© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Kritische Blicke auf Kim III.
Nordkorea: Nach dem Tod Kim Jong-ils setzt der Westen Hoffnungen auf seinen Nachfolger, doch der Spielraum ist gering
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Wenngleich der schlechte Gesundheitszustand des bisherigen nordkoreanischen Diktators Kim Jong-il bekannt und die Machtübernahme durch seinen Sohn Kim Jong-un bereits auf der Parteikonferenz im September 2010 festgeschrieben worden war, sollte sie offiziell erst am 15. April 2012 anläßlich des 100.Geburtstages Kim Il-sungs erfolgen. Legitimiert wurde der Schritt mit der völlig unkommunistischen These von der „Linie des Blutes vom heiligen Berg Paektu“. Hier wurde der Legende nach vor 2.000 Jahren Korea gegründet sowie der nun verstorbene „geliebte Führer“ Kim Jong-il geboren – in Wahrheit lebten dessen Eltern damals in Sibirien.

Bekannt vom neuen Staatslenker ist, daß er bis 1998 in Bern als angeblicher Sohn des Fahrers der nordkoreanischen Botschaft die Schule besuchte und dann ab 2006 eine Militär-Universität in Pjöngjang. Parallel dazu wurde der heute 28jährige von Familienmitgliedern drei Jahre lang auf sein Amt vorbereitet. Dennoch stellt der bereits am Sonnabend eingetretene Tod, der, ähnlich wie bei Stalin und Mao Tse-tung, erst am Montag bekanntgegeben wurde, Jong-un vor manche Probleme.

Ob er sich im scheinbar gut organisierten Netz von Loyalitäten innerhalb der Familie, in der Kommunistischen Partei und innerhalb der einflußreichen Nationalen Verteidigungskommission, wird durchsetzen können, erscheint zumindest mit Fragen behaftet. Welche Ambitionen verfolgt der Chef des Generalstabs Ri Yong-ho? Welche die Schwester seines Vaters, Kim Kyong-hui, die ebenfalls zum General gemacht wurde und auch im Gegensatz zu Kim Jong-un dem Partei-Politbüro angehört? Und was ist mit deren überaus ehrgeizigem Mann, Jang Song Taek. Taek war bis dato die zweitwichtigste Person im Staat. Er vertrat Kim Jong-il während dessen langer Krankheit. Indes war er niemals Soldat und stößt aufgrund seiner Sympathien für Chinas Wirtschaftsreformpolitik auf Widerstand bei Parteiveteranen.

All diese Gruppierungen muß Kim Jong-un bei seiner Politik zumindest in der Anfangsphase berücksichtigen. Und er wird dabei nicht vergessen haben, daß sein Geburtstag im Jahr 2010 zum Nationalfeiertag erklärt wurde, während in diesem Januar der Tag völlig stillschweigend verlief – was auf Widerstand deutet.

Machtdemonstrationen wie der Abschuß einer Kurzstreckenrakete am Montag deuten auf Machtspiele hin, die von innenpolitischen Problemen ablenken sollen. Mit Schrecken denken vor allem Südkorea und Japan an den an die Macht strebenden Kim Jong-il zurück. Da ließ der Sohn des Staatsgründers Kim Il-sung im Jahr 1987 ein südkoreanisches Flugzeug sprengen (über 100 Tote). Nach dem Tod des „großen Führers“ im Jahr 1994 setzte Jong-il zudem mit umfangreichen Säuberungsaktionen Zeichen und sicherte sich Macht und Einfluß.

Gebannt schaut daher das Ausland auf die Entwicklungen nördlich des 38. Breitengrades. Viel Spielraum bleibt dem neuen Regenten der Familiendynastie Kim nicht.

In der Außen- und Sicherheitspolitik kann der neue Diktator kaum Änderungen vornehmen. Sein Land ist völlig von Öl-Importen aus China abhängig. Und die mächtige Schutzmacht des abgeschotteten Landes macht keinen Hehl daraus, Nordkorea lediglich als strategisch wichtigen Pufferstaat gegenüber dem nordamerikanischen Einfluß in Fernost zu betrachten.

Auch seine vom Westen kritisierte Atompolitik wird Kim fortsetzen. Zumindest bis auf weiteres. Stellt diese doch die einzige Waffe des Regimes dar, mit der Pjöngjang die Außenwelt – bisher recht erfolgreich – unter Druck setzen konnte.

Sollte indes die äußerst angespannte Wirtschaftsmisere des Landes anhalten und damit ebenfalls der Flüchtlingsstrom, so dürfte sich Kim Jong-un eines Tages doch gezwungen sehen, mit dem Westen Gespräche zu führen. Die Hoffnungen des Westens auf eine auch noch so geringe Öffnung sind groß. Entsprechend zeigen sich die USA zu weitgehenden ökonomischen Hilfszusagen bereit. Die große Frage ist nun, ob Kim Jong-un seine Macht entsprechend der Familientradition höher wertet als das Wohlbefinden seiner Untertanen.

Foto: Der „geliebte Führer“ Kim Jong-il (r.) und sein Sohn und Nachfolger Kim Jong-un (M.): Familienidyll mit militärischem Anhang (Oktober 2010)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen