© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Die Zeiten des Rückzugs sind vorbei
Kuba: Die Umwandlung des Inselstaates in eine atheistische Gesellschaft ist gescheitert / Freude auf Weihnachten und den Besuch des Papstes
Paul Leonhard

Vorsichtig befestigen die Männer das Plakat an der Außentür der Kirche, die dem Heiligen Thomas gewidmet ist. Die Gemeinde ruft die Jugend zu zwei Wettbewerben auf: Wie feiert man das Weihnachtsfest zu Hause im Familienkreis? Die Kinder können bis zum 31. Dezember Zeichnungen einreichen, die Heranwachsenden werden um Gedichte und Geschichten gebeten. Ausreichend Zeit ist in diesem Jahr dafür gegeben, denn das Bildungsministerium hat die Ferien vom November auf die Weihnachtszeit verlegt. Ab 22. Dezember ist schulfrei. Es sind Zeichen wie diese, die die kubanischen Christen optimistisch stimmen. Auch wird überall an den ehrwürdigen Kirchen gewerkelt. Dächer werden ausgebessert, Fassaden neu getüncht. Sogar neue Gotteshäuser entstehen.

In der Kathedrale Nuestra Señora de la Asunción, der Hauptkirche von Santiago de Cuba, wird seit Monaten der Innenraum von Fachleuten saniert. Der Altarraum wurde deswegen nach vorn verlegt. Bis zur Mitternachtsmesse am Heiligen Abend hofft die Gemeinde, daß die Arbeiten beendet sind. Denn dann wird das Gotteshaus wieder völlig überfüllt sein. Wer einen Sitzplatz haben möchte, ist gut beraten, sich bereits ab 22 Uhr zum Gottesdienst einzufinden, den die Junge Gemeinde gestaltet. Am Zustrom auch atheistischer Kubaner in die Kirchen ist der Staat nicht unschuldig. Die überall in den staatlichen Devisengeschäften blinkernden künstlichen Christbäume wecken bei den Kindern Fragen nach deren Bedeutung. Für Beachtung wird auch sorgen, daß der Erzbischof von Havanna, Kardinal Jaime Ortega, am Heiligen Abend eine Weihnachtsansprache im staatlichen Fernsehen halten darf.

Unter dem Castro-Regime wurden Gottesdienste zwar nicht verboten, die Kirche aber ihrer Privilegien beraubt, Prozessionen wurden ebenso wie Reparaturanträge für kirchliche Gebäude nicht genehmigt. Die Kirchen sollten verfallen. Praktizierende Katholiken mußten für ihren Glauben mit erheblichen Nachteilen im Beruf rechnen. Dabei hatte die Kirche die Rebellen nicht nur unterstützt, sondern ihren Sieg auch in einem Hirtenbrief begrüßt. Die Beziehungen zu Fidel Castro verschlechterten sich aber schnell, als der Erzbischof von Havanna, Enrique Pérez Serantes, gegen die Morde des neuen Regimes und die propagierte Umwandlung Kubas in eine „atheistische Gesellschaft“ protestierte. Die Regierung reagierte 1961 mit der Verstaatlichung des Bildungswesens und der Friedhöfe, womit sie der Kirche sowohl wichtige Einfluß- und Einnahmemöglichkeiten entzog. Auch mußten in dieser Zeit 300.000 Kubaner, darunter 600 von 800 Priestern und rund 1.800 Ordensschwestern aufgrund stetig wachsender Repressalien ihr Vaterland verlassen.

Die katholische Kirche ging für zwei Jahrzehnte in die innere Immigration. Erst ab 1982 durften katholische Gotteshäuser von den Gemeinden wieder instand gesetzt werden. Für Aufsehen sorgte drei Jahre später die Veröffentlichung des Buches „Fidel y la Religion“, in dem Fidel Castro einräumt, daß es ein Fehler gewesen sei, in Lateinamerika den Marxismus mit dem Atheismus zu verbinden. Aber erst in Folge des Zusammenbruchs der sozialistischen Staatengemeinschaft und der damit verbundenen Isolierung Kubas wurde 1992 die Verfassung dahingehend geändert, daß diese zumindest theoretisch die freie Religionsausübung garantierte.

Endgültig erwachte die katholische Kirche aber erst 1998 aus ihrem erzwungenen Winterschlaf. Im Januar besuchte Papst Johannes Paul II. auf Einladung von Fidel Castro, dem zuvor eine Audienz im Vatikan gewährt worden war, für fünf Tage die sozialistische Insel. Eine Million Kubaner waren auf den Platz der Revolution in Havanna gekommen, um der Rede des Papstes zu lauschen. Am Ende dankte der Revolutionsführer dem Papst „für alle Ihre Worte, auch für die, mit denen ich nicht einverstanden sein kann“. Der Katholizismus war plötzlich wieder hoffähig. Die Katholiken hätten mit dem Papstbesuch das „Syndrom der gelernten Wehrlosigkeit“ abgelegt, hieß es in einem Hirtenbrief.

„Die Zeiten der Furcht und des Rückzugs sind vorbei“, freut sich Kardinal Jaime Ortega, Erzbischof von Havanna. Auf 400.000 wird heute die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger geschätzt. Tendenz steigend. Weiteren Aufschwung erhofft sich die katholische Kirche Kubas jetzt vom Besuch des deutschen Papstes. „Mexiko war sicher eine Notwendigkeit, aber Kuba ist eine Priorität“, findet Kardinal Ortega. „Papst Benedikt XVI. kommt aus einem Land, das den Kommunismus friedlich abgeschüttelt hat“, betont Pater Valentin von der Iglesia de San Francisco in Santiago de Cuba. Auch in Havanna hat der für März angekündigte Besuch des Kirchenoberhauptes für Bewegung gesorgt. So äußerte Orlando Marquez, Sprecher der Hauptstadt-Erzdiözese, Kritik an den Privilegien und an der Vorherrschaft der Kommunistischen Partei in der kubanischen Gesellschaft. Es dürfe nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Reformen geben.

Noch wichtiger als der Papstbesuch ist für die Kubaner im kommenden Jahr ein anderes Ereignis: Das 400jährige Jubiläum der Barmherzigen Muttergottes von Cobre, der Nationalheiligen. Der Legende nach wurde 1612 ein 30 Zentimeter großes, hölzernes Gnadenbild von drei Fischern in einer stürmischen Nacht aus dem Meer gefischt. Die Fischer brachten ihren Fund zur Kupfermine in die Kirche nach Cobre, zwanzig Kilometer von Santiago de Cuba gelegen, wo ein Altar errichtet wurde.

Schnell wurde die Marienstatue zum Nationalheiligtum. Sie gilt als ein Symbol der Einheit des Volkes. Deswegen steht neben dem Abbild der Jungfrau in den Kirchen auf immer die kubanische Fahne. Cobre entwickelte sich zu einem Wallfahrtsort von großer Bedeutung. So wurde vor der Kirche die offizielle Proklamation des spanischen Königs zur Befreiung aller Sklaven auf Kuba verlesen. Auch ihren Sieg über die spanischen Kolonialherren feierten die kubanischen Freiheitskämpfer am 8. September 1898 mit einem Dankgottesdienst in El Cobre in der Hoffnung auf ein unabhängiges, freies Kuba.

Im Mai 1916 ernannte Papst Benedikt XV. auf Bitte der Kubaner die „Nuestra Señora de la Caridad del Cobre“ zur Schutzpatronin Kubas. Papst Johannes Paul II. krönte sie am 24. Februar 1998 und erklärte sie zur „Mutter der Versöhnung“ für Kuba. Die Anhänger der afrokubanischen Religionen haben die Muttergottes in ihren Glauben integriert. Selbst für Nichtgläubige sei das Gnadenbild ein Symbol kubanischer Nationalität und Kultur, versichert Dionisio Garcia Ibánez. Der Erzbischof von Santiago de Cuba erzählt von der großen Begeisterung, auf die das Madonnenbildnis bei seiner Reise durch Kuba gestoßen ist. Die Kubaner seien nahezu von Natur aus religiös.

Traditionell fanden am 8. September, dem „Tag der Madonna“, ihr zu Ehren Prozessionen statt. Als sich diese 1960 und 1961 in Demonstrationen gegen die Regierung entwickelten, wurden die der Muttergottes von Cobre für fast vier Jahrzehnte verboten. Inzwischen hat die Regierung auch hier den Kurs geändert. Man verweist auf die vielen kubanischen Freiheitshelden, die Katholiken waren. So war der von Fidel Castro mit dem militärischen Rang „Comandante“ geehrte Pater Guillermo Sardinas seinerzeit von seinem Bischof beauftragt, den in den Bergen kämpfenden Rebellen als Seelsorger zur Seite zu stehen.

Seit Ende August 2008 ist eine Nachbildung der Jungfrau, die sonst in der Iglesia de Santo Tomás in Santiago zu sehen ist, quer durch Kuba unterwegs, wo sie in Pfarreien, Krankenhäusern und Kirchen gezeigt wird. Den Auftakt zu dieser Prozession, die inoffiziell als Nationalmission zur Evangelisierung des Landes gilt, gab eine am 30. August 2008 von allen kubanischen Bischöfen zelebrierte Messe, die in Ausschnitten sogar vom staatlichen Fernsehen übertragen wurde. Dabei betonten die Bischöfe, daß vor der Jungfrau von Cobre alle sozialen, kulturellen, politischen, wirtschaftlichen ideologischen und ethnischen Unterschiede zwischen den Kubanern verschwinden. Ende des Jahres kehrt die Replik nach Santiago de Cuba zurück.

„Die Revolution Fidel Castros hat der Kirche fast alles genommen“, erinnert Bischof Juan de Dios Hernández-Ruiz, Weihbischof von Havanna: „Wir haben damals eine ähnliche Erfahrung gemacht wie Maria, als sie am Karfreitag ihren toten Sohn in den Armen hielt. Dieser Moment schien für die Muttergottes das Gegenteil der Verkündigung durch den Erzengel Gabriel zu sein. Aber Maria ist nicht mit ihrem Schmerz zurückgeblieben. So lebt inmitten des Bösen und der Schmerzen die Hoffnung.“ Und so freut sich die katholische Kirche an den kleinen Erfolgen, die sie dem Regime abtrotzt. Dazu gehört die Eröffnung eines neu erbauten Priesterseminars in der Diözese Havanna, das erste seit 1959.

Auch die durch Vermittlung der Kirche erfolgte Freilassung politischer Gefangener zählt dazu. Und auch der Papstbesuch ist in den Augen der Bischöfe ein „Geschenk der barmherzigen Jungfrau von Cobre“.

 

Katholiken auf Kuba

Kuba ist traditionell ein katholisches Land. In vielen Häusern, insbesondere der Familien der ehemaligen Mittelschicht, sind Hausaltäre und Bilder von Jesus und der Gottesmutter zu finden. Oft geht es auch durcheinander, ist eine Schwester katholisch, die andere gehört den Baptisten an und die dritte ist Anhängerin der afrokubanischen Religion Santeria. Nach offiziellen Angaben sind heute nur noch 35 Prozent der 11,2 Millionen Kubaner katholisch getauft. Vor dem Sieg der sozia-listischen Revolution 1959 waren es 85 Prozent.

Fotos: Einsam vor der Barmherzigen Jungfrau von Cobre in der Kathedrale von Santiago de Cuba: Heiligabend wird die Kirche dann völlig überfüllt sein; Renovierung vor Papstbesuch: Kathedrale von Santiago de Cuba

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