der staatliche Rettungsfonds FROB bewahrte sie mit einer Kapitalspritze von einer Milliarde Euro und einer Kreditlinie von zwei Milliarden vor dem Aus. Auch die Sparkassen (Cajas) mußten reihenweise mit frischem Geld versorgt werden, sie erhielten knapp fünf Milliarden vom FROB.

Die großen, bislang als relativ stabil geltenden Banken, sind nun ebenfalls ins Gerede gekommen. Die Branchenriesen Santander und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA) sind zwar stark genug, um mit den Schwierigkeiten am heimischen Markt fertig zu werden, aber ihr Besitz an spanischen Staatsanleihen belastet sie. Santander hält Bonds im Wert von 24 Milliarden, die BBVA sogar von 33 Milliarden Euro, die weiter an Wert verlieren. Nach Angaben der Citigroup haben Unternehmen daher im dritten Quartal ihre Einlagen bei Santander um zehn Prozent und bei der BBVA um elf Prozent reduziert. Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) schätzt ihre Perspektiven als negativ ein. Der jüngste EU-Bankenstreßtest offenbarte bei Santander einen Kapitalbedarf von 15,3 Milliarden, bei BBVA von 6,3 Milliarden Euro. Beide sind „systemrelevante“ Geldinstitute, die keinesfalls ins Trudeln geraten dürfen – ansonsten droht der Kollaps des gesamten spanischen Finanzsystems.

Auslöser der Bankenmisere ist vor allem die anhaltende Immobilienkrise (JF 21/09). Dank niedriger Zinsen entwickelte sich auf der Iberischen Halbinsel schon in den neunziger Jahren ein Bauboom ohnegleichen, der dank Euro-Beitritt über ein Jahrzehnt anhielt. Vor allem an den Küsten von der französischen Grenze bis nach Gibraltar sowie auf den Balearen und den Kanarischen Inseln entstanden riesige Wohnanlagen vor allem für sonnenhungrige Nordländer. Ramón Fernández Durán, Professor an der Universität Don Carlos III. in Madrid und Mitglied der „Ökologen in Aktion“, erklärte rückblickend: „Man kann von einer gewaltigen Verstädterung, einem Zement-Tsunami sprechen, der die spanischen Küsten und Inseln überrollt hat.“ Aber auch in den Städten und im Landesinneren wurden unzählige, meist völlig überflüssige Wohnblocks hochgezogen.

Vor fünf Jahren platzte die Immobilienblase. 2006 waren rund 273.000 Neubauwohnungen unverkäuflich, 2007 bereits 414.000, ein Jahr später 614.000. Heute stehen im ganzen Land rund 800.000 neue Wohnungen leer. Nach Angaben von Pablo Cantos, der bei der Unternehmensberatung Mac Group tätig ist, führen die spanischen Banken in ihren Büchern derzeit etwa 308 Milliarden Euro an offenen Immobilienkrediten. Bei rund der Hälfte von ihnen gebe es „Probleme“. Es könne Jahre dauern, bis die Banken einen Teil der Immobilien, die ihnen infolge der Zahlungsunfähigkeit ihrer Kunden zugefallen sind, wieder verkaufen können.

„Wenn man auf das Bevölkerungswachstum sieht, dann wird es schlichtweg keine Nachfrage nach Objekten geben, die in ländlichen Regionen stehen“, erklärt der Madrider Immobilienexperte Fernando Rodríguez de Acuña Martínez – und das sind 43 Prozent aller noch nicht verkauften Wohnimmobilien. Kein Wunder, daß die Preise auf breiter Front eingebrochen sind. Landesweit sind im Vergleich zu 2007 Wohnungen und Häuser um durchschnittlich 28 Prozent billiger geworden. In den Provinzen Lugo, La Coruña und Murcia sind die Grundstückspreise um etwa 60 Prozent zurückgegangen, in der Region Burgos sogar um 74 Prozent.

Spanien ist ein drastisches Beispiel dafür, wie eine leichtsinnige Kreditvergabe, die mit einer größenwahnsinnigen Bauwirtschaft und einer teilweise korrupten Kommunalverwaltung einhergeht, eine folgenschwere Lawine lostreten kann, deren ganze Konsequenzen noch gar nicht absehbar sind. Die Banken scheitern teilweise schon daran, die zahlungsunfähigen Schuldner aus den Wohnungen bekommen, weil es inzwischen eine aktive Nachbarschaftshilfe gibt. Will die Polizei eine Zwangsräumung durchsetzen, versammeln sich sofort Dutzende von Verwandten, Freunden und Gesinnungsgenossen, um sie zu verhindern. Diese Protestbewegung hat sich nun unter dem Namen Plattform der von der Hypothek Betroffenen (PAH) landesweit organisiert. Sie ist bereits in über 70 Städten vertreten.

Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der Ankündigung der neuen spanischen Regierung, zu drastischen Sparmaßnahmen zu greifen, von denen lediglich die Renten ausgespart werden sollen, bleibt wenig Hoffnung, daß sich die Lage im Immobiliensektor kurz- oder mittelfristig zum Besseren wendet. Für die klamme Staatskasse bedeutet das, daß sie weiter damit rechnen muß, die Banken mit öffentlichen Geldern zu stützen – doch die Staatsfinzierung wird für Spanien auf dem Finanzmarkt immer teurer. Das Land wird daher wie Italien als ein heißer Kandidat für die Euro-Rettungsfonds EFSF und ESM gehandelt. In Griechenland war es der korrupte Staat, Irland haben seine privaten Banken in den finanziellen Abgrund gerissen – in Spanien könnte es der unverkäufliche Beton sein.

Foto: Bauruine in Spanien: Wie lange kann die klamme Staatskasse die Banken mit öffentlichen Geldern stützen?

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