© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Epoche der Neuen Redlichkeit
Tendenzwende: Bilder-Ausstellung zur „Neuen Sachlichkeit“ in Dresden
Sebastian Hennig

Der Mythos der Goldenen Zwanziger ist überzogen mit dem oberflächlichen Talmigold einer schiefen, weil nachträglich politisierten Betrachtungsweise. Als an der Dresdner Kunstakademie nach der Abschaffung der akademischen Hierarchie 1919 das Niveau der Studentenarbeiten kontinuierlich absank, wurde 1921 wieder der Besuch des Zeichensaals zur Bedingung gemacht. Dort regierte der vielgeschmähte und doch didaktisch so wirkungsvolle Richard Müller. Aus den Reihen der ratlosen Studenten selbst kam einige Zeit später die Initiative, ihren Kommilitonen Kurt Wehlte, der zuvor kurzzeitig bei Max Doerner in München in die Lehre gegangen war, mit einem Lehrauftrag für Materialkunde und Maltechnik zu betrauen. Das waren nur zwei Zeichen einer Kehrtwende, die nicht aus politischen Direktiven resultierte, sondern aus dem kulturellen Unbehagen der Künstler selbst hervorkeimte.

Die Ausstellung „Neue Sachlichkeit – Deutsche Malerei seit dem Expressionismus“ wurde 1925 in Mannheim, Dresden und Chemnitz gezeigt. Zeitgenössische Besprechungen kündeten von „gerettetem Wollen und Können“ und davon, daß die technische Seite der Malerei „wieder zu ihrem Rechte kommt.“ Bittere Erfahrungen führten die Künstler nicht gerade zu neuen Ufern, sondern nach jahrzehntelangem Kreuzen in bohemehafter Selbstgefälligkeit überhaupt einmal wieder ans feste Ufer der Wirklichkeit.

Entsprechend aufmerksam wurde die Ausstellung von Künstlerschaft und Publikum aufgenommen. Dem Magischen Realismus in der Literatur mit Exponenten wie Ernst Jünger, Joseph Roth, Wilhelm Lehmann und dem Neoklassizismus der Musik, der sich in den Werken Igor Strawinskys, Harald Genzmers und Gerhard Frommels abzeichnete, entspricht eine malerische Tendenzwende im Werk zum Beispiel von Giorgio de Chirico, Otto Dix und anderen ehemals wütenden jungen Männern. In Dresden war die Ausstellung von 1925 im Gebäude des Kunstvereins neben der Akademie auf der Brühlschen Terrasse zu sehen. Seit einigen Jahren wird der Bau von den Staatlichen Kunstsammlungen als Sonderausstellungsfläche genutzt. Nun sind dort unter dem Titel „Neue Sachlichkeit in Dresden“ wichtige Bilder dieser Strömung wieder vereint.

Den Kraftmeier und Salonlöwen Otto Dix in den Mittelpunkt dieser Ausstellung zu stellen, war keine gute Idee. Es ist wohl eine pragmatische Entscheidung, den immer noch bekanntesten Namen als Werbeträger zu benutzen. Seine Werke, in denen eine verhängnisvolle Neigung zum Konventionellen ständig mit starker Effekthascherei kontrastiert, werden von den meisten anderen Malern der Epoche übertroffen.

So sind Wilhelm Rudolphs „Der Vater des Künstlers“ (1920/21) und Karl Völkers „Proletariermädchen“ (1925) in ihrer ungestümen Typisierung wesentlich eindrucksvoller. Werke von Fritz Tröger, Johannes Beutner und das ausgewogene „Porträt des Schriftstellers Max Hermann-Neiße“ von George Grosz machen deutlich, daß die „Neue Sachlichkeit“ kein weiterer Ismus war, sondern eine erneute Rückbindung der malerischen Artistik auf die Phänomene des Lebens beinhaltete.

Die positive Programmatik dieses ursprünglich aus dem Umfeld des Werkbundes stammenden Begriffes hebt ihn ab von vielen anderen Stilbezeichnungen, die fast immer verbale Abwertungen beinhalteten, wie Impressionismus oder Fauvismus. Die starke Wirkung der Ausstellung von 1925 fand ihre Fortsetzung in der „Großen Internationalen Kunstausstellung“ im Folgejahr in Dresden. Deren Leitung unterstand Hans Posse, der in jener Zeit auch einige Gemälde Caspar David Friedrichs für die Dresdner Sammlung erwarb und 1931 die moderne Abteilung der Gemäldegalerie eröffnete.

In einer Abteilung sind auf unspektakuläre Weise Gemälde der Maler gehängt, die den Umbruch von 1933 zunächst als Bestätigung ihrer Bestrebungen auffassen konnten: Franz Lenk, der für einige Jahre Präsidialrat der Reichskulturkammer war und 1935 noch mit Otto Dix unter dem Titel „Zwei deutsche Maler“ ausstellte, Franz Radziwill, der 1933 eine Professur erhielt, von der ihn später eine nationalsozialistische Studentenrevolte wegputschte, und Willy Kriegel, der 1943 auf der Gottbegnadetenliste der vier „Unersetzlichen Maler“ stand (vielleicht als der einzige wirklich Verdiente unter diesen).

Die Ausstellung mit Bildern der Neuen Sachlichkeit ist ein Angebot, in der Kunstgeschichtsschreibung eine Epoche der Neuen Redlichkeit einzuläuten. Der großformatige Begleitband aus dem Sandstein Verlag ist ein Schritt in diese Richtung. Er zeigt eine Menge Anknüpfungspunkte, die später gewiß weiterführen werden. Vorerst wirken die Bilder. Wenn diese vielleicht nicht in jedem Fall den großen altmeisterlichen Vorbildern entsprechen, so geben sie doch deutlichere Auskunft über die turbulente Zeit ihrer Entstehung als gelehrte Abhandlungen post factum es vermögen.

Die Ausstellung ist bis zum 8. Januar 2012 in der Dresdner Galerie Neue Meister, Kunsthalle im Lipsiusbau, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen.

Der Katalog mit 352 Seiten und 440 meist farbigen Abbildungen kostet 48 Euro. www.skd.museum

Fotos: Otto Griebel, Der Schiffsheizer, 1920: Wütende junge Männer; Otto Dix, Die Eltern des Künstlers, 1921: Werbeträger

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